25. März 2025
Frauen, Männer und alles dazwischen
Kurz vor Jahresende 2024 ist im Schiller Verlag ein Band mit Erzählungen von Karin Gündisch erschienen. Die gebürtige Heltauerin, die mit ihren Kinder- und Jugendbüchern („Geschichten über Astrid“, „Das Paradies liegt in Amerika“, „Im Land der Schokolade und Bananen“ u.a.) in Siebenbürgen, Deutschland und durch Übersetzungen auch international bekannt und vielfach ausgezeichnet worden ist, hat mit „Die Tür zum Paradies“ nach langer Zeit wieder ein Buch für erwachsene Leser vorgelegt. Als beherrschendes Thema kristallisiert sich das Machtgefälle zwischen Männern und Frauen heraus, wie es jedem und vor allem jeder tagtäglich begegnen kann.

Beim Lesen weicht die große Freude über Karin Gündischs neues Buch einer gewissen Ernüchterung. Ja, es geht um Ehepaare (ich bin selbst seit vielen Jahren Teil eines solchen, „wie sie überall vorkommen“), es gibt einen Bezug zu Rumänien (den auch ich habe), der charakteristische klare, nüchterne Schreibstil der Autorin ist unverkennbar und gut – aber es packt mich nicht, was da verhandelt wird. Gehöre ich vielleicht nicht zur Zielgruppe? Bin ich so zufrieden in meiner Ehe, dass ich mich mit der in allen Erzählungen aufscheinenden Sprachlosigkeit, der unerfüllten körperlichen Sehnsucht, der angestrebten Gleichberechtigung nicht identifizieren kann? Denn darum geht es ein ums andere Mal: Partnerschaft auf Augenhöhe, Erfüllung sexuellen Begehrens, geteilter Alltag mit allen Rechten und Pflichten. Leider sind diese Themen nach wie vor aktuell, und so musste Karin Gündisch für das vorliegende Buch „so gut wie nichts“ überarbeiten oder verändern, wie im Nachwort zu lesen ist. „Ich hätte die Erzählungen jetzt nicht besser schreiben können, als ich sie damals schrieb.“
„Anfangs war das natürlich anders, aber jetzt ist es so: Er furzt, sie stinkt nach Schweiß.“ Wenn eine Geschichte so beginnt und den Titel „Eine mittlere Katastrophe“ trägt, ahnt man schon, in welche Richtung es geht. Im Zustand der ersten Verliebtheit sind beide blind für die Unzulänglichkeiten des anderen oder sehen zumindest großzügig über diese hinweg, aber im Lauf der Zeit strebt sie nach Selbstverwirklichung und „er war von Natur aus bequem und sah in der Ehe eine Einrichtung, die seiner Kommodität aufs Beste dienen sollte“, was unweigerlich zu Konflikten führt. Ähnlich desillusionierend ist auch ein Satz aus der Erzählung „Ihr seid doch ein glückliches Ehepaar“: „Wenn man lange genug verheiratet ist, gewöhnt man sich auch ans Glück.“ Kann man sich an Glück gewöhnen? Ist man überhaupt fortwährend glücklich in einer lang andauernden Ehe? Nutzt sich das Glück irgendwann ab? Offenbar tut es das, wie man in der Geschichte des „glücklichen Ehepaars“ Liane und Hanno erfahren kann. Und wie steht es mit Zärtlichkeit und körperlicher Zuwendung? „Willst du vögeln, fragte er, oder schlafen wir? (…) Dann sah er auf die Uhr. Es ist schon wieder viel zu spät. Morgen habe ich viel zu tun. Schlaf gut!“ Eine verbale Ohrfeige zur guten Nacht – wünscht sich das nicht jede Frau? „Jede andere hätte er begehrt, dachte Julia. Sie aber war seine Ehefrau, stand fast immer zur Verfügung.“ Und dann muss sich diese Julia in der Erzählung „Die Nötigung“ auch noch von ihrem Mann fragen lassen: „Du willst mich doch nicht nötigen?“ Abgründe tun sich auf, wenn ein Mann einer Frau – seiner Frau – diese Frage stellt.
Was man aus der Lektüre der neun Erzählungen mitnehmen kann: dass Beziehungen Arbeit sind, man einander zuhören und sich auf sein Gegenüber einlassen muss, denn wenn man es nicht tut, wird man abhängig, unglücklich oder bleibt allein zurück; und dass Alltägliches in alltäglicher Sprache erzählt werden muss, denn dann wirkt es am besten, am unmittelbarsten, und darin ist Karin Gündisch eine Meisterin.
