23. Mai 2024

Parlamentarier Ovidiu Ganţ würdigt die siebenbürgisch-sächsische Gemeinschaft und die deutsch-rumänischen Beziehungen

Das Andreanum, der Freibrief des ungarischen Königs Andreas II. vor 800 Jahren, habe die Grundlage für das Entstehen der Siebenbürger Sachsen als Volk geschaffen, sagte Ovidiu Ganţ in seiner Festansprache zur Eröffnung des Heimattages der Siebenbürger Sachsen am 18. Mai in Dinkelsbühl. Der Abgeordnete des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR) würdigte in seiner Ansprache die erfolgreichen Bemühungen zum Erhalt der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft durch den vor 75 Jahren in Deutschland gegründeten Verband. Auch dem Deutschen Forum sei es nach der Wende von 1989 gelungen, die rumäniendeutsche Gemeinschaft zu begründen und zu festigen. Die deutsch-rumänische Zusammenarbeit sei hervorragend. Dank eines einstimmigen Beschlusses des rumänischen Parlaments wird der 21. April seit Kurzem per Gesetz als Tag der Freundschaft zwischen Rumänien und der Bundesrepublik Deutschland gefeiert. Diese parlamentarische Initiative sei ebenso wie die Entschädigung für ehemalige Russlanddeportierte, die heute im Ausland leben, sowie für deren Kinder in enger Zusammenarbeit mit dem Abgeordneten der jüdischen Minderheit, Silviu Vexler, entstanden. Nach seiner Festrede, die im Folgenden ungekürzt wiedergegeben wird, wurde Ovidiu Ganţ für die „nachhaltige Unterstützung der Anliegen der Siebenbürger Sachsen, insbesondere im Zuge seiner 20-jährigen erfolgreichen Tätigkeit im rumänischen Parlament“ mit dem Großen Ehrenwappen des Verbandes der Siebenbürger Sachsen ausgezeichnet. Die Ehrung sei zudem „ein Zeichen der Anerkennung für seinen Einsatz zur Vertiefung der deutsch-rumänischen Beziehungen“, heißt es in der Urkunde.
Der aus dem Banat stammende Parlamentarier Ovidiu ...
Der aus dem Banat stammende Parlamentarier Ovidiu Ganț hielt die Festansprache zur Eröffnung des Heimattages am 18. Mai in Dinkelsbühl. Fotos: Christian Schoger
Es ist mir eine besondere Ehre und Freude, hier am Heimattag der Siebenbürger Sachsen zu sein und mit Ihnen gemeinsam zu feiern. Sie haben das Jubiläumstreffen unter das Motto „75 Jahre Gemeinschaft – Mach mit!“ gestellt. Zutreffender hätte es kaum sein können. Meiner Ansicht nach ist in der Geschichte der Siebenbürger Sachsen nichts bedeutender als der Begriff Gemeinschaft. Sie, in der Bundesrepublik Deutschland feiern 75 Jahre Gemeinschaft unter neuen Vorzeichen im Mutterland, wir – die Siebenbürger Sachsen zusammen mit den anderen deutschen Gemeinschaften – feiern anlässlich des Sachsentreffens im August in Hermannstadt 800 Jahre, seitdem der ungarische König Andreas II. den Freibrief erlassen hat, der die Grundlage war für das Entstehen der Siebenbürger Sachsen als Volk. In dieser langen Zeit haben Sie eine Gemeinschaft aufgebaut, die ich als beispielhaft betrachte. Der Begriff ist kein Abstraktum, sondern findet seine Verwirklichung in Glauben, Bildung, Kultur, Wirtschaft, Politik und im Sozialbereich. Es ist den intensiven und streng geregelten Beziehungen zwischen den Mitgliedern und den unterschiedlichen Formen dieser gemeinschaftlichen Beziehungen zu verdanken – ich denke an die Nachbarschaften, Bruder- und Schwesternschaften, aber auch an kirchliche und berufliche Strukturen, dass das kleine Volk der Siebenbürger Sachsen auf eine bald 900 Jahre alte Geschichte zurückblicken kann.

