29. Oktober 2024

Ein Mühlbacher auf den Goldfeldern der weiten Welt: Gustav Adolf Schoppelts Reisebeschreibungen 1895-1902

Leben ist ohne Mobilität nicht möglich. Und zum Menschsein gehört das Reisen – beinahe genauso unabdingbar wie Atmen und Nahrungsaufnahme. Der landläufige Ausdruck für jene Bewegungen größerer und kleinerer Gruppen von Menschen, durch die sich unsere Spezies auf den heimischen Planten breit gemacht hat, ist zwar Wanderung, dennoch handelte es sich letztendlich um Reisen, allerdings mit unbekanntem Ziel. Der innere Antrieb zum Reisen wird damals wie heute Neugier gewesen sein, wenn man den Sinn dieses Wortes weit genug fasst. Mit dem Reisen verbunden waren seit jeher Reisebeschreibungen, denn wer sich nicht auf die Reise machen konnte, der befriedigte seinen Wissensdurst mit dem Studium von Reiseliteratur.
Das alles trifft auch auf unser kleines Völkchen im Karpatenbogen zu. Es begann mit einer Wanderung irgendwann im 12. Jahrhundert, als die hospites der ungarischen Krone in die terra ultrasilvanorum kamen und dort sesshaft wurden. Und bald nach Gründung erster Siedlungen dürfte die Reisetätigkeit nach Westen eingesetzt haben: Junge Männer zogen zum Studium an ausländische Universitäten, junge Handwerker brachen zur Gesellenwanderung auf, Kaufleute zum Handeln und Sendboten reisten bis nach Rom und weiter, um sich verbriefte Rechte auf alten Pergamenten bestätigen zu lassen. So groß die Zahl der reisenden Siebenbürger Sachsen auch gewesen sein mag, so ist doch die von ihnen hinterlassene Reiseliteratur eher spärlich. Umso mehr ist es zu begrüßen, dass nun die Reiseberichte von Gustav Adolf Schoppelt in einer sorgfältigen Edition erstmals und soweit erhalten vollständig in Buchform zugänglich sind. Schoppelt reiste im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts aus den siebenbürgischen Westkarpaten im Auftrag einiger internationaler Gesellschaften zu den Goldfeldern in Australien, Russland und Surinam, um die Ergiebigkeit von Erzen, d.h. deren Goldgehalt zu beurteilen. Über diese Reisen hat er ausführliche Aufzeichnungen hinterlassen. Wie kam ein Mühlbacher zu solchen Aufträgen? Der 1867 in Mühlbach geborene Gustav Adolf Schoppelt war gelernter Tischler, fand dann aber nach seinem Militärdienst in Hermannstadt eine Stelle als „Magazinär“ (Lagerverwalter) bei der Gesellschaft der Kajaneller Erzbergwerke bei Băiţa am Südrand der Westkarpaten. Als Autodidakt eignete er sich Kenntnisse im Bereich des Bergbaus (Geologie, Chemie, Ingenieurwesen) an, so dass er bald die Stelle eines „Probierers“ einnahm, das entspricht in etwa der heutigen Tätigkeit als Chemielaborant. Als solcher machte er den Professor an der technischen Hochschule Berlin Dr. Albano Brand auf sich aufmerksam, der das Kajaneller Bergwerk im Auftrag der Berliner Handelsgesellschaft kontrollierte.

Schoppelts Kenntnisse und Fähigkeiten müssen so herausragend gewesen sein, dass Brand ihm eine Stelle als Assistent anbot und ihn zu einer Reise zu den Goldfeldern in Australien einlud. Mit dieser Reise begann ein besonderer Abschnitt in Schoppelts Leben. Von 1895 bis 1902 unternahm er insgesamt vier Reisen in die weite Welt – 1895 für ein gutes Jahr nach Australien, 1897 und 1898 nach Russland und von Oktober 1900 bis Juni 1902 nach Surinam. In seinen Aufzeichnungen sind vor allem die erste und die letzte Reise sehr ausführlich protokolliert, über die Reisen in den Ural und nach Sibirien erfahren wir dagegen weniger. Die Texte sind eine Mischung aus tagebuchartigen Notizen, den Reiseverlauf protokollierend, und oft recht ausführlichen Betrachtungen über Land und Leute und die Lebensart in jenen fernen Ländern. Schoppelt reist mit offenen Augen, voller Wissbegier hält er auch kleinste Details fest. Er ist nicht nur ein guter Beobachter, sondern auch ein talentierter Erzähler, seine Texte sind lebendig, interessant und spannend. Sein Ding ist nicht das trockene Aufzählen von Fakten, sondern das Einfangen von Eindrücken, die sich ihm nachhaltig einprägen. Über die Fahrt mit der Bahn quer durch Russland schreibt er beispielsweise: „Es geht nun mit russischer Schnellzugsgeschwindigkeit weiter, also nicht gerade schnell. … Hat man eine längere Reise vor, … so muss man sich mit Verschiedenem vorsehen, was in den westlichen Ländern auf Reisen nicht üblich ist. Decken und Kissen sind unentbehrliche Reisegegenstände. In den kleineren Städten sucht man in den Hotels vergeblich ein komplettes Bett zu erhalten. Eine Bettstelle und Matratze ist alles, das Übrige hat der Reisende seinem Gepäck zu entnehmen. Auch ist es sehr zweckmäßig und praktisch, einen gut sortierten Gepäckkorb mitzuführen. … Man führt auch seinen eigenen Tee und Zucker mit sich; hat man … Lust zu einer Tasse Tee, so ist der Schaffner jedes Mal in der Lage, heißes Wasser zur Verfügung zu stellen.“

