16. Juni 2014

Christoph Hammer für ein Europa des Verständnisses und Dialogs

Dinkelsbühls Oberbürgermeister Dr. Christoph Hammer hat bei der Eröffnung des Heimattages am 7. Juni 2014 an die Evakuierung und Flucht der Nordsiebenbürger Sachsen vor 70 Jahren im Herbst 1944 erinnert. Den Menschen Europas sei es inzwischen gelungen, sich mit ihren vielfältigen Kulturen, Sprachen, Glaubensrichtungen und Sozialsystemen gegenseitig zu respektieren. Doch der mühevoll geschaffene Frieden sei fragil und mehr denn je schützenswert, wie der Konflikt in der Ukraine zeige. Der CSU-Politiker plädierte, anhand geschichtlicher und aktueller Entwicklungen, für ein Europa des Verständnisses und Dialogs. Die Siebenbürger Sachsen hieß er herzlich willkommen: „Die Stadt sei Euer!“ Seine Ansprache wird im Folgenden im Wortlaut wiedergegeben.
Zum elften Mal, seit ich Oberbürgermeister der Großen Kreisstadt Dinkelsbühl bin, rufe ich ihnen zu: Sehr geehrte Ehrengäste, sehr geehrte Damen und Herren,ich freue mich, Sie in der historischen Schranne willkommen zu heißen! Es ist eine hohe Ehre für unsere Stadt, dass Sie sich zu uns bekennen und seit über fünfzig Jahren zu Pfingsten in Ihre Hauptstadt pilgern.

Besonders begrüße ich Dr. Christoph Bergner, MdB, Vorsitzender des Deutsch-Rumänischen Forums mit Gattin, Altbischof D. Dr. Christoph Klein, Dr. Lazăr Comănescu mit Gattin, Botschafter von Rumänien in Berlin, Seine Exzellenz den Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Bukarest, Herrn Werner Hans Lauk, US-Senator Michael Skindell aus Ohio.

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Ich begrüße weiter die Vertreter der siebenbürgischen Verbände und Gemeinschaften, allen voran Herrn Bundesvorsitzenden Dr. Bernd Fabritius; erstmals auch als Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Dafür nochmals auch in diesem Rahmen herzliche Gratulation. Damit haben die Vertriebenenverbände eine weitere notwendige Vertretung in unserem Parlament. Bedauert habe ich allerdings das Ausscheiden des Vorsitzenden der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Herrn Bernd Posselt, aus dem Europäischen Parlament. Dies empfinde ich als herben Rückschlag. Ich sage schade, vor allem auch deshalb, weil wir erst vor kurzem eine hochinteressante Podiumsdiskussion mit ihm in Dinkelsbühl hatten.

Oberbürgermeister Dr. Christoph Hammer während ...
Oberbürgermeister Dr. Christoph Hammer während sein Festansprache im Schrannenfestsaal in Dinkelsbühl. Foto: Lukas Geddert
Liebe Gäste, zu Tausenden sind Sie in diesen Tagen wieder aus allen Teilen Deutschlands, aus vielen Gegenden Europas und sogar der Welt zum Heimattag der Siebenbürger Sachsen nach Dinkelsbühl gekommen – im wahrsten Sinne „grenzüberschreitend“ ist der Heimattag. Und das ist gut so. Das Motto des diesjährigen Heimattages, „Heimat ohne Grenzen“, passt auch diesbezüglich wunderbar.

Für uns alle hier in Deutschland und Europa ist es eine Selbstverständlichkeit, dass wir über die jeweiligen Landesgrenzen hinaus frei miteinander leben können. Es ist wie selbstverständlich, manchmal hat man das Gefühl – wie Gott gegeben, dass wir Bürgerinnen und Bürger in einer Gesellschaft leben, ausgestattet mit so vielen Grundrechten und Freiheiten wie nirgends auf der Welt. Wir können in der Politik demokratisch mitentscheiden, haben freie Berufswahl, Meinungsfreiheit, das Grundrecht auf Zusicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums, haben Versammlungsfreiheit, das Recht auf Gleichberechtigung und viele weitere Rechte.

Das war in Europa nicht immer so.

Schwerpunkte des diesjährigen Heimattages sind Veranstaltungen rund um die Evakuierung der Nordsiebenbürger Sachsen und die Flucht aus ganz Siebenbürgen im Jahre1944. Es wird darin erinnert, welches schlimme Schicksal ein in Nordsiebenbürgen und Südsiebenbürgen geteiltes Volk während der Kriege westlicher und östlicher Großmächte durchleben musste.

