20. Juli 2022

Der Mann mit zwei großen Namen: Erinnerungen an Hans Alfred Pomarius

In die überschaubare Zeit des Jahres 1929, am 8. Mai, wurde Hans Pomarius im siebenbürgischen Schäßburg geboren. Umhegt im sorgenfreien Elternhaus, wuchs er zum jungen Mann heran. Der Vater Alfred Pomarius, ein Freigeist und philosophischer Denker, sorgte mit seinen Geschäften für die materielle Sicherheit der Familie; die Mutter hielt Erziehung und Haushalt fest in den Händen, die Lehrerin schaffte alles. Die Unbeschwertheit der drei Geschwister Grete, Hans und Christian sollte aber abrupt enden.
Hans Pomarius bei einer Lesung in den neunziger ...
Hans Pomarius bei einer Lesung in den neunziger Jahren. Foto: privat
Der Weltkriegssturm veränderte alles. Enteignet und stigmatisiert, landete der Vater für lange Zeit im Kerker. Er wurde mundtot gemacht. Auch der Sohn sollte es büßen. Die Mutter meisterte die neue Lebenslage und brachte die Geschwister durch die schweren Jahre.

Mit der Neuordnung des Lebens ergab sich für Hans Pomarius die Perspektive, Lehrer zu werden. Es war ein Glücksfall, denn diesen Beruf hatte sich Hans schon immer gewünscht. Er wurde Lehrer aus Berufung und mit Leidenschaft. Nach dem Studium der Philosophie, Psychologie und Pädagogik in Klausenburg wirkte Pomarius als Lehrer in Talmesch. Es wurden sieben gute Jahre. Er war zwar ein strenger, aber ein beliebter Lehrer – viele Dankesschreiben bezeugen es. Für ihn bedeutete, Lehrer zu sein, mehr als nur Dienst in der Schule. Das Musische zu fördern war sein Hauptanliegen – besonders das Theaterspiel.

Seine bürgerliche Herkunft und seine humanistische Gesinnung wurden aber im kommunistischen Schulwesen nicht geduldet. Ein Neuanfang wurde für Pomarius unausweichlich. Der Ausweg lag nahe: Das Hobby machte er zum neuen Beruf. Das führte 1960 zur Flucht zum Theater; das wiederum hieß Umzug ins Banat und nach Temeswar.

Der Preis für den Bühnenzutritt war hoch: Sein Name wurde ihm geraubt. Er hieß ab nun Baumert – die Eindeutschung von Pomarius. Die Freude wog aber das Opfer auf. Hans Pomarius stand jetzt auf der Bühne des Deutschen Staatstheaters Temeswar. Und er setzte zum Höhenflug an … Bewährungsprobe und Feuertaufe zugleich bestand Pomarius in der Rolle des Peer Gynt im gleichnamigen philosophisch-dramatischen Gedicht von Henrik Ibsen. Viele brillante Leistungen sollten folgen. So zum Beispiel die Rolle Beckett in „Beckett oder die Ehre Gottes“ von Jean Anouilh oder der Tempelherr in „Nathan der Weise“ von Lessing. Die Parabel „Nathan der Weise“ sollte wegweisend und gar bestimmend für die Wandlungen und Verwandlungen von Hans Pomarius auf der Bühne werden. In allen drei Hauptstationen seiner schauspielerischen Laufbahn – Temeswar (Tempelherr), Hermannstadt (Saladin) und Bamberg (Nathan) – stellte Lessings Appell zu Toleranz und Respekt stets die Bewährungsprobe seines Könnens und seiner geistig-künstlerischen Haltung dar.

Hans Pomarius als Nathan in Lessings „Nathan der ...
Hans Pomarius als Nathan in Lessings „Nathan der Weise“ Mitte der neunziger Jahre im E.T.A. Hoffmann Theater in Bamberg. Foto: Rose
Bei einer Tournee in der sächsischen Heimat traf er Luise Pelger, eine Seelenverwandte und Theatermensch durch und durch. Auf den ersten Blick hatte er Luise, die er fortan Lou nannte, zur Ehefrau erkoren. Luise integrierte sich schnell in das Temeswarer Schauspielensemble. Eine glückliche Zeit für beide. Kein Wunder also, dass Hans als künstlerischer Leiter des Theaters gehandelt wurde. 1970 sollte er auf einer DDR-Rundreise entsprechende Erfahrungen sammeln. Doch wieder sollte es anders kommen als erwartet.

