17. April 2015

Gusto Gräser unter „Künstlern und Propheten“

Die Ausstellung „Künstler und Propheten“, die seit dem 6. März in der Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main, zu sehen ist, verspricht die Entdeckung einer „Geheimen Geschichte der Moderne“. Die amerikanische Kunsthistorikerin Dr. Pamela Kort, Kuratorin der Ausstellung und Autorin des Katalogs, versammelt eine stattliche Galerie von visionären Künstlern, wegweisenden Geistesgrößen, umstrittenen Rebellen und bewährten Persönlichkeiten der Avantgarde, wobei ungeahnte Facetten und Interferenzen eines Jahrhunderts (1872-1972) moderner europäischer, speziell deutscher Kunst beleuchtet werden.
Am Ursprung der Ausstellung steht der Gedanke, dass die revolutionären Ideen der Künstlerpropheten die moderne Kunst des 20. Jahrhunderts mitbegründet haben. Die Rede ist von Karl Wilhelm Diefenbach, Gusto Gräser, Gustav Nagel, Friedrich Muck-Lamberty, Ludwig Christian Haeusser, Egon Schiele, František Kupka, Johannes Baader, Friedrich Schröder-Sonnenstern, Friedensreich Hundertwasser, Joseph Beuys, Jörg Immendorf. Sie alle wurden zu ihrer Zeit gefeiert, doch ihre Rolle in der Geschichte der modernen Kunst wurde von der Fachkritik unterschätzt.

Eröffnet wird die Ausstellung mit den Wanderaposteln Diefenbach, Gräser, Nagel, die mit ihrem Charisma und dem nonkonformistischen Lebensstil (Vegetariertum, schrankenlose Freiheit, Naturverbundenheit, Pazifismus, Ablehnung aller Konverntionen, Theosophie, Messianismus, Leben in Kulturkolonien usw.) Anhänger um sich scharten und Generationen von Künstlern beeinflussten. Ihnen ging es nicht nur um eine Kunstrevolution, ein ästhetisches Programm, sondern um die Veränderung der Gesellschaft und des Individuums von Grund auf. Die Experimente und Ansichten dieser Proto-Hippies sollten in den 60er und 70er Jahren zum Teil wiederaufleben.
Ahnengalerie der „geheimen Moderne“ in der ...
Ahnengalerie der „geheimen Moderne“ in der Frankfurter Schirn Kunsthalle: der Maler Karl W. Diefenbach (der erste „Guru“ von Gräser), Gusto Gräser, der Jesusapostel Gustav Nagel und der „Prophet“ Ludwig Ch. Haeusser (von links nach rechts). Foto: Konrad Klein
In der Schirn Kunsthalle begegnen wir auch Gusto Gräser (1879-1958), dem barfüßigen Propheten aus Siebenbürgen, einem der Gründer der Künstlerkolonie auf dem Monte Verità im Herbst des Jahres 1900. Im Mittelpunkt der Gräser gewidmeten Abteilung steht „Der Liebe Macht“, 1898/99, das programmatische Gemälde, das seine spätere Tätigkeit vorwergnimmt und das Gräser 1899 im Foyer der Evangelischen Knabenschule in der Pempflingergasse in Hermannstadt ausgestellt hatte. In der Ausstellung allerdings führt der Siebenbürger Sachse lediglich ein Nischendasein – und das im Wortsinn, denn mehr als ein kleiner Raum wird ihm nicht gewährt. Wie zu Lebzeiten ist der Wanderapostel Gräser zwar eine spektakuläre Erscheinung, aber sein Werk, der Beitrag zur Gründung der Künstlerkolonie vom Monte Verità und sein Einfluss auf Hermann Hesses Werk, werden oberflächlich in Fußnoten gewürdigt. Die Ausstellung geriert sich als Pioniertat, aber das Werk des Einsiedlers vom Monte Verità bleibt weiterhin unbekannt.

Mihaela Kloos-Ilea

Aus dem Rumänischen von Georg Aescht


„Künstler und Propheten. Eine geheime Geschichte der Moderne 1872-1972”, Schirn Kunsthalle, Römerberg, 60311 Frankfurt am Main, 6. März-14. Juni 2015.

Schlagwörter: Ausstellung, Frankfurt, Gräser

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