14. Januar 2010

Ausstellung Peter Jacobi: Ein fotografisches Vermächtnis

Seit dem 6. Dezember können nun auch die Münchner die Wanderausstellung „Stillleben nach dem Exodus – Wehrkirchen in Siebenbürgen“ im Gasteig besuchen. Das Warten hat sich gelohnt, denn seit der Zwischenstation im Donauschwäbischen Zentralmuseum vergangenen Sommer in Ulm liegen die gezeigten Aufnahmen des Bildhauers Peter Jacobi in einer neuen, technischen brillanten Ausführung vor. Die Grußworte von Dr. Bernd Fabritius, Bundesvorsitzender der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, Brândușa Predescu, Generalkonsulin von Rumänien, und die einfühlsame Einführung der Kulturwissenschaftlerin Dr. Andrea Gnam (Humboldt-Universität Berlin) wurden musikalisch vom Cellisten Goetz Teutsch von den Berliner Philharmonikern umrahmt.
„Es ist wahnsinnig, deine Fotos sehen aus wie Gemälde. So etwas habe ich noch nie gesehen.“ Die Münchner Malerin Katharina Zipser steht vor dem Bild Schaufenster der Dorfschenke im ehemaligen Pfarrhaus in Klosdorf und ist ganz aus dem Häuschen: „Man möchte da förmlich hineingreifen.“ Nachgerade Magritte’sche Wolken, die sich im Fenster spiegeln, das wiederum mit seinen geleerten Napoleon-Brandy-Flaschen und billigen Spitzengardinen von der tristen Realität tiefster siebenbürgischer Provinz kündet. Auf der Scheibe klebt unter einer Bierreklame die Bekanntmachung des Bürgermeisters, in der er die Dorfbewohner darüber aufgeklärt, dass ihre Gemeinde über eine wertvolle „traditionelle Architektur“ verfüge, die es zu erhalten gelte. Damit auch der letzte Suffkopp weiß, dass sich sein Stammlokal im altehrwürdigen Pfarrhaus befindet. Tradition verpflichtet.

Zipsers Faszination gilt freilich mehr der Bildausarbeitung selbst. Lambda Print heißt das Zauberwort: höchste Bildqualität als Kombination aus digitaler Bilderstellung, Laserbelichtung und klassischem silberfotosensitiven Kunststoffpapier als Bildträger, ideal für große Formate. Die seidenmatten Aufnahmen in ihrem dezenten Eichenholzrahmen machen sich gut auf den blauen Holzpanneaus an den Münchner Backsteinwänden. Und Platz zum Atmen gibt es für die metergroßen Bilder dank der großzügigen Hängung auch. XXL-Bilder des Verfalls, bigger than life. Es ist schon ein Kreuz damit.
„Jacobis Bilder sind ein stiller Aufschrei, wie ...
„Jacobis Bilder sind ein stiller Aufschrei, wie er lauter nicht sein könnte“ (Dr. Bernd Fabritius): Gasteig-Besucher mit einem Foto der Kirchenapsis im nordsiebenbürgischen Niederneudorf/ Corvinești. Foto: Konrad Klein
Als ich vor drei Jahren Peter Jacobis siebenbürgische Endzeitbilder in der Ferula der evangelischen Stadtpfarrkirche in Hermannstadt erstmals sah, erzählte ich einer HZ-Redakteurin ganz angetan davon. Ein bekannter Architekt, der meine Worte mitbekam, reagierte verständnislos. Taubendreck, alte Bretter und ein paar herumliegende Ziegelsteine gebe es auf jedem Dachboden. Solches Gerümpel gleich dutzendfach zu fotografieren, habe nichts mit Kunst zu tun.

Das genaue Gegenteil ist der Fall. Die Trümmer-Bilder des Bildhauers und Fotografen Peter Jacobi, 74, sind große Kunst. Ihm gelingt gerade das Kunststück, inmitten von Schutt und leergeräumten Altären „Stillleben nach dem Exodus“ (Titel der Ausstellung) von großer Aussagekraft aufzunehmen, ähnlich, wie sie seinerzeit Herbert List vom zerbombten München machte. Es sind wahrlich natures mortes, die Jacobi mit seinem kunstgeschichtlich geschulten Blick erkennt – oft mit überdeutlicher Symbolik: Glockenseile, die gespenstisch im Halbdunkel des Kirchenbodens baumeln, Stollentruhen, Speckhaken oder auch mal ein paar Altarheilige, die sich unter den Blicken einer rumänischen Muttergottes zum Auszug aus dem einst evangelischen Gotteshaus zwischen den Bänken aufgestellt haben.