Der neue Intendant wollte den parteilosen Hans zur Mitgliedschaft in der Rumänischen Kommunistischen Partei (RKP) bekehren und als Informant missbrauchen. Dem Opponierenden blieb nichts anderes übrig, als mit Ehefrau Lou die Koffer zu packen. An der deutschen Abteilung des Hermannstädter Theaters begann das Paar 1971 von vorne. Ein Lichtblick: Hans durfte wieder seinen richtigen Namen führen. In kurzer Zeit wurde Hans ein gefeierter Publikumsliebling.

Die Glanzrollen wurden mit besten Kritiken bedacht. Die Hauptrolle des Faust in Goethes gleichnamigen Lebenswerk blieb unvergessen wie auch die Prospero-Interpretation in Shakespeares „Sturm“ oder die Verkörperung von „Fuhrmann Henschel“ im Hauptmann-Drama. Nach brillanten Darbietungen auf der Bühne zeigte Hans auch noch verborgene Seiten in der Regiearbeit. In Temeswar waren seine Inszenierung „Alt Heidelberg“ von Förster und „In Sachen Adam und Eva“ von Strahl große Publikumserfolge, und die Adaption „Rose Bernd“ von Hauptmann ins Sächsische, in Hermannstadt, brachte ihm Beifall und Hochachtung ein.

Neue Zeichen verdunkelten die Zukunft. Der Exodus der Deutschen wurde zum unaufhaltsamen Aderlass. Das Ehepaar Pomarius entschied sich für die Bundesrepublik Deutschland, wohin es nach fünf Jahren Wartezeit mit Schikanen 1984 übersiedelte. Mit 55 nochmals eine brutale Wende.
Pomarius als König Phillip in Schillers „Don ...
Pomarius als König Phillip in Schillers „Don Carlos“ 1971 Hermannstadt.
Die psychischen und teilweise bitteren Einsichten waren physisch kaum zu ertragen. Hans kränkelte. Da entpuppte sich seine Frau als rettender Engel. Was die Ärzte nicht schafften, gelang ihr durch Hingabe und Zähigkeit. Hans Pomarius kam wieder auf die Beine – und nach Bamberg. Die Bühne empfing ihn zwar nicht stürmisch, aber er stürmte zu seinen Erfolgserlebnissen. Zum Beispiel nochmals Prospero im „Sturm“ von Shakespeare, Midge in „Ich bin nicht Rappaport“ von Gardner, und mit der Rolle des Nathan in „Nathan der Weise“ adelte er sich zu den Großen seiner Zunft. Die Bamberger hatten lange Zeit den Nathan in bester Erinnerung, beim Morgenspaziergang wurde Hans Pomarius ehrerbietig mit „Guten Morgen Herr Nathan“ begrüßt.

Höhepunkte seiner darstellerischen Kunst waren auch Goldberg in „Goldbergs Variationen“ von Tabori am Coburger Theater und Willi Lohmann in „Tod eines Handlungsreisenden“ von A. Miller am Theater Hof.

Der Gesprächsstoff wird ihnen sicher nicht ...
Der Gesprächsstoff wird ihnen sicher nicht ausgehen: Hans Pomarius (r.) mit dem jüngst verstorbenen Hans Bergel auf dem Begräbnis ihres gemeinsamen Freundes Walter Schuller (Fuchstal, 2010). Foto: Konrad Klein
Trotz seiner Wandlungen blieb Hans Pomarius der gleiche Mensch: der Lehrer, der lernend Lehrende, der Aufrechte-Aufrichtige. Nie Chamäleon, denn das hat kein Rückgrat.

Die Leistungsschau ist lang, der Verdienste sind viele. Besonders in der Zeit auf den beiden deutschen Bühnen in Rumänien, die er mitgeprägt hat als Baumert und Pomarius, als Schauspieler und volksnaher Kultur- und Kunstvermittler. Und nicht zuletzt: Pomarius spielte auch in Filmen, so den Steuermann Carlson in „Der Seewolf“ von Wolfgang Staudte.

Im Theater war bei Hans Pomarius kein Platz für Kompromisse oder Halbwahrheiten. Er hielt es mit Goethe, der schrieb: „Ich wünschte, dass das Theater so schmal wäre als der Draht eines Seiltänzers, damit sich kein Ungeschickter hinaufwagte.“ Pomarius hat es nicht nur gewagt, er hat auch gewonnen.

In den letzten Jahren schwanden seine Kräfte. Und am 1. Juni dieses Jahres hörte sein Herz in Bamberg auf zu schlagen. In einem bewegenden Trauergottesdienst in der Stephanskirche zu Bamberg haben wir am 23. Juni 2022 Abschied von ihm genommen. Nun ist er auf dem Weg zu den Sternen. Wir haben einen großen Schauspieler und einen humanistischen Denker von Format verloren.

Anton Palfi

Schlagwörter: Porträt, Nachruf, Schauspieler, Theater, Schäßburg, Bamberg

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