Große Veränderungen hat es im Verlauf dieser 900 Jahre stets gegeben, so tiefgreifend wie jene in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren die vorhergegangenen für die Siebenbürger Sachsen und Rumänien jedoch nicht gewesen. Die beiden Weltkriege, das nationalsozialistische Regime, das leider auch unsere Gemeinschaft vereinnahmt hat, der Kommunismus und die Revolution von 1989 hatten dramatische Folgen für die Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen. Die wohl verheerendste: die Gemeinschaft wurde zerrissen und durch den Eisernen Vorhang getrennt. Ein Teil fand hier, in Deutschland, ein neues Zuhause und gründete vor 75 Jahren die Landsmannschaft als ihre Interessenvertretung. Indem die Organisationsstrukturen aus Siebenbürgen hierher verpflanzt worden sind, konnte die Gemeinschaftspflege fortgesetzt werden. Dank vielfältiger Tätigkeit, hunderten von Veranstaltungen und Offenheit gegenüber der bundesdeutschen Gesellschaft ist es Ihnen gelungen, auch hier in Deutschland ein Gemeinschaftsleben zu führen. Dazu möchte ich Sie beglückwünschen und wünsche weiterhin viel Erfolg!
Bundesvorsitzender Rainer Lehni (links) ...
Bundesvorsitzender Rainer Lehni (links) überreicht Ovidiu Ganț das Große Ehrenwappen des Verbandes der Siebenbürger Sachsen, assistiert von Winfried Göllner.
Zunächst war der größere Teil der Gemeinschaft in Siebenbürgen verblieben. Inzwischen leben die Mehrzahl der Sachsen in Deutschland und nur noch ein sehr geringer Teil in Siebenbürgen. Zahlenmäßig sehr geschrumpft, schafft es die kleine Gruppe jedoch, ihr Gemeinschaftsleben weiterhin zu pflegen, wenn auch unter anderen Vorzeichen und Bedingungen als beispielsweise vor 100 Jahren. Als Vertreter aller deutschen Gruppen im Rumänischen Parlament ist es für mich immer wieder beeindruckend und inspirierend, nach Siebenbürgen zu fahren. Der Einsatz und die Tatkraft Ihrer Landsleute vor Ort sind mir immer wieder eine neue Motivation, um die politischen Interessen zu vertreten. Es sind in erster Reihe die Interessen der im Land wohnenden Angehörigen der deutschen Minderheit, aber es sind in zahlreichen Fällen genauso auch Ihre, wie zum Beispiel bei der Zuerkennung der Zusatzrente auch für die jenseits der Landesgrenzen lebenden ehemaligen Deportierten und politisch Verfolgten sowie ihrer Kinder.

Es freut mich, immer wieder feststellen zu können, wie eng die Beziehungen zwischen Ihrem Verband und dem Siebenbürgenforum sind. Das sieht man bei allen Veranstaltungen, egal ob in Deutschland oder in Siebenbürgen. Die beiden Organisationen gehen zusammen und zeigen immer wieder, was Gemeinschaft bedeutet und wie sie gelebt wird. Dafür möchte ich Martin Bottesch und Rainer Lehni ganz herzlich danken und ihnen gratulieren. Das große Sachsentreffen 2017 war ein enormer Erfolg, der sich Anfang August dieses Jahres mit Sicherheit wiederholen und sogar übertreffen wird.

Es freut mich desgleichen, dass das Siebenbürgenforum der Föderation der Siebenbürger Sachsen angehört, in welcher die ehemals in Siebenbürgen beheimateten Sachsen, die nun in der ganzen Welt leben, miteinander verbunden sind.

Der Begriff Gemeinschaft hatte sich nach Dezember 1989 für die Sachsen in Siebenbürgen zunächst dramatisch ins Negative verändert. Es gibt vermutlich auch unter Ihnen viele, die an eine Zukunft und positive Entwicklung in Rumänien nicht geglaubt haben. Die Gründung des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien hat jedoch entscheidend zum Entstehen einer anderen Gemeinschaft beigetragen, nämlich jener der Rumäniendeutschen. Wozu 1918 die Rahmenbedingungen gelegt worden waren, vor allem in politischer Hinsicht, das wurde nach der politischen Wende als Notwendigkeit erkannt, und zwar, dass nur alle deutschen Siedlergruppen zusammen, Siebenbürger Sachsen, Banater und Sathmarer Schwaben, Buchenland- und Altreich-Deutsche, Zipser und Landler gemeinsam, in Rumänien etwas erreichen können. Das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien (DFDR) wollte von Anfang an die Vertretung aller Rumäniendeutschen sein, musste aber zunächst selbst lernen, wie die Interessen dieser verschiedenen deutschen Gruppen zu bündeln sind. Ich meine aber, wir haben in den über 30 Jahren gelernt, eine Gemeinschaft zu sein.

