10. Juni 2025

In Österreich nach dem 8. Mai 1945: Evakuierung aus Nordsiebenbürgen vor 80 Jahren

In Österreich änderte sich die Lage der Flüchtlinge nach dem 8. Mai 1945 (Kriegsende) grundlegend. Aus evakuierten Volksdeutschen wurden asylsuchende Flüchtlinge und Heimatvertriebene. Am 15. Mai 1945 kam Österreich unter die Besatzung der vier Siegermächte: Sowjetunion, USA, Großbritannien, Frankreich. Oberösterreich und zum Teil auch Salzburg wurden nun im wahrsten Sinne des Wortes von Flüchtlingen überflutet.
Bericht Emma Gassner 1956 letzte Seite Faksimile, ...
Bericht Emma Gassner 1956 letzte Seite Faksimile, Bundesarchiv – Zweigstelle Bayreuth
Zu den 900.000 Einwohnern Oberösterreichs laut letzter Zählung 1935, kamen nach dem Anschluss 1938, dem Bau der Schwerindustrie und dem Kriegsende über 800 000 Menschen hinzu. Diesen Ansturm zu verarbeiten, die Ernährung in den kargen Jahren zu organisieren und halbwegs Ordnung zu bewahren, war fast ein Ding der Unmöglichkeit. Die Flüchtlinge belasteten zusätzlich das Land. Die Besatzung hatte eigentlich kein Konzept, wie man mit den evakuierten und vertriebenen Volksdeutschen umzugehen habe. Zunächst fühlten auch die Siebenbürger Sachsen Ablehnung durch die Besatzer, jedoch sehr früh veränderte sich die amerikanische Haltung und man erfuhr von Ihnen auch Verständnis und Hilfsbereitschaft. Die österreichischen Behörden sahen sich jedoch jahrelang nicht in der Lage, die Flüchtlinge neu zu integrieren, da man eher bereit war und bemüht, sich dieser Erblast des Dritten Reiches so schnell wie möglich zu entledigen. In Österreich wuchs zusehends die Abneigung gegen alle Flüchtlinge, besonders aber gegen die zahlreichen volksdeutschen Flüchtlinge. Die einstigen Volksgenossen und Mitkämpfer, die man 1944 herzlich willkommen geheißen und sie als Brüder anerkannt hatte, waren auf einmal Ballast, lästiger Hemmschuh, ungeliebtes Pack. Es galt, sich so schnell als möglich, dieser Last aus politischen, wirtschaftlichen und finanziellen Gründen zu entledigen. Die Besatzungsmächte hatten Österreich verpflichtet, die Kosten für alle Flüchtlinge zu tragen, und man fühlte sich überfordert und überlastet. Andererseits wurden diese Menschen als Arbeitskräfte in besonderem Maße benötigt. Etwa zehn Jahre dauerte es, bis auch die in Österreich verbliebenen Siebenbürger Sachsen (um 1950/51 durften etliche Tausend nach Kanada und in die Vereinigten Staaten ausreisen und 1953/54 nach Nordrhein-Westfalen im Rahmen der sogenannten „Kohleaktion“) um die österreichische Staatsbürgerschaft ansuchen durften. Zwischendurch wollten sie geschlossen auswandern und dafür wurden verschiedene Umsiedlungspläne in Erwägung gezogen. Etwa Auswanderung nach Ecuador, Argentinien, Chile, Brasilien, Frankreich oder Luxemburg. Es kam jedoch zu keiner Umsiedlung in die genannten Länder. Frankreich beispielsweise erklärte sich für eine Ansiedlung in schwach bevölkerte Provinzen bereit, knüpfte daran aber die Bedingung, sowohl in Kindergärten als auch in Schulen nur die französische Sprache zuzulassen. Einzelne Familien sind nach Argentinien, Brasilien oder Aus­tralien gelangt. Inzwischen haben die Siebenbürger Sachsen in Österreich nicht nur Heimat gefunden, sie sind hoch geachtete österreichische Staatsbürger, die auch kulturell ein hohes Ansehen genießen.

Aus dem Erlebnisbericht von Emma Gassner (Hausfrau, 45 Jahre alt) 1956:

„Es vergingen Monate, und der Krieg nahm noch immer kein Ende, dafür aber unser Geld. Nach einer Aussprache erhielten wir dann die Erlaubnis, uns selber zu verpflegen. Es war nicht so einfach, denn wir mussten nun die ganzen Lebensmittel für 10 Personen auf dem Rücken herbeischleppen. Der nächste Bäcker und Kaufmann war 5 km entfernt, dann musste man noch Schlange stehen. Es hieß nun, sehr sparen und einteilen, denn wir hatten doch auch keine Kartoffeln eingekellert. Am schwersten war es, wenn die Kinder noch Hunger hatten und um ein Stückchen Brot baten, und man „nein“ sagen musste, sonst hätte es am nächsten Tag gefehlt. Dann kam aber die traurigste Zeit. In den Tagen des Zusammenbruchs kam mein Mann ganz krank bei mir an. In dem Dorf gab es wohl einen Arzt, doch für die großen Entfernungen im Gebirge viel zu wenig. Nach langem Warten kam endlich der Arzt an. Er konnte nichts Genaues feststellen, man vermutete Nikotinvergiftung, Gallenkolik etc. Am nächsten Tag war der Blinddarm geplatzt. Das nächste Krankenhaus war 35 km entfernt, auch unerreichbar, da alle Telefonverbindungen abgeschnitten und alle Straßen mit Amerikanern besetzt. Auch sonst wäre ein Transport zu lebensgefährlich gewesen. Der Arzt verheimlichte mir die ernste Lage nicht, ich musste auf das Schlimmste gefasst sein. Da konnte kein Mensch mehr helfen, nur die Natur allein. Wir falteten die Hände und beteten mehr denn je, und Gott hat uns geholfen. Er musste viele Wochen liegen, zuerst daheim, dann im Krankenhaus. Als man ihn nach Hause brachte, war er nur noch ein Skelett und musste gehen lernen. Er sollte nur wieder zu Kräften kommen, aber vergebens ging ich von einem Bauern zum anderen, sie hatten kein Mitleid mit uns Flüchtlingen. Sie hatten doch nichts verloren, da war kein Feind, auch keine Bomben gefallen. Milch, Butter und Eier gab es nur für solche, die etwas zu tauschen hatten, denn es gab ja nichts zu kaufen. Obwohl unser Gutsbesitzer selbst täglich 100 l Milch von seinen eigenen Kühen hatte, blieb er hartherzig wie alle anderen und gab keinen Tropfen ohne Mark ab. So musste ich vieles den Kindern entziehen, um dem Vater ein kräftiges Essen zu bereiten.

Quelle: Ost-Dok. 2, Nr. 350 - pag. 95-108

Textauswahl: Horst Göbbel

Schlagwörter: Evakuierung, Weltkrieg, Nordsiebenbürger, Österreich, Flüchtlinge

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