23. Juni 2022

„Den Beobachterposten verlassen“: Streiflichter von den Deutschen Kulturtagen in Schäßburg

724 Jahre nach der 1298 ersten urkundlichen Erwähnung der Klosterkirche in Schäßburg begann mit deren Wiedereinweihung das Programm des zweiten Tages der diesjährigen Deutschen Kulturtage in Schäßburg, die unter dem Motto „500 Jahre Bergschule Schäßburg“ standen. Die Wiedereinweihungshandlung nahm Bischof Reinhart Guib gemeinsam mit Bischofsvikar Dr. Daniel Zikeli und dem Schäßburger Pfarrer Johannes Halmen vor, nachdem Stadtpfarrer und Dechant Dr. Hans-Bruno Fröhlich die Gottesdienstbesucher begrüßt hatte.
Gedenktafel: Lehrerin Karola Fröhlich (links) und ...
Gedenktafel: Lehrerin Karola Fröhlich (links) und Stefan Gorczyca, der Vorsitzende des Zentrumsforums Schäßburg, bei der Präsentation der Gedenktafel für den Volkskundler, Pädagogen und Pfarrer Josef Haltrich, dessen Namen die Bergschule seit genau 50 Jahren trägt und dessen 200. Geburtstag am 22. Juli begangen wird, vor dem Haus Nr. 13 am Hermann-Oberth-Platz. Foto: Beatrice Ungar
In seiner Predigt zu Lukas 1-10 forderte Bischof Reinhart Guib alle auf, den Beobachtungsposten zu verlassen und den Schatz der Gemeinschaft und die Freude des Teilens zu erkennen, wünschte allen, in Anlehnung an die Geschichte mit Zachäus, „einen Maulbeerbaum, also Kreativität und Fantasie, Engagement und Fleiß“, welche die Schäßburger evangelische Kirchengemeinde immer aufs Neue beweise. Er beglückwünschte sie dafür, dass sie es verstehe, „geordnet kleiner zu werden“.

Im Anschluss an den Gottesdienst berichtete Stadtpfarrer und Dechant Dr. Hans-Bruno Fröhlich, der übrigens seit 25 Jahren in Schäßburg als Seelsorger tätig ist, über die Renovierungsarbeiten und lud die Ehrengäste ein, ihre Grußworte zu sprechen. Der DFDR-Abgeordnete Ovidiu Ganț gratulierte zur erfolgreichen Renovierung der Klosterkirche und zu dem „landesweit besonderen“ Jubiläum der Bergschule. Den Glückwünschen schlossen sich die Botschafterin Österreichs I. E. Adelheid Folie, die Deutsche Konsulin I. E. Kerstin Ursula Jahn, Unterstaatssekretär Thomas Șindilariu und Bürgermeister Iulian Sârbu an.

Zuletzt kam die Architektin Aurora Târșoagă zu Wort, die die Außenrenovierung der Klosterkirche koordiniert hat. Die Anwesenden konnten mehr davon erfahren in der eigens dafür zusammengestellten Ausstellung im Seitenschiff, wo auch die diesen Arbeiten gewidmete Sonderausgabe des Gemeindebriefs auflag.

Ganz im Sinne des Mottos der Deutschen Kulturtage hielt Bischofsvikar Dr. Daniel Zikeli seinen Vortrag „Einfach gehen … Bleibende Spuren aus der Zeit an der Bergschule“ am Samstagnachmittag. Für das Referat im Rathaussaal hatte Zikeli, selbst Absolvent der Bergschule, seinen Jahrgängerinnen und Jahrgängern, die ihr Abitur 1990 ablegten, sowie den Abiturientinnen und Abiturienten von 1991 sieben Fragen gestellt. Der gebürtige Schäßburger erklärte: „Die vier Jahre an der Bergschule sind nicht spurlos an uns vorbei gegangen. Diesen Spuren wollte ich folgen.“

Die beiden befragten Abiturjahre seien von Umbruch, Ungewissheit und dem Entscheid zwischen dem Bleiben und dem Gehen geprägt gewesen. „Die Deutschen Klassen lösten sich auf“, blickte er zurück. Während in vorherigen Jahren zwei 72-köpfige Klassen die Abiturprüfungen antraten, seien es in seinem Jahrgang noch neun Schülerinnen und Schüler gewesen. Auch die Lehrer sind laut Zikeli zahlreich ausgewandert. „Wir waren fast jede Woche am Bahnhof.“

Die Umfrage, die Zikeli anlässlich des 30-Jahr-Jubiläums des Abiturs verschickte, umfasste beispielsweise die Frage nach fünf Worten zur Schulzeit oder besonderen Erlebnissen, aber auch nach der Ideologiekonformität der Lehrpersonen und einer Beschreibung des Bergschulgeists. Zu letzterem, der kaum zu beschreiben sei, konstatierte Zikeli: „Der Geist der Bergschule ist in uns allen aus der Schülerschaft.“ Er zog den Vergleich zu einem Brandzeichen, was die prägende Natur der Schulzeit illustrierte.

Zikeli fügte hinzu, dass die Tatsache, dass nur wenige der ehemaligen Bergschülerinnen und -schüler die Fragen beantwortet haben, einen bitteren Nachgeschmack hinterlässt. Die Schulerlebnisse seien zwar noch präsent, doch die bewusste Verarbeitung fehle. „Die Reflexion würde auch Geister wachrufen, die man vergraben will.“ Die Bergschuljahre bezeichnete der Vortragende als archetypisch eingeprägtes Erlebnis, das viele zu konservieren suchen. Diese Geborgenheit würde durch das Reflektieren gestört werden. Im Anschluss zum Vortrag kamen Fragen und Wortmeldungen aus dem Publikum an die Reihe.

