12. Mai 2007

Hans Peter Türks "Passionsmusik" uraufgeführt

Im Rahmen des Kulturhauptstadtprogramms Hermannstadt 2007 kam es in der evangelischen Stadtpfarrkirche zu zwei beeindruckenden Konzertaufführungen: Am Gründonnerstag und am Karfreitag erklangen die Matthäuspassion von Rudolf Lassel und die Uraufführung von Hans Peter Türks „Siebenbürgischer Passionsmusik für Karfreitag“ in einer Zusammenarbeit des Hermannstädter Bachchores mit der Meißner Kantorei, wobei Kurt Philippi das Werk Lassels und Christfried Brödel (Dresden) die Uraufführung dirigierte.
Die Passionsmusik Türks war auf Anregung Kurt Philippis entstanden, der vor einigen Jahren bei der Erarbeitung von Lassels Matthäuspassion die Idee hatte, dem befreundeten Komponisten eine Vertonung des von Lassel nicht in Musik gesetzten Karfreitagsteils vorzuschlagen.

Etwas Besonderes war die Einbettung der beiden Passionsmusiken in den Gottesdienst. So waren sie nicht aus dem Kontext herausgerissen, wie es seit der Aufklärung oft mit geistlicher Musik im Konzertsaal geschieht, sondern erklangen genau an den Tagen, für die sie bestimmt sind, an dem Ort, an den das Reflektieren der Passionsgeschichte gehört.

Hans Peter Türk nach der Uraufführung in Hermannstadt. Foto: Konrad Klein
Hans Peter Türk nach der Uraufführung in Hermannstadt. Foto: Konrad Klein
Verschiedener könnten die Werke von Lassel (1901) und Türk (2005) nicht sein. Hundert Jahre liegen dazwischen, in denen die musikalische Sprache sich radikal verändert hat. Außer der Besetzung für Chor, Solisten und Orgel gibt es im Grunde keine Gemeinsamkeiten. Ist die Passion Lassels ein sangliches, eingängiges Stück, das trotz seiner romantischen Tonsprache der traditionellen Kadenzharmonik verhaftet bleibt, so überrascht Türks Werk durch Mittel und Ideen, die dem an Bach gewohnten Zuhörer ein neues Passionserlebnis verschaffen.

Ein Heer von Solisten (insgesamt immerhin zwölf mit großen und kleineren Rollen!) trug zum Gelingen der Abende bei. Besonders hervorzuheben sind für das Werk Lassels Zsolt Szilágyi als Evangelist und Matthias Weichert (Deutschland) als Jesus. Ja, dieser Jesus! Er lässt einen ins Schwärmen geraten und man fragt sich, warum er am nächsten Tag in Türks Passion leider nur vier Sätze (allerdings wichtige) zu singen hat. Vor allem an dunklen Stellen brilliert Weichert, aber auch sonst überzeugt er durch Nuancenreichtum und eine tadellose Aussprache. Auch Wilhelm Schmidts machte in den „bösen“ Rollen des Judas und eines Hohepriesters eine gute Figur.

Der Chor durfte sein Können in Lassels Werk vor allem bei den Psalmvertonungen „Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser“ und „Richte mich, Gott“ zeigen. Den Orgelpart trug Ursula Philippi überzeugend vor: mit der gebotenen Zurückhaltung bei der Begleitung des Evangelisten, die oft aus leeren Quintklängen oder einfachen Akkorden besteht, jedoch im lebhaften Gegensatz dazu, wenn die Orgel als kommentierendes Instrument eingesetzt wird, z.B. bei den Vor- oder Zwischenspielen.

Hans Peter Türk verwendet in seinem Werk alle kompositorischen Mittel, die ihm zur Verfügung stehen: modale Skalen, Chromatik, Sprechgesang, Aleatorik usw. stehen gleichberechtigt nebeneinander. Das Werk ist eine Herausforderung für die Ausführenden, vor allem für den Evangelisten, und für die Hörer – und trotzdem wunderschön! Man erkennt den Komponisten der Spruchmotetten, aber in dieser Passionsmusik hat sich Hans Peter Türk selbst übertroffen. Das Werk besteht aus drei Teilen, Jesus vor Pilatus, Jesu Tod und Jesu Begräbnis, von denen einer sorgfältiger und origineller ausgearbeitet ist als der andere. Nach einem Orgelvorspiel in aufgewühlten Achteltriolen setzt der Chor in tiefen Lagen „dumpf, murmelnd“ (so die Anweisung des Komponisten) mit den Worten „Gott, sei mir gnädig“ ein. Im Dialog damit trägt der Solo-Sopran ganz allein, ohne Begleitung, den Choral „O Gott, verlass mich nicht“ vor. Melinda Samson gelingt das mit großer Innigkeit.

