17. Juli 2025
Dr. Irmgard Sedler führte beim Heimattag in Dinkelsbühl in die Ausstellung über Keramik und Ritual ein
Sehr gut besucht war die erste Veranstaltung des Heimattages, die Midissage der Ausstellung „,Bruder mein, schenk frisch ein, lass uns alle lustig sein‘ – Keramik und Ritual“, am Freitag, dem 6. Juni 2025, in Dinkelsbühl. Begrüßt wurden die Gäste im Haus der Geschichte von dessen Leiterin Ute Heiß, Dinkelsbühls Bürgermeisterin Nora Engelhard und Bundesvorsitzender Rainer Lehni, die sich über die vorzügliche, seit Jahren bestehende Zusammenarbeit zwischen dem Siebenbürgischen Museum Gundelsheim und dem Haus der Geschichte freuten. Aus der Museumssammlung wurden neben Töpferwaren für den alltäglichen Gebrauch auch besondere Gefäße ausgestellt, die mit den Bräuchen und Ritualen der Zünfte, Nachbar- und Bruderschaften sowie persönlichen Ereignissen wie Hochzeit, Kindbett oder Taufe verbunden sind. Dr. Irmgard Sedler, Vorsitzende des Siebenbürgischen Museums Gundelsheim e.V., hielt eine hervorragende Einführung in die Ausstellung, die im Folgenden wiedergegeben wird.

Bei diesem engen Zusammenleben bedurfte es dann auch wichtiger, vor allem augenscheinlicher Zeichen des Unterschieds. Neben der ethnischen Zugehörigkeit, der Sprache und der unterschiedlichen Konfession, die zu den Grundelementen von Identität gehören, etablierten sich dementsprechend jeweils kulturell prägende Identitätssysteme, die symbolisch verstärkt ab dem 19. Jahrhundert als konkurrierende nationale Modelle funktionierten. Innerhalb dieser Modelle gab und gibt es viele weitere, meist materielle Zeichen, die man ausschließlich als die eigenen empfand. Die Sachsen hatten ihre, Rumänen, Ungarn, Landler und Roma die entsprechend ihrigen. Unter anderem war es die Tracht, die von allen in ihrer als ethnisch-kulturelle Codierung empfundenen Zeichenhaftigkeit verstanden und erkannt wurde: sächsische, landlerische, ungarische, „zigeunerische“.
Um den Fokus auf das spezielle Thema der irdenen Gefäße zu richten: Man spricht von „sächsischen Krügen“, von „ungarischen“, von „rumänischen“, die oftmals im Aussehen gleich sind, gar aus derselben Werkstatt stammen. Stimmt nun eine solche ethnisch-kulturelle Zuordnung? Nun ja, sie stimmt und stimmt, gerade bei der Keramik, so auch nicht.

Man hat viel über Keramik geschrieben, über Herstellungszentren und Dekorationen, aber ihre symbolbefrachtete Implikation im Bereich sächsischer Selbstdarstellung und standesgemäßer Repräsentation stand nie im Vordergrund der meisten keramischen Abhandlungen.
Der bunt bemalte Krügelrahmen, der unter der Decke die Wände entlangläuft, gehört zu den ältesten Einrichtungsgegenständen der Wohnstube. Dieses ist ein einfaches, nagelbestücktes Wandbrett, an dem die Krüge hängen. Es ist nach oben hin mit Profilleisten ausgestattet, die es zugleich als Tellerbord kennzeichnen. Die handlichen „irdenen Krüge“ wurden früher, bevor der Krügelrahmen zum ausschließlichen Dekorationsgegenstand wurde und bis heute in Deutschland in so mancher siebenbürgisch-sächsische Wohneinrichtung zu finden ist, bei Hochzeiten und Taufen in Gebrauch genommen.

Die Kannen selbst waren Stiftungen dieser Amtsträger. Inschriften verewigten deren Namen, das Jahr der Schenkung, hin und wieder zierten Sinnsprüche die bauchige Oberfläche des Gefäßes. Die Nachbarschaftskannen wurden bei der Übergabe des Amtes in der Prozession des „Ladenforttragens“ von einem Nachbarvater zum anderen mitgetragen. Der reservierte Platz für die wichtigsten, d.h. jüngsten ein bis zwei Kannen – für gewöhnlich waren es insgesamt vier bis fünf – befand sich in der Guten Stube (der „Vedderstuf“) im Wirtschaftseck auf einem „Kräjebinkeltchen“ / Krügelbänkchen oder aber seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert auf dem hier stehenden Schubladkasten. In ihnen wurde der „Nachbarwein“ aus dem Keller in die Stube gebracht und bei Zusammenkünften kredenzt.

