1. Dezember 2025

Ein Standardwerk zur siebenbürgischen Reformationsgeschichte

Sammelband „Initia Reformationis Transsilvaniae. Vielfalt, Aufbrüche, Rezeptionsräume in der Frühen Neuzeit“, herausgegeben von Ulrich A. Wien
Selten kann man einem Sammelband bereits kurz nach dessen Erscheinen bescheinigen, es handle sich um ein Standardwerk. Das von Prof. Dr. Ulrich A. Wien im renommierten Verlag de Gruyter, in der Reihe „Studies in Early Modern Christianity in Central Europe“ herausgegebene Buch rechtfertigt diese Einordnung. Es dokumentiert die kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie in der Evangelischen Akademie Siebenbürgen veranstaltete Tagung zum Thema „Grenzen überschreiten. 500 Jahre Reformation in Hermannstadt / Siebenbürgen und 70 Jahre Protestantisches Theologisches Institut“.

Herausragende Expertinnen und Experten aus Deutschland, Rumänien, Ungarn, Österreich, der Schweiz und den Vereinigten Staaten hatten an dieser fachkundig und umsichtig vorbereiteten, einer stringenten Konzeption folgenden Tagung teilgenommen, welche die facettenreichen Entwicklungen der Reformation in Siebenbürgen in den internationalen Diskurs einbetten sollte. Nun können diese Vorträge, die aufgrund des interdisziplinären Gedankenaustauschs während der Veranstaltung und der inzwischen erschienenen Fachliteratur überarbeitet worden sind, auf insgesamt 541 Seiten in Buchform oder über OpenAccess gelesen werden. Präzise und anschauliche Karten, interessante Abbildungen und tabellarische Übersichten ergänzen den Band, Register ermöglichen die Suche nach Orten oder Personen, die in diesem Nachschlagewerk erwähnt werden.

Behandelt werden – durchaus auch in komparatistischer Absicht – Themen aus der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichte, Kirchen-, Kunst- und Kulturgeschichte Siebenbürgens sowie anderer Regionen und Städte Zentral-, Ost- und Südosteuropas, mit einem Fokus auf Transylvanien als „Rezeptionsraum reformatorischer Theologie in der Überlappungszone von West- und Ostkirche“ (Wien).

Es würde den Raum einer kurzen Buchbesprechung sprengen, die 23 durchwegs lesens- und empfehlenswerten Beiträge einzeln zu rezensieren. Hingewiesen werden kann nur auf einige Schwerpunkte. Der einführende Überblick über das Reformationsgeschehen in Siebenbürgen ist eine ausgezeichnete Zusammenfassung des aktuellen Forschungsstandes und ermöglicht die historiographische Einordung der folgenden Aufsätze. Bezüglich der vorreformatorischen Zeit wird auf das hohe Bildungsniveau der siebenbürgisch-sächsischen Geistlichkeit hingewiesen und eine Kontinuität zwischen dem katholischen Mittelalter und der im Zeichen der Reformation einsetzenden Frühneuzeit aufgezeigt. Dabei sollte die „konfessionelle Brille“ abgelegt werden, die von der evangelisch-lutherischen Geschichtsschreibung des 19.-20. Jahrhunderts aufgesetzt wurde. Ein weiterer Beitrag befasst sich mit der Rolle des städtischen Patriziats bei der Verbreitung und Durchsetzung der Reformation unter den Siebenbürger Sachsen. In diesem Kontext spielte die Produktion, der Besitz und die Vererbung oder Stiftung von reformatorischen Publikationen in Siebenbürgen eine wichtige Rolle. Die Auseinandersetzung mit der osmanischen Bedrohung wurde in „Türkenschriften“ geführt, ging aber auch mit der Erkenntnis einher, dass die Osmanen durchaus auch Schutz vor gegenreformatorischen Aktivitäten boten.

Einen eigenen Themenblock bilden die Untersuchungen zum Einfluss der Wittenberger und der Schweizer Reformatoren auf die Kirchenerneuerer in Siebenbürgen. Dabei wurden Netzwerke geknüpft und durch eine rege Korrespondenz gepflegt. Deren datenbankgestützte Auswertung ist in diesem Forschungsbereich innovativ. Weiterführend wirkt auch die vergleichende Präsentation und Analyse der siebenbürgischen und der ober- bzw. binnenungarischen Bekenntnisschriften.

Unter den lokalhistorischen Darstellungen ragt die umfassende, pertinente Untersuchung der Reformation in Stadt und Distrikt Bistritz und der Auswirkungen auf alle Bereiche des öffentlichen Lebens heraus. Anregend, aber noch nicht ganz ausgereift sind die Überlegungen zur Rekonstruktion einer Rangstellung der Glaubensgemeinschaften im Fürstentum Siebenbürgen, bemerkenswert die Entkräftung der beliebten Legende von einem „Toleranzedikt“, das bereits der Thorenburger Landtag von 1568 erlassen habe. Auf das Verhältnis und die Kontakte des siebenbürgischen Protestantismus zur orthodoxen Kirche konzentriert sich ein Aufsatz und schlussfolgert, dass reformatorische Impulse zwar aufgenommen wurden, aber auch eine deutliche Abgrenzung provoziert haben, die bis in die Gegenwart wirken. Neue Erkenntnisse erbringt auch die Einordnung der unitarischen Bibelauslegung, die u.a. wegen der historisch-kritischen Exegese eines Jacobus Palaelogus im gesamten protestantischen Resonanzraum Europas gewirkt hat.

Alle Beiträge machen deutlich, „dass die Aufnahme der reformatorischen Glaubensimpulse weder nur als Gedanken-Transfer noch als Ideen-Transformation zu beschreiben ist, sondern in wesentlichen Teilen eine Anverwandlung beziehungsweise eine Umwandlung der Anstöße darstellt, die sich in eigenartigen Sonderwegen und -gestalten auszuprägen verstand.“ (Wien, S. VI)

Ulrich Andreas Wien ist es erneut gelungen, ein Buch herauszugeben, das bisherige Kenntnisse kompendienartig zusammenfasst, zugleich sowohl die regionale als auch die internationale Forschung anregt und die reformatorischen Transformationsprozesse in der vielerorts zu wenig beachteten Region Siebenbürgen als ein lohnendes Forschungsfeld vorstellt. Er hat mit seinem Tagungs- und Publikationskonzept nicht nur renommierte Wissenschaftlerinnen auf dieses Forschungsfeld gelockt, sondern auch die Mühen nicht gescheut, die heutzutage das Einwerben von Fördermitteln erfordern. Auch dafür sei ihm, nicht zuletzt mit Blick auf die Stagnation bei den traditionellen Buchreihen zur Kultur und Geschichte Siebenbürgens, herzlich gedankt.

Konrad Gündisch



Ulrich A. Wien (Hg.): „Initia Reformationis Transsilvaniae: Vielfalt, Aufbrüche, Rezeptionsräume in der Frühen Neuzeit“. Berlin: de Gruyter 2025, 541 Seiten, 4 Karten, 31 Abbildungen (Studies of Early Modern Christianity in Central Europe, Bd. 2). ISBN 978-3-11-137096-5. Der Band kostet 69,90 Euro und kann in jeder Buchhandlung bestellt werden.

Schlagwörter: Religion, Reformation, Buchbesprechung, Kirche, Wien

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