Interessant ist der Part des Evangelisten ausgestaltet: meist singt auch er ohne Begleitung, nur bei Schlüsselwörtern bzw. -passagen im Evangelientext, z.B. „dass sie ihn [Jesus] töteten“ oder „dreißig Silberlinge“ [der Preis, für den Judas Jesus verraten hat] kommt die Orgel illustrierend hinzu. Dem Tenor Andreas Petzoldt (Deutschland) gebührt ein großes Lob für die Ausführung dieser schwierigen, abwechslungsreichen Rolle und seine klare Aussprache, die ja für das Verständnis des Textes absolut unerlässlich ist. Die Rolle des Pontius Pilatus wird immer von einem Cluster in der Orgel eingeleitet und ist besonders tief gesetzt. Kaum ein Bass kann diese tiefen Töne zum Klingen bringen, aber Petre Burcă gelang der Part recht überzeugend.

Einen Höhepunkt erreicht der erste Teil im Ausruf „Barabbas“, den der Chor in verschiedenen Metren und Rhythmen spricht, ja schreit. Das ist der Moment, in dem die Juden Pilatus auffordern, Barabbas und nicht Jesus freizulassen, mit anderen Worten der Augenblick, in dem klar ist, dass Jesus sterben muss.

Beeindruckend ist die Vielfalt, mit der Hans Peter Türk an die Choralbearbeitungen herangeht. Manchmal sind sie durch Rhythmen bzw. Pausen verfremdet („Ich, ich und meine Sünden“), in anderen Fällen kann man die Melodie nur schwer erkennen („Reißt, ihr Felsen“), manchmal werden sie von Solisten vorgetragen, allein oder im Duett, andere Male erscheinen sie in der Orgel – alle möglichen Varianten sind anzutreffen. Besondere Beachtung verdient die Vertonung von „O Haupt voll Blut und Wunden“, wo der Solo-Sopran in kleinen chromatischen Schritten die Haupttöne umspielt, der Bass immer wieder das Motiv „Herr, erbarm dich meiner[!]“ einwirft und die Orgel in der rechten Hand die Choralmelodie spielt. Die Stimmen von Melinda Samson und Wilhelm Schmidts passen wunderbar zusammen und man konnte ihnen nur äußerst ergriffen zuhören.

Maria Pop überzeugte durch ihren warmen Alt. Bei der Vertonung von „Wenn ich einmal soll scheiden“, auch „Marias Klage“ genannt (das Stück folgt direkt auf Jesu Tod), singt sie mit geschlossenem Mund eine traurige Melodie und wird vom Chor „immer leise und sehr gebunden, wie ein Schatten“ mit dem Choral begleitet.

Der Chor vollbrachte eine Meisterleistung, denn einiges wurde von ihm abverlangt. Komplizierte melodische Linien, mit Chromatik durchsetzt, große Sprünge, schwindelnde Höhen und Tiefen, zahlreiche Rhythmuswechsel, Sprechgesang und Glissandi – all diese Schwierigkeiten hat die Meißner Kantorei unter der professionellen Leitung Christfried Brödels spielend überwunden und auch der Bachchor hielt in den gemeinsam gesungenen Teilen kräftig mit.

Die Passion endet mit der Betrachtung „An dem Kreuz, in deinem Blute, hingst du, Heiland, mir zugute“. Hier ist besonders bewegend, dass der Chor dreimal ausruft „aber, aber, aber was tat ich für dich?“ und „lehre mich, alles, alles, alles, alles tun für dich“. Danach verklingt die Orgel und der Chor kann a cappella noch einmal singen „Herr, erbarm dich meiner“. Mit dieser Bitte im Pianissimo verklingt die „Siebenbürgische Passionsmusik für Karfreitag“ von Hans Peter Türk, ein großes Werk, das hoffentlich noch öfter aufgeführt werden wird.

Thealinde Reich


Schlagwörter: Kulturspiegel, Kulturhauptstadt, Musik

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