Besatzungsmächte gestalteten politische Kräfteverhältnisse in ihrem Sinne. Die Folge waren Umsiedlungen, Flucht und Vertreibung, die oft in gesellschaftlichen und humanitären Katastrophen mündeten.

Wir Europäer haben es geschafft, dass ein politisches und wirtschaftliches Europa in den letzten Jahrzehnten entstehen konnte. Die Europäische Union ist ein Staatenverbund mit heute 28 Mitgliedstaaten in Europa. Seine Bevölkerung umfasst eine halbe Milliarde Einwohner. Es ist gelungen, dass eine gezielte wirtschaftliche Verflechtung nach dem Zweiten Weltkrieg uns vor neuen militärischen Konflikten in den vergangenen Jahrzehnten verschonte und dass durch den gewachsenen europäischen Markt das Wirtschaftswachstum beschleunigt wurde. Mit dem Ziel eines europaweiten Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts arbeiten die EU-Mitgliedstaaten auch in der Innen- und Justizpolitik zusammen. Durch die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik gelingt ein gemeinsames Auftreten gegenüber Drittstaaten.

Aber was mindestens genauso wichtig ist: Unsere Vorfahren und wir, alle Bürgerinnen und Bürger Europas, haben es geschafft, uns auch als Menschen, so unterschiedlich wir auch sein mögen, zu respektieren. Uns zu respektieren mit unseren vielfältigsten Kulturen, Sprachen, Glaubensrichtungen und Sozialsystemen. Wir Menschen haben gelernt, mit der Vergangenheit Frieden zu schließen. Eine Aussöhnung untereinander hat seit Ende des Zweiten Weltkrieges stattgefunden. Wir haben sogar gelernt, dass wir nicht nur eine reine Aneinanderreihung von Ländern sind, sondern wir haben gelernt, uns als Einheit zu verstehen. Wir haben Verständnis füreinander und auch Verständnis für ein Miteinander – sicherlich mit vielen Höhen und Tiefen.

Allerdings merken wir bei politischen und wirtschaftlichen Krisen europäischer Länder und auch bei Konflikten zwischen Ländern zunehmend, dass unser mühevoll gebautes Friedenskonstrukt sehr fragil sein kann. Dieses Friedenskonstrukt ist mehr denn je schützenswert. Krisen und Konflikte müssen stets versucht werden, in rechtlich festgelegten Normen ohne Gewalt ausgetragen zu werden. Für Probleme und für schlechte Beziehungen zwischen Völkern und Staaten müssen immer politische Lösungen an erster Stelle stehen. Solche politischen Lösungen, die kurz-, aber auch vor allem langfristige Ruhe und Frieden gewährleisten, zu finden, ist schwierig. Nachrichten aus Zeitungen, Fernsehen und Radio informierten und informieren uns täglich über den Konflikt in der Ukraine und die Krim-Krise. Die unterschiedlichen historischen Erfahrungen, politischen und kulturellen Orientierungen in den Regionen der Ukraine polarisieren in beträchtlichem Maße die ukrainische Innenpolitik und beeinflussen die ukrainische Außenpolitik zwischen Russland und der Europäischen Union.

Da werden auf einmal von Russland Grundsätze mit Füßen getreten, auf die man sich für das Zusammenleben in Europa einmal verständigt hat. Da schlummert unter der Oberfläche viel Konfliktpotential. Gar von der Schaffung eines „Zwischeneuropas“ spricht Russland. Andererseits ist es in der Sache nicht förderlich, hat uns doch jeglicher Konflikt gelehrt, dass es immer zwei Sichtweisen gibt. Es ist nicht förderlich, die Schuld für diese so unsägliche Auseinandersetzung allein bei Russland zu suchen. Bereits im Neuen Testament heißt es: „Wer frei von Schuld ist, werfe den ersten Stein.“

Will man solche Konflikte lösen, so ist es zwingend, die lange bereits als überholt gedachte politische Denkweise „Krieg ist ein Mittel der Politik“, nicht wieder aufkommen zu lassen. Gerade der Ausbruch des ersten Weltkrieges vor 100 Jahren im Jahre 1914, als die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts, auch mit seinen Auswirkungen auf den zweiten Weltkrieg, müsste uns doch gelehrt haben, dass Nicht-Kommunikation und das Beharren auf Machtposition unvorstellbares Leid nach sich ziehen können. Verantwortungsvolle Politik ist das Miteinander-Reden, das Bereitsein, sich in die jeweilige andere Lage seines Gegenübers zu versetzen und Verständnis für die Zwänge des anderen zu haben.

