1. Februar 2009

Gusto Gräser - Dichter im Wahrheitsberg

Wenn ein Hügel „Berg der Wahrheit“ getauft wird, wie der Monte Verità von Ascona, dann beflügelt das die Phantasie. Und wenn ein junger Dichter – wie der Kronstädter Gusto Gräser – in diesem Berg eine Felshöhle bewohnt, dann erst recht. Erinnerungen tauchen auf an den sagenhaften Barbarossa im Kyffhäuser, der nach tausendjährigem Schlaf wiederkommen soll, um die Deutschen zu erlösen. Der Heilsbringer im Heiligen Berg – eine uralte Menschheitssehnsucht, ein archetypisches Bild.
Der lang verkannte, belächelte oder gar verfolgte Gustav Arthur Gräser (1879-1958) hat im vergangenen Jahr, ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod, eine doppelte Würdigung erfahren. Zunächst in der Ausstellung im Haus des Deutschen Ostens mit begleitenden Lesungen, Vorträgen und Film, vor allem mit der Rede von Hans Bergel, die den siebenbürgischen Landsmann, den einstmals „verlorenen Sohn“, ehrend wieder aufnimmt ins Vaterhaus. Vorher aber schon, und zunächst unbemerkt in Deutschland, durch eine malerische Installation im schweizerischen Gstaad von Till Gerhard, unter dem Titel: „Arbeit im Berg der Wahrheit“.

Till Gerhard, 1971 in Hamburg geboren, ist ein international vielbeachteter Künstler, der in Galerien und Museen von Stockholm, London, New York, San Francisco ausstellt. Derzeit zeigt die Hamburger Kunsthalle in „MAN SON 1969“ sein Fotogemälde „Wächter der Natur“. Gerhard ist offensichtlich fasziniert von dem Thema Umwelt, Natur, Alternativbewegung. Er beschäftigt sich mit der Hippie-Szene der Siebzigerjahre, mit den Aussteigern, Baumschützern, Stadtindianern. Dies aber nicht in einer naiv bekennenden oder gar pathetischen Weise. Vielmehr kritisch, mit Ängsten, Zweifeln und Trauer. Ein typisches Bild nennt er „Schwarze Nostalgie“. Den Morgen nach der musikalischen Massenorgie von Woodstock (1969) malt er als ein ernüchterndes Bild der Verwüstung, setzt weiße Grabsteine zwischen den Müll der übernächtigten Camper („Dämmerung“, 2005). Ein Bild der verlorenen Illusionen. In jüngster Zeit aber scheint der trauernde Romantiker, der Schwarznostalgiker, eine lichtere Aussicht gewonnen zu haben: eben auf dem „Berg der Wahrheit“ und in der Person Gusto Gräsers.
Till Gerhard: „Woodwose“, 70 x 60 cm, ...
Till Gerhard: „Woodwose“, 70 x 60 cm, 2008, Öl auf Leinwand.
Die Ausstellung in Gstaad war dreigeteilt, eine Abfolge von drei Räumen, die einen Läuterungsweg bezeichnen. Im ersten Raum befinden wir uns noch auf der Außenseite des Berges, wo die naturverehrenden Siedler von Ascona ihr Tagewerk betreiben, mit dem Spaten die Erde umgrabend oder in rauer Waldmenschentracht nachsinnend über den verfehlten Gang der westlichen Zivilisation. So wie Karl Gräser, der von Gerhard in einer Fotoübermalung als der mythische „Wilde Mann“, als Waldbold oder Waldschrat, dargestellt wird. Im zweiten Raum betreten wir die Höhle Gusto Gräsers und damit den Innenraum des Berges wie auch den Innenraum der Seele. Der Maler erläutert selbst: „Höhlen sind oft ein Motiv in Mythen, Träumen und Märchen. Nach der analytischen Psychologie in der Tradition von C. G. Jung stellt die Höhle ein Symbol dar für den sogenannten Mutter-Archetyp. Indem wir Platos Höhlengleichnis folgen, verabschieden wir uns vom Scheinbild der äußeren Welt und begegnen unserer inneren Welt in der Gestalt weiser Frauen, der heiligen Jungfrau oder in Form von Kristallen. Wir betreten die Über- oder Anderwelt.“ In diese Welt ist ihm Gusto Gräser der Führer. Er überschüttet ihn mit einer Woge von Licht, lässt fröhliche Farben wie einen Blumenregen über ihm niedergehen. Damit bereitet er den Besucher vor für den Aufstieg in den dritten Raum mit dem Bild „Totale Erleuchtung“. Ein junger Mann schlägt sich überwältigt die Hände vors Gesicht, hält seinen Kopf, der in einer Explosion von weißem Licht zu zerplatzen scheint. Andere Gleichnisse dieser Erleuchtung sind Bergkristalle und ein Reigentanz fröhlicher junger Menschen vor einem Horizont mit Radioteleskopen. Das letztere Gemälde nennt er „Das Wir-Gefühl“ und verbildlicht damit Gräsers vielbeschworenen dichterischen „Wirweltreigen“.

Der in Till Gerhards Raum- und Bildfolge dargestellte Weg hinab ins Dunkel der Innenwelt und der ihm folgende Wiederaufstieg ins Licht scheint auf malerische Weise nachzugestalten, was Gräser vorgesprochen hat in seinem Gedicht:

Wir müssen, wolln wir leben,

wie Athemhauch verwehn,

müssen, uns Licht zu heben,

hinab ins Dunkel gehn.

Was wär, was wär uns eine Welt,

die immer steht und nimmer fällt?

Was wär, was wär uns Erde ohn dieses

„Stirb und Werde“?


Im Frühsommer bzw. Herbst dieses Jahres wird es weitere Begegnungen mit Gusto Gräser geben, dessen 130. Geburtstag am 16. Februar zu feiern wäre. In einer Ausstellung der Münchner Villa Stuck (ab 23. Oktober) über den Maler und Kulturreformer Karl Wilhelm Diefenbach (1851-1913) wird Gräser als dessen wirkungsmächtigster Schüler vertreten sein. Das Kulturzentrum „Mohr-Villa“ seiner letzten Wohnstätte Freimann plant für den Herbst eine Ausstellung zu seinem Gedächtnis, desgleichen die Monacensia-Abteilung der Stadtbibliothek München (voraussichtlich im Frühsommer). Außerdem wird es Ausstellungen anlässlich des 125. Geburtstag seines jüngeren Bruders, des Malers Ernst Heinrich Graeser (1884-1944), in Stuttgart, Esslingen und Gundelsheim geben.

Hermann Müller

Schlagwörter: Gräser

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