Subtiler sind da schon unspektakuläre Bilder wie der eingetrocknete Schmierfettbehälter für die Glocken, ausgemusterte Uhrengewichte oder – würdevoll und todtraurig – die karg eingerichtete Amtsstube im Pfarrhaus von Gergeschdorf; Motive, angesichts derer andere nicht mal die Kamera herausgeholt hätten. Man muss sich nicht mit Beuys und Brâncuși und afrikanischer Kunst beschäftigt haben, um ihre Bedeutung für Jacobis private Ikonographie zu verstehen. Auch mit christlicher nicht, denn Bilder wie jene von einer am leeren Altargerüst lehnenden Leiter – einer Kreuzabnahme ohne Kreuz und ohne Jesus (Draas) – brauchen keine Worte mehr. Man muss schon lange suchen, um ein ähnlich starkes Bild für die Gottverlassenheit in einer ihrem Schicksal überlassenen Wehrkirche zu finden.

Dass Peter Jacobi fotografieren kann, hat er spätestens 1988 mit seinen schon legendären Porträts von Eugène und Rodica Ionesco oder Emil Cioran bewiesen. Ebenso überzeugend sind seine vom ‚sozialen Realismus‘ geprägten Menschenbilder aus dem heutigen Umfeld der verlassenen Kirchenburgen. Große Kunst auch seine der Objektkunst verwandten Aufnahmen menschlicher Relikte und Hinterlassenschaften: ein Paar abgetragener Frauenstiefel neben einer versifften Matratze, eine rostende Bestecksammlung in einem aufgeklappten Gammel-Koffer vom Abschiedsfest der Auswanderer, die über Bretterfußboden verstreute Bibliothek eines ausgewanderten Dorflehrers ...

Ob er denn bei den vorgefundenen Objekten nie etwas „nachgeholfen“ habe, möchte ich wissen. Nein, etwas verändert habe er nie, ausgenommen dann, wenn er mal Spruchbänder oder Bibelworte auf dem Boden ausbreitete. Doch auch diese quasidokumentarischen Aufnahmen wirken nicht „gestellt“, weil Jacobi die Kunst der Inszenierung und damit Ästhetisierung souverän beherrscht.

Peter Jacobis Aufnahmen haben sich dem siebenbürgischen Bildgedächtnis nachhaltig eingeprägt. Mit seinen Finis-Saxoniae-Bildern hat er dem sächsischen Massenexodus ein Gesicht gegeben. Zurückgegeben hat er den entsiedelten Dörfern und den verfallenden Gebäuden aber auch ihre Würde.
2000 Fotos Peter Jacobis von rund 200 ...
2000 Fotos Peter Jacobis von rund 200 Kirchenburgen-Ensembles sowie Notizen, die Jacobi 2004 und 2005 verfasst hat, enthält die vom Schiller-Verlag herausgegebene CD.
Wer im Münchner Raum wohnt, sollte sich die bis zum 22. Januar geöffnete Ausstellung im Gasteig nicht entgehen lassen. Interessierten sei darüber hinaus Jacobis Bildband „Bilder einer Reise“ (2007) oder die jüngst im Hermannstädter Schiller-Verlag erschienene CD „Stillleben nach dem Exodus – Wehrkirchen in Siebenbürgen“ empfohlen. Sie enthält 2000 Fotografien aller besuchten Ortschaften mit Anmerkungen in deutscher bzw. englischer Sprache (5,95 €, zuzüglich Versandkosten, Bestellungen unter http://www.siebenbuerger.de/shop/schiller.html). Die 2000 darauf gespeicherten Bilder, unter denen sich auch die ausgestellten befinden, entstanden auf drei Reisen 2004 und 2005. Sie wollen keineswegs eine wissenschaftlich-systematische Bestandsaufnahme sein, sondern eine Dokumentation von einer dezidiert ästhetisch-subjektiven Position aus. Weil der Künstler, wie er irgendwo gesteht, eine Reihe von wunderbar unverbrauchten Bildern auf seinen Reisen gefunden habe, haben diese meist auch einen hohen ästhetischen Reiz: „Mit der Kraft der Bilder auf den Ernst der Lage hinweisen“. Wenn dieser mit dazu beitragen kann, die Resonanz auf die vom Verfall bedrohten Wehranlagen zu verstärken, wäre sein Engagement nicht vergeblich gewesen. Allein schon daher ist der CD eine weite Verbreitung zu wünschen. Wer Jacobis Bilder nach dem 22. Januar (wieder-)sehen will, muss bis Jahresende warten. Dann wird ihn seine Wahlheimatstadt und Wirkstätte Pforzheim mit einer großen Retrospektive aus Anlass seines 75. Geburtstags ehren.

Konrad Klein

Schlagwörter: Jacobi, Fotografie, Kirchenburgen

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  • 14.01.2010, 17:53 Uhr von getkiss: "Zurückgegeben hat er den entsiedelten Dörfern und den verfallenden Gebäuden aber auch ihre ... [weiter]

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