8. November 2007

Dissertation: Samuel von Brukenthal

Die im vergangenen Sommer von dem aus Sächsisch-Regen, Siebenbürgen, stammenden, in Vöcklabruck, Oberösterreich, lebenden Magister Erwin Horst Schuller dem Kultur- und Gesellschaftswissenschaftlichen Lehrstuhl der Universität Salzburg vorgelegte Dissertation „Samuel von Brukenthal (1721–1803)“ ist von weiter reichendem Interesse als nur dem der „Erlangung des Doktorgrades“. Denn was ihr Autor im Untertitel mit „Ein kultureller Brückenschlag unter Maria Theresia zwischen Wien und dem Großfürstentum Siebenbürgen“ präzisiert, wurde auf 328 DIN-A-4-Seiten zu einer ausholenden, fundierten Beschreibung nicht allein des in der Geschichte der Siebenbürger Sachsen zu den Großen gehörenden Freiherrn, sondern zur Schilderung des Kulturverständnisses einer Epoche mit besonderer Berück­sichti­gung der Verbindungen Wien – Siebenbürgen.
Wie im Untertitel angezeigt, lässt E. H. Schul­ler die mehrfachen kriegerischen Verstrick­ungen der Erzherzogin von Österreich und Königin von Böhmen und Ungarn Maria Theresia unbeachtet – immerhin die Epoche der Auseinandersetzungen mit dem Preußenkönig Friedrich II. dem Großen –, er veranschaulicht an der Persönlichkeit Brukenthals vielmehr die von Wien auf Siebenbürgen ausstrahlende prägende Kraft des Kulturverständnisses und -stils. Sie fand in dem am 26. Juli 1721 in Leschkirch im Harbachtal als jüngstes von fünf Kindern des Königsrichters Martin Breckner geborenen späteren Freiherrn von Brukenthal das ideale Medium.

Souverän auf dem politischen Parkett der Kaiserstadt Wien – wenn auch pausenlos angefeindet –, von überragender Bildung in vielfachen Bereichen und aufgeschlossen als genialer Kunstsammler, vereinigten sich in ihm Eigenschaften, deren Außerordentlichkeit nicht zuletzt darin bestand, dass er sie ohne Zögern in den Dienst der Herkunftsgemeinschaft und -landschaft stellte. Das unter Kennern vielzitierte „Fidem genusque servabo“ als Leitspruch seines Lebens ist zugleich die knappste Formel seiner Wirksamkeit. Der Berater und persönliche Vertraute der habsburgischen Herrscherin, die ihm seine zuverlässige Loyalität unter anderem damit dankte, dass sie ihm gegen Mauscheleien und Intrigen den Rücken frei hielt, galt auch in Wien als Ausnahmeerscheinung. Als er am 9. April 1803 in Hermannstadt starb, hinterließ er ein Siebenbürgen, das nicht nur dank des von ihm erarbeiteten und durchgeführten Steuer­systems geordneter, sondern auch um eine beachtliche Dimension des Kulturellen reicher war; sie verbindet sich bis heute mit seinem Namen. Die Synthese aus Weltläufigkeit und Heimatbindung, die in Brukenthal ihren Aus­druck fand, kannte in Siebenbürgen seit Johan­nes Honterus (1498 - 1549) nicht ihresgleichen.

Erwin Horst Schuller verteilt seinen Stoff auf sechs große Kapitel, zu denen sich Einleitung, Zusammenfassung, Literaturverzeichnis und Abbildungsteil gesellen: Herkunft und Aufstieg; Dienstjahre in Wien; Gubernator und Kunst­freund; Bauherr und Unternehmer; Sammler und Mäzen; Das kulturelle Erbe. Umsichtig er­läutert Schuller das Anliegen jedes dieser Kapitel mit der Darstellung des geschichtlichen Hintergrunds, ehe er auf Brukenthals activitas im Einzelnen zu sprechen kommt. So entwirft er z.B. hinsichtlich der frühen Aufnahme des 22-jährigen Brukenthal in die Wiener Freimaurer­loge „Aux Trois Canons“ zunächst ein Bild der Freimaurerei im Wien jener Epoche. Oder: Bevor er sich über die siebenbürgische Hof­kanzlei in Wien auslässt, skizziert er deren Ge­schichte seit der Gründung 1696 bis hin zu ihrem wechselnden Sitz in verschiedenen Straßen der Stadt. Das Kapitel über Bruken­thals kulturelles Erbe wiederum, in dem es vornehmlich um die damals schon international beachteten Brukenthal-Sammlungen geht, leitet er mit einem summarischen Abriss über Ent­stehung und Entwicklung der bedeutenden europäischen Kunstsammlungen seit jener der Medicis in Florenz 1739 ein. Usw. Auf diese Weise gewinnen Tätigkeit und Persönlichkeit Samuel von Brukenthals nicht nur an Anschau­lichkeit, sondern vor allem ein Maß der Ver­ankerung in der Zeit und deren Charakterika, das der Darstellung die geistige Weite europäischer Kulturerörterung verleiht.

