27. Januar 2009

Kompakter Kunstführer durch Hermannstadt

Das erhöhte öffentliche Interesse, das Hermannstadt anlässlich seiner Nominierung zur Kulturhauptstadt Europas 2007 in Deutschland zuteil wurde, spiegelt sich auch im Entschluss des Regensburger Schnell & Steiner-Verlags, der Stadt einen Band in der Reihe seiner renommierten Großen Kunstführer zu widmen. Mit dem Band „Hermannstadt/Sibiu. Ein kunstgeschichtlicher Rundgang durch die Stadt am Zibin“ wurde zugleich eine in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Kulturforum östliches Europa herausgegebene neue Reihe begründet, die inzwischen mit einem 2008 erschienenen Band zu Kronstadt ihre Fortsetzung gefunden hat.
Verfasser beider Bände ist der freischaffende Berliner Kunsthistoriker und Denkmalpfleger Arne Franke, dessen Kirchenburgenführer „Das wehrhafte Sachsenland“ ebenfalls 2007 in der Schriftenreihe des Kulturforums erschienen ist.

Im vorliegenden Band wird an Hand von Stadtspaziergängen der historische Hermannstädter Baubestand vorgestellt. Auf einen von Harald Roth verfassten, knapp einleitenden geschichtlichen Überblick folgt zunächst ein gesonderter Abschnitt zur Evangelischen Stadtpfarrkirche. Neben der Baugeschichte liegt der Fokus vor allem auf einer ausführlichen Beschreibung des Außenbaus sowie des Inneren samt Ausstattung. Im Anschluss folgen die genannten Spaziergänge, die den Besucher durch das historische Stadtzentrum aus Unter- und Oberstadt führen und in deren Verlauf zahlreiche Sakral- und öffentliche Bauten, Bürgerhäuser, Straßen- und Platzanlagen sowie Teile der Stadtbefestigung vorgestellt werden.
Die zu den einzelnen Gebäuden präsentierten Informationen variieren in ihrer Ausführlichkeit, umfassen jedoch zumeist Angaben zu Datierung, Künstler, Bauherr, Funktion und Geschichte. Darüber hinaus werden Epocheneinordnungen vorgenommen und Hinweise auf interessante Bauteile oder Ausstattungsstücke gegeben. Die Orientierung wird durch eine Karte nebst Register der wichtigsten Bauten erleichtert. Der gut lesbare und klar gegliederte Text und das übersichtliche Layout erhöhen den praktischen Nutzen. Im Unterschied zu einem klassischen Stadtführer ist der Band mit zahlreichen, teils großformatigen Abbildungen ausgestattet. Aktuelle Fotografien, die zumeist bereits den Zustand nach der Restaurierungswelle 2006 zeigen, werden mit historischen Ansichten sinnvoll kombiniert. Im Anhang findet sich ein Verzeichnis der wichtigsten weiterführenden deutschsprachigen Literatur, wobei die zahlreichen Neuerscheinungen anlässlich des Kulturhauptstadtjahres 2007 selbstverständlich nicht mehr berücksichtigt werden konnten. Monographien, Stadtführer und Bildbände zur Geschichte Hermannstadts und seinem Kulturerbe werden aufgeführt. Man vermisst lediglich den von Marc van Wijnkoop Lüthi und Paul Brusanowski herausgegebenen Kirchenführer „Christentum in Hermannstadt“ von 2002.

Zur Hermannstädter Baugeschichte ist seit Erich Michael Thalgotts Studie von 1934 kein monographisches epochenübergreifendes Überblickswerk mehr erschienen. In der Zwischenzeit wurden zahlreiche Studien zu einzelnen Bauwerken und Epochen, wie Hermann Fabinis „Architektur der Gotik in Hermannstadt“ von 1989 oder Hanna Derers „Sibiu – arhitectura în epoca barocă“ von 2003 vorgelegt. Dies und der Umstand, dass Thalgott mit der Epoche des Klassizismus Anfang des 19. Jahrhunderts endet, machen eine aktualisierte Hermannstädter Baugeschichte zu einem Desiderat. Auch der vorliegende Band will und kann diese Lücke nicht schließen. Er zielt auf die Bereitstellung kompakter Informationen zu den Einzelobjekten bei der Besichtigung vor Ort ab. Auf weitergehende kunsthistorische Einordnungen oder das Aufzeigen von objektübergreifenden Entwicklungslinien wird dementsprechend verzichtet. Wünschenswert wäre allerdings eine knappe einführende Darstellung der städtebaulichen und baugeschichtlichen Entwicklung gewesen, die dem Leser eine bessere Einordnung der Informationen zu den Einzelobjekten ermöglicht hätte.