Auch bei den Festlichkeiten und im rituellen Zusammenhang im Lebenslauf des Einzelnen und der Familien spielten die irdenen Gefäße eine Rolle – von der Wiege bis zur Bahre. Als Hochzeitsgeschenk gab die Bruderschaft einem der Ihren entweder eine schöne Zinnplatte oder aber einen aufwändig gestalteten Hochzeitskrug. Tief in den Bereich des Volksglaubens tauchten zudem die Rituale des Topfzerschlagens ein. (Bis heute gehört der Polterabend mit dazu, ohne dass man mehr an seine Ursprünge denkt.) Die Bruderschaft veranstaltete beim Abschied ihres Bruders, des Bräutigams, den Brauch. Unter zeremoniellem Absingen hieß es: Det Schessдǝn nit na nichen Ojngd, / na kit ās Pålver drun; / mǝr nīën dǝ Bissǝn än dǝ Hånd, / dä mir vum Däppner hun. / Schesst dat et kråcht! Schesst dat et kråcht! / Ir Wirtschåft sål gǝdåjn, / Esefelt Gäldǝn selt ir hun, / wä wat hä Scherwǝn låjn. (Das Schießen nimmt durchaus kein End‘, / da kommt auch unser Pulver dran; / wir nehmen Büchsen in die Hand, / die wir vom Töpfer hab’n. / Schießt, dass es kracht! Schießt, dass es kracht! / Eur‘ Wirtschaft soll gedeihn! / So viel Gulden sollt ihr hab’n, / wie Scherben wir hier streu’n!“
Bei den Siebenbürger Sachsen wurde zudem der Hochzeitstopf, wenn er nicht von der Nachbarschaft ausgeliehen war, am Ende des Hochzeitsfestes zerdeppert: „Himen gohn, Däppen schlon“. Die Gäste beschworen mit diesem Spruch und der magische Geste des Topfzerschlagens die Zuversicht eines Neubeginns herauf, eines vom alten Bösen gereinigten und von zukünftigen Glück bestimmten Lebens für das junge Paar. Dabei wurde dieses in der Zukunft zu erwartende Gute auch auf sich selbst bezogen.


Schließlich gehört die Taufe als wichtiges Sakrament mit zum innersten Kern des christlich-protestantischen Selbstbildes. Das Erlebnis der „Kaimesz“ (Kindelmesse, Taufe) zielt nicht ausschließlich auf ein Handeln am Täufling. Es ist ein Gesamtgeschehen, welches alle an der Feier Teilnehmenden erfasst und in seine spirituelle Eigendynamik hineinzieht. In diesen Kontext gehört die Patenschüssel. Das kann (die materiellen Belege reichen hier nur bis ins 19. Jahrhundert zurück) eine bauchige bis konische, tiefe Schüssel aus Steingut oder Fayence sein, in deren Mitte ein irdenes Töpfchen mit Rahm oder aber Butter gestellt wurde.

Zu dem Konstanten und wenig Veränderbaren im Brauchgeschehen rund um den Tod gehört bis heute die Totenwache und das „Tränenbrot“, das gemeinschaftliche Speisen der nachbarschaftlichen Trauergemeinde nach der Beerdigung. Die kulturelle Erinnerung forderte bis ins späte 20. Jahrhundert, dass jedem Trank aus dem Krügelchen eine Geste zum Gedenken an den Verstorbenen voranzugehen hatte: Aus dem Krügelchen von der Rähm, später aus dem Glas, schütte man jedes Mal ein paar Tropfen Wein auf die Erde. In der christlichen Gewissheit der Auferstehung wurde diese Gabe „an den Toten“ von einem Segenswunsch begleitet: „Åsǝr Herrgott gäf äm dǝ Rā ǝnd erfrå äm dǝ Sīl äm īwigǝn Liëwǝn.“ („Unser Herrgott gebe ihm die Ruh und erfreue ihm die Seele im ewigen Leben.“).
Somit schließt sich mit den über Generationen so viel geliebten Tonkrügelchen ein Brauchtumskreis. Die irdenen Gefäße verweisen in der Ausstellung des Siebenbürgischen Museums kulturgeschichtlich auf tradierte Muster einer Lebensbewältigung, die längst vergangen ist. Auch das nachbarschaftliche Gemeinschaftsleben ist seit dem Exodus der Siebenbürger Sachsen in den 1990er Jahren in Siebenbürgen so nicht mehr vorhanden. Allerdings haben unsere Recherchen gezeigt, dass aus der kulturellen Erinnerung heraus noch vieles an Wissen und Konventionen rund um diese Objekte bei älteren Generationen vorhanden war und bleibt. Solchen Schatz zu heben, dazu soll die Ausstellung anregen.
Schlagwörter: Heimattag 2025, Dinkelsbühl, Ausstellung, Keramik, Irmgard Sedler
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- 17.07.2025, 10:11 Uhr von wurzelbrot: Toller Artikel. [weiter]
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