Im zweiten Teil von „Die Tür zum Paradies“ kann man die 1995 als eigenständiges Buch veröffentlichte Erzählung „Tage, die kommen“ lesen. Auf den Roman, der damals unter dem Titel „Liebe. Tage, die kommen“ (die Liebe ist offenbar auf der Strecke geblieben) im Freiburger Kore Verlag erschien, wurde Karin Gündischs Verleger Jens Kielhorn aufmerksam, weil er in seiner Buchhandlung antiquarisch bestellt wurde, und legte ihn nach Rücksprache mit der Autorin neu auf. „Ein Glücksfall für mich“, wie sie schreibt. In diesem Text steht ebenfalls ein Ehepaar im Mittelpunkt, aber hier liegt der Fokus noch deutlicher auf der weiblichen Erlebniswelt als in den vorangegangenen Geschichten. Die Erzählerin Adina ist verheiratet, Mutter von zwei Kindern im Teenageralter und arbeitet als Autorin. Im Urlaub mit der Familie wird sie ungeplant schwanger und reflektiert aus dieser quälenden Situation heraus die Themen Sexualität, Weiblichkeit, Mutterschaft, Abtreibung – sowohl als Betroffene wie auch als Schriftstellerin: „Sie wollte über die Liebe und den Leidensweg, der ihr als Frau durch die Gesellschaft, aber auch durch die eigene Sensibilität vorgezeichnet war, erzählen, über das Glück, mit Kindern zu leben, über äußere und innere Verletzungen, die sie in ihrem Frau-Sein geprägt hatten“. In Rückblenden werden ihr Heranreifen als Frau mit körperlichen Bedürfnissen, ihre Erfahrungen mit Männern, ihre Erziehung und die traumatische Geburt des ersten Kindes in Rumänien unter absurden hygienischen und medizinischen Verhältnissen beschrieben. Das Geburtserlebnis mündet trotz aller Widrigkeiten in Glück, findet allerdings einen Nachhall in der Gegenwart, in Deutschland: „Sie ist so glücklich über dieses Kind, dass sie alle durchgestandenen Qualen und Ängste auf der Stelle vergisst, und die Erinnerung daran wird erst wieder lebendig viele Jahre danach, als sie schwanger ist und nicht mehr gebären will und darf“.
Das Schreckgespenst Abtreibung lauert hinter jedem Geschlechtsakt, und „dass Abtreibung eine Frauensache ist“, weiß Adina, seit sie 14 ist und ihre Mutter in Rumänien zu einem solchen Eingriff begleitet hat. Sie selbst hat als erwachsene Erzählerin der Geschichte schon mehrere Schwangerschaftsabbrüche hinter sich, plagt sich mit den Erinnerungen daran und der Aussicht auf einen weiteren herum, reibt sich auf über „Männer, unnahbar, geschlechtslos“, die über sie „zu Gericht“ sitzen und „nicht die geringste Anteilnahme“ zeigen, denn „sie vertreten das Gesetz, und das ist unerbittlich“. Bis heute ist eine Abtreibung in Deutschland nicht straffrei möglich. In regelmäßigen Abständen flammen Diskussionen über den Paragrafen 218 in Gesellschaft und Politik auf, aber dass eine Frau, wie Adina sagt, „selbst bestimmen muss, ob sie noch ein Kind haben möchte, weil es um ihr eigenes Leben geht, und jede Veränderung ihres Lebens betrifft hauptsächlich sie selbst, so dass es normal ist, dass sie darüber bestimmt“, hat sich noch nicht im Gesetz und in den Köpfen der Verantwortlichen niedergeschlagen. So ist Karin Gündischs 30 Jahre alte „Liebes- und Abtreibungsgeschichte“, wie der ursprüngliche Untertitel lautet, bedauerlicherweise hochaktuell, denn dass Frauen das Recht haben sollen, selbst über ihren Körper und ihr Leben zu verfügen, muss zu ihrem Leidwesen immer noch und immer wieder verhandelt werden.
Doris Roth
Karin Gündisch: „Die Tür zum Paradies“. Schiller Verlag, Hermannstadt/Bonn, 2024, 180 Seiten, 9,95 Euro, ISBN 978-3-949583-66-7.Schlagwörter: Karin Gündisch, Buchbesprechung, Frauen, Gleichberechtigung, Literatur
20 Bewertungen:
Noch keine Kommmentare zum Artikel.
Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.