19. Dezember 2021

Alexandra Vassilikian auf der Blauen Biennnale in Kronstadt

Es ist nicht irgendein Ereignis, das sich kürzlich in der Stadt unter der Zinne abspielte. Es ist das Resultat einer organisatorischen Performance unter der Ägide zweier Kuratorinnen, Dr. Christina Angela Simion (Nürnberg) und Victoria Taroi Galbenu, sowie Joan Aron Taroi, dank derer die Stadt zum Mittelpunkt einer gigantischen Präsentation nationaler und internationaler zeitgenössischer Kunst wurde. Durch die Bestückung von 20 Galerien und anderen alternativen Räumlichkeiten mit über 1 000 Kunstwerken von rund 400 Künstlerinnen und Künstlern hat die zweite Kunstbiennale in Kronstadt vom 17. Oktober bis zum 21. November ein Zeichen der besonderen Art gesetzt. Zusätzlich wurden 18 ausgewählte Künstlerinnen und Künstler aus dem In- und Ausland eingeladen und ihnen alle Ausgaben (Anfahrt, Transport, Unterkunft etc.) ersetzt. Auch das Begleitprogramm konnte sich sehen lassen: Durch Gesprächsrunden über Kunst, Freiluftkonzerte und -theater, Tänze, einige Performances sowie viele zwanglose Begegnungen wurde die Biennale ein großer Erfolg.
Besondere Aufmerksamkeit erfuhr eine ehemaligen Kunstlehrerin aus Kronstadt, heute eine international bekannte Künstlerin. Denn zu den 18 geladenen Künstlerinnen gehörte Alexandra Vassilikian, deren Großeltern aus Rosenau bei Kronstadt stammten. Die 1946 in Bukarest geborene Tochter deutsch-armenischer Eltern verbrachte ihre Ferien in Rosenau und Kronstadt und ahnte damals nicht, dass diese Stadt ihre Schicksalsstadt nach dem Studium in der Hauptstadt werden würde. 1971, nach Abschluss ihrer Studiums am Institut der Bildenden Künste Nicolaie Grigorescu in Bukarest, kehrte Vassilikian als Lehrerin an die Kunstschule nach Kronstadt zurück. 1981 verließ sie Rumänien. Nach vielen Jahren Aufenthalt als Gastkünstlerin in England, Portugal, Island und Paris lebt und wirkt sie heute in Schwabmünchen bei Augsburg und Paris, wo sie vor vielen Jahren auf Dauer eine geräumige Atelierwohnung vom Staat bereitgestellt bekam.

Die in Bukarest geborene Künstlerin Alexandra ...
Die in Bukarest geborene Künstlerin Alexandra Vassilikian zeigte ausgewählte Werke auf der Blauen Biennnale in Kronstadt.
Der Zufall will es, dass einer ihrer ehemaligen Schüler an der Kunstschule in Kronstadt, Aron Taroi, Mitorganisator der Blauen Biennale sich vor zwei Monaten an seine verehrte Lehrerin erinnerte, im Internet nach ihr suchte und feststellte, dass die damals schon versierte Künstlerin auf internationalem Parkett präsent war. Er nahm Kontakt mit ihr auf und lud sie nach Kronstadt ein. Und so befand sich Vassilikian unerwartet unter den geladenen Gästen und durfte eines ihrer großen Werke im großen Foyer des Theaters in Kronstadt, im Zentrum des Geschehens, aufhängen.

Vassilikians Installation „Nach der Schlacht, im Morgengrauen“ – sie könnte auch „Die Vorfahren“ betitelt werden – umfasst einen ganzen Raum und behandelt das Thema, das die Philosophin in ihr seit Jahrzehnten beschäftigt: das Gedenken an die Vorfahren, deren Ehrung in der Kunst. Die Künstlerin spannt einen Bogen zwischen dem immateriellen Vorhandensein der vielen Generationen vor uns bei laufender Kommunikation über durchlässige Grenzen zwischen den Toten und Lebenden, sozusagen zwischen der Vergangenheit und dem Jetzt, zwischen dem Materiellen und Immateriellen.

45 Fahnen von 30 Zentimeter bis zwei Meter Höhe und rund ein Meter Breite aus Papier und Leinwand, mit Pigmenten und Asche (aus dem Atelierofen der Künstlerin) thematisch bearbeitet, hängen vertikal mit Abstand (wie es die Coronazeit gebietet) an Nylonfäden von der Decke und flattern, vom Luftsog bewegt, diffus im Raum. Von einem Tonband tönen minutenlang sonore Kampfgeräusche: dezent rauschender Wind und das Schreien gieriger Raben, als Vogel der Toten, sind zu hören. Urplötzlich tritt gespenstische Stille ein, wie nach einer schrecklichen Schlacht vom Vortag. Totenstille. Als Gast kann man nicht umhin, sich bei der schaurigen Atmosphäre die Gefallenen auf dem Feld des Geschehens und das jahrhundertlange sinnlose Abschlachten von Generationen auf diversen Schlachtfeldern vorzustellen. Eine morbide, entseelte Welt.

Alexandra Vassilikian will der Ahnen gedenken, die für die – oder auch unsere – Freiheit kämpften und starben, die, wie wir auch, mit Wünschen, Plänen, Hoffnungen und Liebe durchs Leben gehen wollten und nichts als den Tod auf dem Feld fanden. Von Mutter Erde für immer im Schoß geborgen, begleiten sie uns aus dem Schatten. Wir mögen sie nie vergessen. Ein Wunsch, eine Vision der Künstlerin in diesem Werk.

In Alexandra Vassilikians Werke fließen Lebenserfahrungen, Gefühle und das Bewusstsein ineinander, dass die Natur uns seit Menschengedenken hält und wir auf sie bauen können – hielten wir doch nur einige essenzielle Regeln ein: achtsam umgehen mit dieser Welt und mit uns. Ein Perpetuum mobile, das wir steuern können.

Die Aufzählung der großen und kleineren Ausstellungen im In- und Ausland, an denen Alexandra Vassilikian teilgenommen hat, würde hier den Rahmen sprengen. Von Belgien, Island, England, Rumänien, Portugal, Kanada, Deutschland, Slowenien, um nur einige Länder zu nennen, in denen sie öfter und meist in deren Hauptstädten ausstellen durfte, reicht die Reihe bis Ebersberg in Oberbayern. Hier präsentierte sie unter der Kuratie der Unterzeichneten zweimal erfolgreich ihre Werke. Wir wünschen der Künstlerin weiterhin viel Schaffenskraft und Erfolg.

Antje Krauss-Berberich

Schlagwörter: Kunst, Künstlerin, Vassilikiaan, Bukarest, Kronstadt, Biennale, Krauss-Berberich

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