Zu überdenken wäre, ob die Beschränkung auf das historische Zentrum bei der Auswahl der Spaziergänge im Falle einer Neuauflage beibehalten werden soll. Die Hinzunahme einer Route durch die Josefsvorstadt entlang der Schewisgasse/B-dul Victoriei und der Mühlgasse/Str. Andrei Șaguna scheint sinnvoll, da sich hier zahlreiche repräsentative öffentliche Bauten aus der Zeit um 1900 konzentrieren. Dazu zählen etwa das Volksbad des bedeutenden Münchner Architekten Karl Hocheder, das Justizpalais oder die Sommerresidenz des Metropoliten von Siebenbürgen.

Gelegentliche Ungenauigkeiten lassen eine knapp bemessene Bearbeitungszeit vermuten. So wurden Waisenhaus und Johanniskirche in ihrer ursprünglichen Form 1883 nicht von Josef Bedeus von Scharberg errichtet, was schon die angegebenen Lebensdaten (1889-1960) nahelegen, vielmehr entwarf Bedeus von Scharberg die aufgrund von Bauschäden nötig gewordenen Neubauten des Jahres 1913.

Einige der vorgestellten Objekte hätten eine ausführlichere Darstellung verdient. So werden die Synagoge in der Salzgasse/Str. Constituției und die reformierte Kirche in der Fleischergasse/Str. Mitropoliei als beredte Zeugnisse des multikonfessionellen Hermannstadt jeweils nur mit einem Halbsatz bedacht. Gerade im Falle der Synagoge wäre es von Interesse gewesen, auch auf das Innere mit seiner reichen original erhaltenen Ausstattung einzugehen. Zudem greift die Stilzuweisung „neoromanisch“ bei diesem differenziert gestalteten, mit neoislamischen Stilelementen versetzten Bau zu kurz.

Der vorliegende Band sei all jenen empfohlen, die sich einen Überblick über den Hermannstädter Baubestand verschaffen wollen, aber die zeitaufwändigere Nutzung der nur noch antiquarisch zu erstehenden, umfassenden Denkmaltopographie von 1999 scheuen. Dem kunstgeschichtlich interessierten Hermannstadt-Besucher ist das Buch ein nützlicher Leitfaden bei der Stadtbesichtigung. Durch seine zahlreichen großformatigen Farbabbildungen wird es zudem zu einem ansprechenden Erinnerungsstück an den Aufenthalt und vermag auch bei denjenigen, die Hermannstadt noch nicht kennen, Interesse an der Stadt am Zibin zu wecken. Ein Vorteil gegenüber einem vergleichbaren Bildband ist nicht zuletzt der moderate Preis. So ist es das Verdienst des Kunstführers, einem breiten Publikum in Deutschland das historische Kulturgut Hermannstadts bekannt zu machen.

Timo Hagen

Arne Franke: „Hermannstadt/Sibiu. Ein kunstgeschichtlicher Rundgang durch die Stadt am Zibin“. Mit einer historischen Einführung von Harald Roth (Band 231 der Reihe „Große Kunstführer“ des Schnell & Steiner Verlags / Band 1 der Reihe „Große Kunstführer in der Potsdamer Bibliothek östliches Europa“, hg. in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Kulturforum östliches Europa), Regensburg 2007. 48 Seiten, 58 Farb- und 3 Schwarzweißabbildungen, 1 Karte, 1 Grundriss, fadengehefteter Pappband, Format: 17 x 24 cm, Preis: 9,90 Euro, ISBN13: 978-3-7954-2004-8.

Schlagwörter: Rezension, Hermannstadt, Reiseführer

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