9. März 2025
In Österreich angekommen? Vor 80 Jahren: Evakuierung aus Nordsiebenbürgen 1944-1945
Adolf Wagner, Pfarrer aus Wallendorf und Bezirkssenior, berichtet gegen Jahresende 1944 an den Generaldechanten der Evangelischen Kirche A.B. in Nordsiebenbürgen, Dr. Carl Molitoris, damals Ried/Innkreis (Oberösterreich), über den Verlauf der Evakuierung der Wallendorfer bis zur Ankunft in Waldhofen a.d. Thaya. Das Original ist verschollen. Durch eine Reihe von Zufällen kam die Zweitschrift in den Besitz des Heimatmuseums – Haus der Südostdeutschen – in D-6741 Böchingen/Pfalz, wo er – wiederum durch einen Zufall – entdeckt wurde.

Pfarrer Adolf Wagner berichtete Ende 1944:
„Über Horn, Brunn, Göpfritz kamen wir am 4. November mittags in Waidhofen an. Unser Empfang war freundlich. Auf dem Hof der Oberschule wurden die Wagen aufgestellt. Wir übernachteten auf frischem Stroh in geheizten Räumen der Schule, die kleinen Kinder wurden gebadet, die anderen konnten sich duschen. Zum ersten Mal auf der langen Fahrt bekamen wir das gemeinsame Essen auf Tellern mit Gabeln und Messern bei gedeckten Tischen aufgetragen. Auch äußerlich wurde durch dies zum Ausdruck gebracht: Ihr Flüchtlinge seid unsere Volksgenossen.
Am Abend machten wir die Aufteilung der Familien auf die Gemeinden des Kreises. Außer uns sind die Pintaker, Batschkaer, Wiener und Bombengeschädigte aus dem Altreich hier untergebracht. Wahrlich keine leichte Aufgabe. Wir Wallendorfer – eine Woche nach uns ist auch der Kuhtreck vollzählig angekommen – sind in 40 Orten untergebracht. Es fällt uns schwer, dass wir so weit auseinandergerissen sind. (…) Beim Frühstück baten unsere Gastgeberinnen, wir sollten eines unserer Lieder singen. Ich wählte ,Siebenbürgen, Land des Segens‘. Schwer konnten wir es zu Ende singen, auch die härtesten Männer hatten Tränen in den Augen. (…) Zweimal bin ich mit vielen Wallendorfern zusammen gewesen (Vorführung bzw. Ablieferung der Pferde). Ich habe den Eindruck, dass die meisten Hausleute den Flüchtlingen entgegenkommen, einige wollen sie ausnützen; die meisten Wallendorfer trachten, sich in die neuen Verhältnisse einzuleben, sie haben sich in den Arbeitsprozess eingeschaltet, andere wieder können sich nicht drein finden, ähnlich einem Dienstboten zu arbeiten; sie meinen auch, es nicht nötig zu haben, da sie von ihrem Gelde bei den hiesigen billigen Preisen auch ohne viel Verdienst ein, zwei Jahre leben könnten. Sie sind sich nicht bewusst, dass gerade in der Gegenwart die Arbeit einen höheren Sinn hat, als durch sie Geld zu verdienen. (…) Die schwerste Stunde, noch schwerer als der Abschied von der Heimat, war, als wir uns in Waidhofen trennten. Jeder spürte: Unsere Gemeinde ist aufgelöst. Das Gemeinschaftsbewusstsein ist vielleicht in keiner anderen Volksgruppe so stark wie bei uns Sachsen, es ist in 800 Jahren gewachsen. Es hat jedem den stärksten inneren und äußeren Halt gegeben. Und jetzt, da sein ganzes Leben auf eine ganz andere Grundlage ohne jeden Übergang gestellt ist, ist er aus dieser Gemeinschaft herausgelöst. Werden nicht viele haltlos werden? Gemeinschaft der Sachsen, wenn auch nur in beschränktem Maße – und diese tut uns not, damit wir auch in dieser Zeit uns als rechte Deutsche bewähren – ist nur auf dem Boden der Kirche möglich. Vielleicht noch nie war unsere Kirche vor eine so schwere Aufgabe gestellt. Von ihrer Lösung hängt in hohem Maße die Haltung unseres Volkes der Kirche gegenüber ab. Werden wir Pfarrer dies leisten können? (…)“
Textauswahl: Horst Göbbel
Quelle: Manuskript im Nachlass von Dr. Ernst Wagner im Siebenbürgen-Institut Gundelsheim, Ende 1944Schlagwörter: Flucht und Evakuierung, Nordsiebenbürgen
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