Das, was wir, das DFDR heute sind – und zwar ein Garant für eine erfolgreiche und vielfältige Tätigkeit und Zusammenarbeit auf allen Ebenen – ist vor allem dem Landesvorstand und seinem Vorsitzenden Dr. Paul Jürgen Porr zu verdanken. Er, ein Siebenbürger Sachse, hat es wie keiner vor ihm verstanden, durch seine menschliche Art, durch Kommunikation und Präsenz, vor allem aber durch Kooperation mit den fünf Regionalvorsitzenden, unserer Gemeinschaft das Gefühl der Einheit zu vermitteln und zu pflegen, wo alle Deutschen gleich wertvoll sind.

All das, was Sie hier in Deutschland, und wir in Rumänien für die Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen und der Rumäniendeutschen erreicht haben, wäre ohne die konsequente und kontinuierliche Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland, der Bundesländer bzw. Kommunen und im Fall der Rumäniendeutschen selbstverständlich auch Rumäniens in diesem Umfang nicht denkbar gewesen. An dieser Stelle möchte ich ein herzliches Dankeschön an die Bundesregierung und die Regierung Rumäniens sowie die Regierungen des Freistaats Bayern, Nordrhein-Westfalens, Baden-Württembergs und Hessens richten.

Die juristische Grundlage der hervorragenden Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Rumänien nach der politischen Wende ist der am 21. April 1992 in Bukarest unterzeichnete bilaterale Freundschaftsvertrag. Dieser sieht expressis verbis vor, dass sich beide Staaten verpflichten, unserer Gemeinschaft zu helfen. Das ist geschehen und geschieht und deswegen habe ich mich einmal mehr verpflichtet gefühlt, dies öffentlich zu würdigen. Gemeinsam mit meinem Kollegen Silviu Vexler, dem Vertreter der jüdischen Gemeinschaft im Parlament, haben wir erreicht, dass der 21. April per Gesetz zum Tag der Freundschaft zwischen Rumänien und der Bundesrepublik Deutschland erklärt wurde. Unsere Gesetzesinitiative ist vom Parlament quasi einstimmig angenommen worden. Apropos Gemeinschaft: trotz Holocaust und der damaligen Verbrechen bestehen heute ausgezeichnete Beziehungen zwischen der deutschen und jüdischen Gemeinschaft in Rumänien. Während der düsteren Zeit des Regimes Ponta-Dragnea-Dăncilă, als das Deutsche Forum auf übelste Weise diffamiert und öffentlich als Nachfolger der Deutschen Volksgruppe der Nazi-Zeit bezeichnet wurde, waren unsere jüdischen Freunde die einzigen in der rumänischen Gesellschaft, die uns in Schutz genommen und öffentlich diese Verleumdungen zurückgewiesen haben. Ich möchte auch in diesem Rahmen der jüdischen Gemeinschaft in Rumänien für die Unterstützung danken, die sie uns gewährt hat und gewährt. Übrigens: das Gesetz zur Entschädigung der Opfer des Kommunismus unabhängig ihrer Staatsbürgerschaft und ihres Wohnsitzes wurde ebenfalls gemeinsam mit Silviu Vexler initiiert.

Abschließend möchte ich auf die für die Siebenbürger Sachsen und die Rumäniendeutschen weitreichendste Dimension des Gemeinschaftsbegriffs eingehen, nämlich die europäische Dimension. Wir müssen heute mehr denn je zusammenhalten, um gemeinsam für Frieden und Stabilität in Europa beizutragen. Es ist unsere moralische und politische Pflicht, uns für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einzusetzen. All dies sind Merkmale, die unsere Gemeinschaft über Jahrhunderte geprägt haben und die für Deutschland, Rumänien, Europa und die Welt grundlegend sind. Deshalb müssen wir uns kontinuierlich für unsere Werte einsetzen, gerade in Zeiten, in denen Diktatoren, Terroristen und Extremisten die Lebensweise unserer Gemeinschaft gefährden. Ich danke Ihnen nochmals für die besondere Ehre, aus Anlass Ihres Jubiläums hier sprechen zu dürfen, und wünsche Ihnen allen Gesundheit, Erfolg und ein wunderschönes Sachsentreffen! Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Schlagwörter: Heimattag 2024, Ovidiu Gant, deutsch-rumänische Beziehungen

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