30. Oktober 2020

Lesung von Dagmar Dusil und Adriana Cârcu in Heidelberg

„Innere Heimat“, so lautete der Titel einer Lesung, veranstaltet von der GEDOK Heidelberg, gehalten am 16. Oktober von der aus Hermannstadt stammenden Autorin Dagmar Dusil und ihrer Temeswarer Kollegin Adriana Cârcu, beide Mitglieder der GEDOK (Gemeinschaft Deutscher und Oesterreichischer Künstlerinnenvereine). Es ist das älteste und größte Netzwerk kunstschaffender Frauen aller Gattungen und so waren auch in der Heidelberger GEDOK-Galerie gleich mehrere Kunstgattungen vereint: eine literarische Lesung, gepaart mit der Finissage der Ausstellung „Zerbrechliche Architekturen“ dreier Temeswarer bildenden Künstlerinnen (Dana Constantin, Adriana Lucaciu und Linda Saskia Menczel).
Dagmar Dusil (links) und Adriana Cârcu lesen in ...
Dagmar Dusil (links) und Adriana Cârcu lesen in Heidelberg. Foto: Richard Wayne
Die fünf Künstlerinnen vereinte nicht nur das Herkunftsland Rumänien. Zu den Bilder- und Skulpturenwelten gesellten sich mit Dusil und Cârcu Texte, die sich auf eigene Weise mit dem Thema „Heimat“ auseinandersetzten, als „komplexen und mühsamen Übergang vom Herkunftsland in ein neues Umfeld“, so der Einladungstext. Dass dieses ein Prozess innerer Befindlichkeiten ist, mit ähnlichen und auch recht unterschiedlichen Ausprägungen bei den beiden Autorinnen, das zeigten die ausgewählten Texte. Adriana Cârcu eröffnete den Abend mit der Kurzerzählung „In Curtici zwischen den Welten“, die auf dem Bahnhof von Curtici spielt und von den zwiespältigen Befindlichkeiten jener berichtet, die hier Rumänien für immer den Rücken kehrten.

Ging es hier um das Verlassen der alten Heimat, so entdeckt Dagmar Dusil mit einem Ausschnitt aus dem Schlusskapitel „Eine Fahrt rund um Katzendorf“ die alte und verlassene Heimat praktisch neu, denn diese dörfliche Welt war der Hermannstädterin, die nun im Bamberg lebt, völlig unbekannt. Erst ihre Kür zur fünften „Dorfschreiberin von Katzendorf“ eröffnete ihr die Möglichkeit, diese alt-neue Welt des siebenbürgischen Dörfchens, das durch Frieder Schullers Dorfschreiber-Initiative zum „Weltdorf“ wurde, kennen zu lernen. Ihr Buch „Auf leisen Sohlen“ ist ein liebevoll gezeichnetes Panorama dieses Dorfes, in dem sich der „Sommersachse“, der „Allround“-Rumäne, der Ungar und der omnipräsente Dorf-Roma begegnen und der Natur eine symbolhafte Rolle zugewiesen wird, so dass sogar ein Schlehdornstrauch zur Metapher der dort gelebten Multiethnie werden kann. Der Dornenstrauch erschwert das Pflücken der Früchte. „Per spinas ad rosas“ (Durch die Dornen zu den Rosen), wie es auf einem Kirchengestühl im benachbarten Meeburg heißt. Das gilt auch für den Begriff Heimat: Verlieren und Wiederfinden, Entfremdung und Annäherung.

Diese Gedanken bewegen Adriana Cârcu in ihrem Essay „Zu Hause“ aus dem Buch „Eine sentimentale Chronik“. Im Gespräch mit Künstlern, die Rumänien verlassen haben, versucht die Autorin die Frage zu klären, was denn „zu Hause“ für sie bedeutet, wobei die rumänisch schreibende Autorin eingesteht, dass ihre Muttersprache die feine Nuance des Begriffes „Heimat“ nicht kennt.

Mit drei Gedichten brachte Dagmar Dusil dann ein lyrisches Intermezzo, das sich nahtlos in das Thema des Abends fügte.

Mit ihrem letzten Text „Lektüren und Sehnsüchte“ bekannte sich Adriana Cârcu schließlich dazu, dass ihre wahre Heimat eigentlich die Literatur sei.

Auch Dagmar Dusil setzte einen trefflichen Schlusspunkt mit ihrer jüngst beim „Landschreiber-Wettbewerb“ preisgekrönten Erzählung „Mioara“. Und auch hier geht es um Sprache. Sprache als Identitätsstifterin. Die ausgewanderte Mioara verliert in dieser zu Herzen gehenden Erzählung zusammen mit ihrer Heimat auch ihre Sprache.

Damit spricht Dusil nicht nur das Schicksal ihrer Temeswarer Kollegin, sondern auch das vieler Entwurzelten und Heimatlosen an.

Die Lesung löste dann noch eine lebhafte Diskussion mit den Zuhöreren aus. Corona-bedingt war es leider nur ein Häuflein getreuer Hermannstädter, die dieser interessanten Lesung beiwohnten und der man gerne ein breiteres Publikum gewünscht hätte.

Prof. Heinz Acker

Schlagwörter: Lesung, Heidelberg, Dusil, Gedok, Hermannstadt, Temeswar, deutsch-rumänische Beziehungen

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