Manchmal kann der Leser den Kopf schütteln über eine Mischung aus Abenteuerlust, Naivität und Beharrlichkeit Schoppelts, etwa, wenn er sich dazu entscheidet, eine längere Strecke zu Fuß durch eine einsame Gegend Australiens zurückzulegen. Ohne ausreichend Wasser mitzuführen, erreicht er nach längerem Wandern durch die Einöde endlich wieder eine menschliche Siedlung. „Ich kehrte hier in ein Public House ein und stärkte mich durch Speise und Trank. Nach einstündiger Rast ging ich weiter. Man sagte mir, dass ich noch vor dem Abend die nächste Station ‚Woolgangee‘ erreichen werde, wo ein Public House und viel Wasser vorhanden sei. Doch kaum war ich zwei Stunden unterwegs, als mich eine schreckliche Mattigkeit überkam. Die Sonne tat ihr Möglichstes und ich konnte fast nicht mehr weiter – ich blieb buchstäblich am Wege liegen. Mit Mühe schleppte ich mich mitten in die Straße, um von etwa noch vorüberfahrenden Fuhrwerken aufgefunden zu werden. Gegen Abend hörte ich Stimmen und das Geräusch von Wagen. Ich legte das Ohr an den Boden, um mich besser zu überzeugen. Es war keine Täuschung – nach wenigen Minuten bog eine ganze Reihe von ‚Teams‘ um eine vorgelagerte Bodenwelle. Ich raffte mich auf und bat den ersten um einen Platz auf seinem Wagen.“

Nun – dieses und andere Abenteuer seiner Reise hat Gustav Adolf Schoppelt heil überstanden und ist mit seinen Notizen nach Siebenbürgen zurückgekehrt. Auszüge davon wurden im Siebenbürgisch-deutschen Tageblatt (SDT) in Hermannstadt veröffentlicht, wo Schoppelt bis zu seinem Tod im Jahr 1936 als städtischer Beamter lebte. Von seinen Reisen brachte Schoppelt auch zahlreiche Artefakte mit, von denen er eine große Anzahl dem Naturkundlichen Museum in Hermannstadt übergab. Er wird in neueren Publikationen in einem Atemzug mit bekannten siebenbürgischen Reisenden wie Franz Binder, Andreas Breckner oder Hermann von Hannenheim genannt.

Das Konvolut seiner Aufzeichnungen, das der Autor zu Lebzeiten zu einem Buch binden ließ, wurde in der Familie sorgsam aufbewahrt und gelangte nach Deutschland, wo sich Klaus-Peter Stefan, ein Urgroßneffe Schoppelts, der Reisebeschreibungen annahm. Das Ergebnis seiner Arbeit ist eine beachtliche Edition, für die der Herausgeber die Originalaufzeichnungen transkribiert und mit weiteren Textquellen, z.B. den im SDT veröffentlichten Passagen, und Erinnerungen der Nachkommen Schoppelts zusammengeführt hat. Das handliche Buch mit seinem gelungenen Layout ist reich bebildert und mit Karten aus einem Schulatlas von 1897 versehen. Schoppelt hat selbst fotografiert, doch gelten seine Bilder als verschollen. Der Herausgeber hat in dem Wunsch, das Buch mit zeitgenössischen Bildern zu illustrieren, auf ein Album der Familie Boileau zurückgegriffen, die 1894 mit dem gleichen Schiff wie Schoppelt, der „Orotava“, eine Reise von London nach Melbourne machte. Abgebildet wurden auch einige Korrespondenzstücke von oder an Schoppelt.

Bemerkenswert an der Edition ist auch die große Sorgfalt, mit der der Herausgeber seine selbstgestellte Aufgabe erledigt hat. Texte aus unterschiedlichen Quellen, die er zusammengeführt hat, werden durch entsprechende Hervorhebung kenntlich gemacht, Fußnoten erleichtern dem Leser den Zugang zu den Texten. Eine knappe, aber aussagekräftige Einleitung, Angaben zum Lebenslauf und familiären Kontext und eine detaillierte editorische Notiz runden dieses lesenswerte Buch ab. Im Vorwort schreibt der Klaus-Peter Stefan: „Dieses Buch wendet sich an interessierte Leserinnen und Leser, die sich gerne in entfernte Länder oder vergangene Zeiten entführen lassen möchten oder sich für Siebenbürgen und speziell siebenbürgische Persönlichkeiten interessieren. Gleichzeitig wendet es sich auch an Fachleute, die ein solches Zeitzeugnis historisch, ethnologisch, sprachlich oder genealogisch auswerten möchten.“ Es bleibt mir an dieser Stelle nur den Wunsch auszusprechen, dass das Buch möglichst viele interessierte Leser finden wird.

Zu beziehen ist der 190 Seiten starke Band über den Cardamina-Verlag unter dem Link https://www.cardamina.net/artikeldetails.php?aid=1117 zu einem Preis von 29 Euro zzgl. Versandkosten oder über den Buchhandel. Der Herausgeber Klaus-Peter Stefan ist für Nachfragen oder Anregungen zu erreichen unter k-peter-s[ät]web.de.

Hansotto Drotloff



Gustav Adolf Schoppelt: „Reisebeschreibungen 1895-1902. Von Siebenbürgen nach Australien, Russland und Surinam“. Herausgegeben von Klaus-Peter Stefan. Cardamina Verlag, Koblenz, 2024, 190 Seiten, 29 Euro, ISBN 978-3-86424-648-7.

Schlagwörter: Schoppelt, Buchbesprechung, Reisen, Mühlbach

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