9. November 2006

Hermannstadt als "literarisches Zentrum"

„Literarische Zentrenbildung in Südosteuropa. Hermannstadt in Siebenbürgen als Fallbeispiel“ – war das Thema eines wissenschaftlichen Symposiums, zu dem die philologische Fakultät in Hermannstadt, speziell der Germanistiklehrstuhl der Universität „Lucian Blaga“, und das Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München (IKGS) eingeladen hatten. Die Tagung fand am 19. und 20. Oktober 2006 in der Hermannstädter Universität unter der Schirmherrschaft des Rektors der Universität Prof. Dr. Constantin Oprean statt, der die Tagung mit einem Grußwort an die Teilnehmer aus Deutschland, Österreich, Ungarn und Rumänien eröffnete.
Das wissenschaftliche Symposium hatte sich zum Ziel gesetzt, die Prozesse literarischer Zentrenbildung in Südosteuropa allgemein und speziell auf dem Gebiet des heutigen Rumäniens zu verfolgen, methodologische Fragen zu erörtern und in Einzelbeiträgen die literarische Geschichte der Stadt Hermannstadt nachzuzeichnen. Angesichts des EU-Beitritts Rumänien im Jahr 2007 und vor allem aufgrund der Tatsache, dass Hermannstadt nächstes Jahr eine der beiden europäischen Kulturhauptstädte sein wird, hat sich das Thema gewissermaßen von selbst angeboten.

Als „literarisches Zentrum“ definiert der Berliner Literaturwissenschaftler Klaus Hermsdorf eine Gruppierung von Autoren „aus diesem Ort und aus anderen Orten“, der meist „eine Ansammlung anderer an der Herstellung, Verbreitung und dem Gebrauch literarischer Werke interessierter Personen und Institutionen“ vorausgeht, bzw. die eine solche nach sich zieht. Dass Hermannstadt aufgrund seiner besonderen geographischen Lage, seiner Geschichte, der ethno-kulturellen Zusammensetzung seiner Bewohner, der unterschiedlichen Sprachgemeinschaften und religiösen Zugehörigkeiten zu den Ortschaften mit „hoher Zentralität“ zumindest in der südsiebenbürgischen Region gehört, ist immer wieder hervorgehoben worden. Auf die Eigenart der „literarischen Zentren“, „Landschaften“, „Regionen“, „Räume“ in Südosteuropa wurde besonders in den Referaten von Prof. Dr. Jürgen Lehmann (Universität Erlangen-Nürnberg), Prof. Dr. Dr. h. c. Harald Heppner (Universität Graz) und Dr. Juliane Brandt (IKGS) hingewiesen. Das Zusammenspiel mehrerer Kulturen sei ebenso ein Charakteristikum südosteuropäischer Kulturmetropolen wie deren Teilhabe an den entscheidenden literarischen Austauschprozessen der Zeit, an denen sie in der Regel nicht bloß rezeptiv teilhaben. Dank der Kontakte, die die Hermannstädter Schriftsteller zu Vertretern des deutschen, rumänischen, jüdischen und ungarischen Geisteslebens unterhielten, wurde die Stadt zu einem kulturellen Brennpunkt, in dem Einflüsse von außen mit den Traditionen vor Ort eine eigenartige Verbindung eingingen.

In den beiden germanistischen Sektionen wurde sowohl über die Literatur dieser Stadt, die literarische Presse, die Rolle von Übersetzern, Verlegern, Schriftstellervereinen, -freundschaften und Literaturkreisen referiert als auch über die Eigentümlichkeit der Hermannstädter Sprache in ihrer hochsprachlichen und mundartlichen Spielart. Da man den historischen Hintergrund keineswegs außer Acht lassen wollte, waren auch Historiker eingeladen worden wie beispielsweise Harald Heppner (Graz) und Konrad Gündisch (Oldenburg). Hermannstadt war spätestens seit dem 19. Jahrhundert auch ein bedeutendes Zentrum der rumänischen Literatur und Kultur. Deshalb richteten die Veranstalter neben einer germanistischen auch eine Sektion für rumänische Sprache und Literatur ein, in der namhafte Fachkräften über diesen Teil der Geschichte Hermannstadts berichteten.

Doch die Veranstalter der Tagung wollten nicht allein die reichhaltige literarische Vergangenheit dieser einmaligen Stadt wissenschaftlich aufarbeiten und dokumentieren, sondern auch ihre literarische Gegenwart untersuchen. Auch Schriftsteller kamen zu Wort, die – wie Joachim Wittstock und Dumitru Chioaru – in Hermannstadt leben und schreiben, als auch Autoren wie Ana Blandiana (Bukarest) und Franz Hodjak (Frankfurt am Main), die zu Hermannstadt und zu dieser Region einen besonderen Bezug haben.

St. S.

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 18 vom 15. November 2006, Seite 7)

Schlagwörter: Tagung, Hermannstadt, Literaturgeschichte, Germanistik

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