Nach einer kurzen Pause starteten die Zuhörerinnen und Zuhörer, gestärkt durch köstliche Plätzchen und Kaffee, in den nächsten Programmpunkt: die Buchvorstellung, Lesung und Gesprächsrunde zu „Diesseits und jenseits des Tunnels 1945“ von Dr. Mariana Gorczyca. Zu Beginn wies die Autorin darauf hin, dass der besagte Tunnel ganz in der Nähe sei und wohl von den meisten per Bahn angereisten Gästen passiert wurde.

Gemeinsam und in Rumänisch sowie Deutsch sprachen Autorin Gorczyca und Übersetzerin Beatrice Ungar über den 2020 im Honterus-Verlag erschienenen Roman, der sich mit der Deportation eines Schäßburger Sachsen nach Stalino in der Sowjetunion und seiner in der Stadt verbliebenen Geliebten beschäftigt. „Stalino symbolisiert alle Lager“, fügte Gorczyca hinzu. In beiden Sprachen lasen die Referentinnen aus Kapitel 24, das in der Schäßburger Bergschule – genauer gesagt dem dortigen Lehrerzimmer – spielt.

Neben den Kopien des vor zwei Jahren erschienenen Buchs fanden sich auf dem Podium im Rathaussaal auch Ausgaben von Gorczycas neuestem Werk, das Anfang dieses Jahres im Școala Ardeleană-Verlag in rumänischer Sprache erschien. Unter dem Titel „Rubla, locul fără umbră“ (zu deutsch: Rubla, der Ort ohne Schatten) schreibt sie darin über das Dorf Rubla in der Bărăgan-Steppe, wohin ab 1951 mehr als 40.000 Menschen verschiedener Ethnien – unter anderem serbischer, mazedonischer oder türkischer Herkunft – verschleppt wurden. Darunter waren zudem etwa 10.000 Rumäniendeutsche, hauptsächlich Banater Schwaben.

Rubla sei eines von vielen Dörfern in der Steppe, die aus dem Nichts gestampft wurden. Gorczyca erklärte dem Publikum: „Heute steht dort noch ein einziges Haus, das von einem Überlebenden bewohnt wird.“ Die Autorin meinte, sie fühle sich verpflichtet, dieser historischen Begebenheit Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. „Das Ziel wäre eine Gedenkstätte, damit man sieht, was war und was ist.“ Weiter fügte Gorczyca hinzu: „Es ist mir wichtig, schwierige Situationen auch im Licht zu sehen.“ Ihr Roman sei dahingehend Roberto Benignis Film „La vita è bella“ (zu deutsch: Das Leben ist schön), der in einem Konzentrationslager spielt, ähnlich.

In der anschließenden Gesprächsrunde erzählten Mitglieder des Publikums aus ihren eigenen Erfahrungen, beispielsweise dass die Eltern ihnen spät oder gar nicht von ihrer Verschleppung erzählten. Auch erklang Dank dafür, dass Gorczyca sich der Thematik angenommen hat. Gorczyca bedankte sich ihrerseits bei Übersetzerin Beatrice Ungar, die ihren Roman über die Deportation in die Sowjetunion einem breiteren deutschen Publikum zugänglich gemacht hatte. Auch eine deutsche Übersetzung ihres neuesten Buchs stellte sie in Aussicht.

Aus Bremen angereist war Pfarrer Manfred Meyer, der im ersten Gottesdienst am Sonntag nach der Wiedereinweihung in seiner Predigt zu Jeremia darauf hinwies, was ein Bund bedeutet für „uns vielseitig bedrohte Lebewesen“. Während „das Volk“ lieber mit selbstgemachten Fantasien und anderen Göttern „kuschelte“, bleibt Gott seinem Bund treu, ganz nach dem Motto: „Treu sein zeigt sich, wenn alles schiefläuft.“ Pfarrer Mayer schloss mit den Worten: „Freiheit ist ja nicht Gesetzlosigkeit oder rücksichtsloser Egoismus. Freiwillige Abhängigkeit ist der schönste Zustand und wie wäre das möglich ohne Liebe?“

Viel Liebe zur Tradition und zur Geselligkeit bewiesen dann bei dem vorgezogenen Aufmarsch und der Tanzdarbietung auf dem Burgplatz die Schäßburger Tanzgruppe und ihre aus Mühlbach, Sächsisch-Regen und Hermannstadt angereisten Kolleginnen und Kollegen. Moderatorin war auch diesmal die unermüdliche Andrea Rost, die zwischen Gottesdienst und Aufmarsch eine Stadtführung eingelegt hatte. Bewundernswert.

Bewundernswert auch die Initiative des Vereins Bergschule Schäßburg e. V. München schon am Wochenende vom 10. bis 12 Juni das 7. Bergschul-Symposium zum Thema „QUO VADIS, Bergschule?!“ zu veranstalten. Zur offenen Aussprache wurden Inspektorat, Direktion, Professoren, Schulsprecher, Elternbeiräte, Vertreter der Bergschulvereine und Sponsoren aufgefordert. Zweck und Ziel dieser Zusammenkunft war die perspektivische Entwicklung und Neuorientierung der Bergschule. Nähere Auskünfte bietet Günther Czernetzky unter (0179) 1 17 64 56 oder E-Mail g.czernetzky[ät]gmail.com.

Die Bergschule steht auch im September und im Oktober im Fokus von Veranstaltungen. Hier soll auch der Siebenbürgische Lehrertag stattfinden. Die Schäßburger sind also weiterhin gefordert, Fantasie und Fleiß an den Tag zu legen.

Carla HONOLD, Beatrice UNGAR

Artikel in der Hermannstädter Zeitung

Schlagwörter: Schäßburg, Kulturtage, Bergschule, deutsch-rumänische Beziehungen

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