Die Kleinarbeit, der sich Schuller dabei unterzog, mag für ein Skriptum dieser Gattung selbstverständlich erscheinen; sie ist es wohl auch. Einer der Vorzüge der Dissertation aber liegt darin, dass die in Text und Fußnoten aufscheinenden Daten in einer Weise dem Vortrag einverleibt wurden, die der Lektüre keinerlei Erschwernisse aufbürdet. Das erklärt sich u.a. aus Schullers Fähigkeit, den Stoff trotz aller Wissenschaftlichkeit erzählend auszubreiten. Es wird besonders an jenen Stellen sichtbar, wo er – um Brukenthals zeitgebundene Position verständlich zu machen – in die Geschichte zurückgreifen muss. Darüber hinaus ist das Datengerüst so in die Darstellung verwoben, dass es nicht als hemmend, sondern als informativer Gewinn empfunden wird. Das Span­nungsfeld, das sich aus der Polarität zwischen Brukenthals lutherischem Bekenntnis und dem Erzkatholizismus des Wiener Adels ergab und sich über Maria Theresias Tod (1780) hinaus erhielt, wird dabei ebenso wenig übergangen wie Brukenthals Freude am Glanz öffentlicher Auftritte.

Brukenthals entscheidendes Lebenswerk – neben der schwierigen Erarbeitung eines im sozial sehr unterschiedlich gelagerten Groß­fürstentum Siebenbürgen praktikabeln Steuer­systems, man denke an die Arroganz des reichen madjarischen Adels und an die Masse leibeigener Rumänen – blieben bis heute seine vielfachen Sammlungen: Bücher und Handschrif­ten, Gemälde und Kupferstiche, Münzen und Antiken, Mineralien. Ohne dies vom wohlhabend gewordenen Freiherrn in Jahrzehnten erworbene, nach Siebenbürgen transportierte, dort in dem von ihm finanzierten Bauten untergebrachte Kunst- und Kulturgut wäre z.B. im 21. Jahrhundert Hermannstadt als europäische „Kulturhauptstadt“ kaum denkbar gewesen, hätte Hermannstadt überhaupt an innersiebenbürgischer Bedeutung empfindlich eingebüßt. Schuller gliedert nicht nur die unterschiedlichen Sammlungen übersichtlich auf, er widmet sich summarisch auch dem Erbe bis in unsere Tage herauf. Unausgesprochen schwingt dabei die Frage nach dessen Zukunft mit. Wie lange noch wird die von Deutschen in jenem Raum erbrachte Kulturleistung als solche Bestand haben? Enthusiastische Geister mögen auf den „europäischen Geist“, das „europäische Lebens­verständnis“ u.a. verweisen. Die Praxis weist auf andere schleichende Entwicklungen hin.

Auch so gesehen, ist auf eine baldige Veröf­fen1ichung in Buchform der vortrefflichen Arbeit Erwin Horst Schullers zu hoffen. Denn sie ist nicht allein ein hochgelehrtes Opus, sie ist auch ein Lesebuch für jeden, der sich zum Thema „Siebenbürgen“ weiterbildend kundig machen will. Auf den gediegenen Arbeiten der Johann Carl Schuller, Johann Georg Schaser, Theodor Frimmel, Joseph Lucas Marienburg, Alfred Ritter von Arneth, Georg Adolf Schuller, Julius Bielz und anderer aufbauend und neue Gesichtskreise eröffnend, darf sie als das Beste bezeichnet werden, was wir heute über den großen Freiherrn aus dem kleinen Dorf im Harbachtal in die Hand nehmen können.

Hans Bergel

Schlagwörter: Brukenthal, Dissertation

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