Darüber hinaus hat die Europäische Union nicht nur die wirtschaftliche und politische Integration in den Jahren nach ihrer Gründung Schritt um Schritt vorangebracht, sie hat sich durch Aufnahme neuer Mitgliedstaaten auch geographisch zunehmend erweitert, beispielsweise auch Rumänien, wir haben es hier auf hoher politischer Ebene immer wieder diskutiert. So kam es am 21. März in Brüssel zur Unterzeichnung zumindest des politischen Teils des von der EU mit der Ukraine ausgehandelten Assoziierungsabkommens. Vielleicht würde man dies heute anders angehen. Ich verweise auf die eben erwähnte Ausführung.

Ebenfalls Europa wächst. Und bei allem Wachstum darf es nicht nur räumlich wachsen, sondern auch wirtschaftlich und politisch. Große oder vielleicht auch doch kleinere Probleme wie der in den Frühjahrsmonaten politisch diskutierte Sozialmissbrauch stehen auf der deutschen Politikagenda. Die Inanspruchnahme der sozialen Sicherungssysteme durch Angehörige der EU-Mitgliedstaaten muss national, parteipolitisch und europäisch integrativ geregelt werden.

Aber vielleicht ist das wichtigste Wachstum Europas ein zwischenmenschliches Wachstum. Die Menschen aller Völker und Staaten Europas müssen integriert werden und sich integrieren lassen. Es dürfen keine gegenseitigen Vorurteile entstehen. Leider wird allzu oft, ohne die eigene Meinung ausreichend zu reflektieren, über Länder, Personen oder Sachverhalte geurteilt. Klischees und Stereotypen, die oft unwahr sind, werden auf den Gesamtraum und die gesamte Bevölkerung übertragen.

Bei den zu Integrierenden taucht ein weiterer Aspekt, eine weitere Herausforderung auf: In Deutschland ist es Gegenstand heftiger politischer Auseinandersetzung, inwieweit bei der Integration besondere persönliche Überzeugungen von Zuwanderern (z. B. zur Demokratie, zum Geschlechterverhältnis), deren Freiheit ja gerade vom Grundgesetz garantiert wird, sich an Werte der Mehrheitsgesellschaft anzupassen haben.

Entscheidend mag sein, dass bei allen Herausforderungen wir uns nicht wieder Grenzen aufbauen. Grenzen, die über Jahrzehnte abgebaut worden sind, die ausgrenzen, abgrenzen und damit spalten. Nicht Separatismus, sondern Gemeinsamkeit ist das Gebot der Stunde.

Wir haben „Heimat ohne Grenzen“ geschaffen, ohne dabei grenzenlos, also beliebig zu sein und das ist ein einmaliger Erfolg. Dabei möchte ich Heimat nicht nur in ihrer räumlichen Dimension verstanden wissen, sondern auch in ihrer sozialen und kulturellen Dimension. Heimat bedeutet in ihrer sozialen Dimension deshalb einerseits das „Mit-Sich-Selbst-Im-Reinen-Sein“, seine Grenzen spüren, nicht beliebig zu sein, vielleicht auch an seine Grenzen zu stoßen und sich selbst wohlfühlen, aber andererseits auch „grenzenlos“ zu sein und eine vertrauensvolle und sich respektierende Meinung und Dialog zu anderen Personen, auch aus anderen Ländern und sozialen Bereichen eingehen zu können. Als Beispiel der kulturellen Dimension lassen Sie mich die Heimat- und Brauchtumspflege nennen. Auch dort ist der Abbau von Grenzen wichtig, ohne grenzenlos zu werden. Wir müssen es auch weiterhin zulassen und es als Bereicherung sehen, dass wir voneinander mit unserer Unterschiedlichkeit profitieren können. Lassen Sie uns eine „Heimat ohne Grenzen“ mit Leben und nicht mit Ängsten vor dem Anderen füllen. Wir dürfen uns nicht aus Gründen der Angst abgrenzen. Der Dialog europäischer Bürgerinnen und Bürger kann zu gegenseitigem Verständnis führen, er kann Vorurteile und Ängste abbauen, er kann Lust auf andere Kulturen und Völker machen.

