21. September 2022

Erlanger Poetenfest 2022: Alexandru Bulucz plaudert aus der Übersetzerwerkstatt

Beim 42. Erlanger Poetenfest stand am 26. August die Erlanger Übersetzer:innenwerkstatt im Mittelpunkt. Beginn war schon um 9 Uhr morgens und erst spät am Abend ging sie zu Ende. Gestartet wurde die achtzehnte Werkstatt von Alexandru Bulucz, der den Deutschlandfunk-Preis beim Ingeborg-Bachmann-Preis 2022 erhalten hat, mit seiner Übersetzung des Lyrikbandes „Tribar“ von Andra Rotaru. Im Saal von „Kreuz+Quer – Haus der Kirche“ zierte das Podium rechts und links jeweils eine Tafel mit thematisch passenden Zitaten von Alla Paslawska und Karl Kraus.
Mit dem Zitat „Nur durch das Prisma der Übersetzung lässt sich die Idee einer Nationalliteratur formulieren“ von Alla Paslawska eröffnete Moderator Adrian La Silva die diesjährige Werkstatt. Denn immer mehr Autoren und Autorinnen haben mehr als eine sprachliche und kulturelle Heimat. Und diese Mehrfachzugehörigkeit führt zur Entstehung neuer Formen in der Literatur, die wesentlich durch Übersetzungen, Mehr- und Anderssprachigkeit geprägt sind. So auch bei Alexandru Bulucz, der in Weißenburg (Alba Iulia) geboren ist, einen siebenbürgischen Stiefvater hat, mit 13 Jahren nach Deutschland auswandert und hier versucht, Fuß zu fassen. Alexandru fühlt sich entwurzelt, damals und heute noch. Er sagt: „Das Übersetzen hat mit meiner Demografie zu tun und mit der Emigration als 13-Jähriger nach Deutschland“. Denn er übersetzt aus dem Rumänischen ins Deutsche, um die eine Sprache besser zu verstehen, zu schreiben und reden; und die andere, um seine rumänische Muttersprache nicht ganz zerbrechen zu lassen, seine Wurzeln nicht ganz wegzulassen, sondern sie mitzunehmen, um sich besser zurechtzufinden.
Erlanger Übersetzer:innenwerkstatt mit (von links ...
Erlanger Übersetzer:innenwerkstatt mit (von links nach rechts) Jörg Schulte, Alexandru Bulucz (liest aus „Tribar“) und Friederike von Criegern. Foto: Malwine Markel
Während seines Vortrags zur Übersetzung von „Tribar“ von Andra Rotaru lief auf einer Leinwand das Penrose-Dreieck, genannt Tribar, oder auch das Nicht-Dreieck. Ein unvollkommenes geometrisches Objekt, das den Betrachter mit der Schwierigkeit konfrontiert, ob es rechtwinklig ist oder nicht, getrennt oder doch vereint. Er muss die Entfernung zu den Teilen des Tribars und ihre Lage im dargestellten Raum immer wieder neu interpretieren. So ist auch der Schmerz, den Rotaru in ihrem Gedichtband verarbeitet. Mal schwer und dunkel, mal hört er auf, um wieder mit voller Wucht zuzuschlagen, mal etwas weniger. Eine experimentelle Herangehensweise von unerwarteten Verknüpfung und Zusammenführung von Räumen, Gegenständen und Körpern, mit ungewöhnlichen Sätzen und fragmentarischem Charakter, immer neu definiert, wie bei einem Tribar. „Es ist eine sehr schwierige Lyrik, sehr technisch geschrieben, was die Übersetzung in die deutsche Sprache kompliziert machte. Rotaru schreibt in mehreren Dimensionen“, sagte Bulucz. Er liest das Fragment der Kritik vor, die sich im inneren Buchdeckel befindet. Dann erzählt Bulucz über seine Vorgehensweise bei der Übersetzung dieses Lyrikbandes. Er wollte die „Form“ des Gedichtbandes herausfinden, um diese auch möglichst bei der Übersetzung mitzunehmen. Sprachspiele will er nicht zulassen, Wortspiele eher, geht aber sehr streng damit um. Die Etymologie, also die Herkunft der Wörter, ist ihm sehr wichtig. Alexandru Bulucz will nicht nur übertragen, sondern übersetzen. Für ihn bedeutet das, den Sinn der Wörter zu kennen, zu erkennen, was die Autorin meint, die Seele des Buches zu erkunden. Der Rhythmus und die Atempausen müssen stimmen. Es geht ihm nicht darum, die Sprache zu beherrschen. Bei Rotaru werden Zitate modifiziert und das hat Bulucz versucht zu übernehmen. Er liest als Beispiele mehrere Zitate vor, und zwar zweisprachig. Zitate vom französischen Philosophen Jean-Luc Nancy, den er auch übersetzt hat, und von Andra Rotaru. Auch Hofmannsthal und Kafka werden zitiert. Für Bulucz ist es wichtig, dass die zu übersetzende Literatur ihn anspricht, sie muss ihn berühren und nicht mehr loslassen. Und das ist hier der Fall.

Dieser lyrische Versuch, das Unmögliche möglich zu machen, sowohl bei Rotaru als auch beim Übersetzer Bulucz, ist ein schwieriges Unterfangen, wenn der Ausgangspunkt ein Nicht-Dreieck ist. Denn in „Tribar“ findet man bei manchen Textstellen die Diplopie, die Wahrnehmung von literarischen Doppelbildern. Ein Schwierigkeitsgrad, den Bulucz, aber auch andere „Luftwurzelautoren“, immer wieder bei Übersetzungen finden. Zitate können da helfen.

Das diesjährige Erlanger Poetenfest hatte sogar eine Nobelpreisträgerin aufzubieten: Die rumäniendeutsche Autorin Herta Müller gab am 28. August zum Thema „Die Verödung in der Zeit der Macht“ eine Lesung mit anschließendem Gespräch.

Malwine Markel

Schlagwörter: Erlangen, Poetenfest, Veranstaltung, Bulucz, Herta Müller

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