Andererseits müssen wir auch Strömungen zur Kenntnis nehmen und akzeptieren, dass in Zeiten zunehmender weltweiter Vernetzung, in Zeiten, in denen unser Globus immer „kleiner“ zu werden scheint, in denen über Internet und soziale Medien scheinbar alles Wissen in Sekundenschnelle abrufbar ist, in denen eine virtuelle Welt immer realer wird und Kommunikation immer mehr elektronisch stattfindet und nicht mehr „face to face“, das Bedürfnis nach Geborgenheit zunimmt. Dies insbesondere auch bei der jüngeren Generation. Zeiten, in denen aus der Hilflosigkeit, resultierend aus dieser Anonymität, sich Menschen zunehmend überschaubare „Räume“ suchen. Räume, die im weitesten Sinne abgegrenzt sind. Wir sind wieder auf der Suche nach Heimat, nach Tradition und Individualität. Das ist keine Abgrenzung, sondern der Wunsch, der „Beliebigkeit unserer Welt“ – einer scheinbaren grenzenlosen Welt – einen „eingegrenzten“ Werterahmen entgegenzusetzen. Dies ist ein ähnliches Spannungsverhältnis, wie es im Wort „grenzenlos“ gebraucht werden kann. Im positiven Sinn wie „grenzenlose Freiheit“ oder „grenzenlose Freude“, im Negativen wie „grenzenlos und maßlos zu sein“.

Ein Miteinander ohne Barrieren ist nichts Selbstverständliches. Das hat uns die Vergangenheit, das hat uns Ihre Vergangenheit, liebe Siebenbürgen Sachsen, gezeigt: Siebenbürgen fällt nach dem Ersten Weltkrieg an Rumänien. Diskriminierung, Zentralisierungs- und Rumänisierungsbestrebungen Bukarests sowie interne Richtungskämpfe treiben die deutsche Minderheit in die Arme Berlins. Dessen Beistand bringt Schutzgarantien und die Anerkennung der deutschen Volksgruppe als Rechtspersönlichkeit. Der Wiener Schiedsspruch spricht allerdings 1940 Nordsiebenbürgen Ungarn zu. Mit dem Frontwechsel Rumäniens im August 1944 haben die Siebenbürger Sachsen – weil sie Deutsche sind - kollektiv die Kriegsfolgen zu tragen. Durch Krieg, Evakuierung und Flucht dezimiert, erdulden sie vielfältige Verfolgung: Deportation in die Sowjetunion, Verhängung von Zwangsaufenthalt, Entzug der Bürgerrechte, Totalenteignung, Beseitigung der Führungsschicht durch Schauprozesse, Einkerkerung und Ermordung.

Die Evakuierung der Nordsiebenbürger Sachsen und die Flucht aus ganz Siebenbürgen 1944 sind die Themenschwerpunkte des diesjährigen Heimattages. Nur durch Erinnerung wird nichts vergessen und kann gegenseitiges Völkerverständnis und Achtung auch in Zukunft gewährleistet werden. Ursachen, historische Hintergründe und vielfältige Konsequenzen von Umsiedlungen, von Flucht und Vertreibung werden für die Öffentlichkeit verständlich gemacht.

Darüber hinaus kümmert sich Ihr Verband um die politischen, sozialen, rechtlichen und kulturellen Belange der Siebenbürger Sachsen. Das jährliche Treffen am Heimattag ermöglicht ein Erinnern. Es vereint aber auch im festlichen Rahmen. Es bietet ein Wiedersehen mit Freunden, Verwandten und Bekannten und die Gelegenheit, Neues zu erfahren und gemeinsam in die Zukunft zu blicken.

Eine breite Vielfalt an Musik, Sportereignissen, Ausstellungen, Lesungen, Vorträgen, Tanzveranstaltungen, Gottesdiensten, Podiumsdiskussionen und vieles mehr prägt auch heuer das Programm des Heimattages und verspricht einen interessanten und lohnenswerten Aufenthalt in Dinkelsbühl. Ich persönlich bedanke mich für die mir zugetragene menschliche Wärme von Ihnen. Viele freundschaftliche Bande wurden in den letzten Jahren geknüpft. Vieles durfte ich von Ihnen lernen, von Ihrer Vergangenheit, ihren Orten im Karpatenbogen, von Ihren Geschichten von damals und heute.

Ich sage Dank, dass Sie, auch wenn die Ursache die Vertreibung aus Ihrer Heimat war, zum Aufbau unserer Städte nach dem verheerenden zweiten Weltkrieg so tatkräftig beigetragen haben. Dies gilt nicht zuletzt für Dinkelsbühl, deren Entwicklung ohne unsere Siebenbürger anders, nämlich unvorstellbar negativer, verlaufen wäre. Danke dafür!

Ich grüße Euch nunmehr als unsere Freunde. Ich wünsche ein harmonisches Gelingen der Festtage, einen angenehmen Aufenthalt und viel Freude beim Wiedersehen. Die Stadt sei Euer!

Schlagwörter: Heimattag 2014, Dinkelsbühl, Christoph Hammer

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