6. Dezember 2024

Rede zum Volkstrauertag in Dinkelsbühl: Gedenken und Mahnung zugleich

Die Gedenkfeier zum Volkstrauertag am 17. November in Dinkelsbühl begann mit der Aufstellung der Vertreter der Stadt und der Vereine, darunter der Kreisgruppe Dinkelsbühl – Feuchtwangen, an der Gedenkstätte der Siebenbürger Sachsen an der Alten Promenade. Die Feierlichkeiten wurden mit den Klängen der Dinkelsbühler Stadtkapelle eröffnet. Ingrid Mattes, stellvertretende Vorsitzende des Landesverbands Bayern, wies in ihrer Rede auf die traurige Aktualität des Volkstrauertages hin.
Ingrid Mattes sprach an der Gedenkstätte in ...
Ingrid Mattes sprach an der Gedenkstätte in Dinkelsbühl. Foto: Sofia Schuster
Anschließend begaben sich die Teilnehmer zur Kriegergedächtniskapelle, wo ebenfalls Kränze niedergelegt wurden und das Lied vom Guten Kameraden erklang. Beim Festgottesdienst beider Konfessionen im Münster St. Georg hielt Oberbürgermeister Dr. Christoph Hammer eine Ansprache. Die Rede von Ingrid Mattes an der Gedenkstätte wird im Folgenden leicht gekürzt wiedergegeben.

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Hammer, sehr geehrte Stadträtinnen und Stadträte, meine Damen und Herren, liebe Landsleute, ich begrüße Sie sehr herzlich zur diesjährigen Gedenkveranstaltung anlässlich des Volkstrauertages.

Der Volkstrauertag ist mehr als 100 Jahre alt – und hat seit Februar 2022 an erschütternder Aktualität gewonnen: In Europa tobt ein Angriffskrieg. Städte und Landschaften werden dem Erdboden gleichgemacht, Menschen sind auf der Flucht, die Zahlen der Toten und Verwundeten steigen mit jedem Tag.

„Die Welt ist aus den Fugen geraten“ – so die Worte von Frank Walter Steinmeier beim letzten Volkstrauertag. Die Liste der kriegerischen Auseinandersetzungen, die derzeit auf der Welt stattfinden, ist lang. Das damit verbundene Leid an der Zivilbevölkerung ist groß. Die Zahl der kriegsbedingten Todesfälle wird in diesem Jahr die 150.000er Marke übersteigen. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass wir uns in diesen Tagen an den Kriegerdenkmälern versammeln, um an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft zu erinnern und das unschätzbare Gut des Friedens zu würdigen.

Wir stehen heute hier in Dinkelsbühl vor der Gedenkstätte der Siebenbürger Sachsen mit seiner Inschrift: „Gedenke der Deutschen Söhne und Töchter Siebenbürgens, die in zwei Weltkriegen und schweren Nachkriegsjahren, ihr Leben ließen – im Osten, Westen, Süden und Norden, auf der Flucht, hinter Stacheldraht, in der Heimat.“

Vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg, ein Krieg, der eine Welt in Schutt und Asche legte und unsagbares Leid über Millionen von Menschen brachte. Nicht nur, aber besonders an Tagen wie heute wollen wir die Erinnerung hochhalten. Es ist von großer Bedeutung, dieses Andenken an unsere nachfolgenden Generationen weiterzugeben und aufzuzeigen, wohin sinnlose Machtansprüche, nationale Egoismen oder die Durchsetzung rassistischen Gedankengutes führen können.

Der österreichische Schriftsteller Karl Kraus schrieb in seinem 1922 erschienenen Werk „Die letzten Tage der Menschheit“: „Alles, was gestern war, wird man vergessen haben. Was heute ist, nicht sehen. Was morgen kommt, nicht fürchten. Man wird vergessen haben, dass man den Krieg verloren, vergessen haben, dass man ihn begonnen, vergessen, dass man ihn geführt hat.“

Diese Worte erinnern uns an die doppelte Bedeutung des heutigen Tages. Der Volkstrauertag ist nicht nur ein Tag der Trauer, sondern ein Tag des Gedenkens und Mahnung zugleich. Es handelt es sich beim Volkstrauertag nicht um ein verstaubtes Ritual aus einer fernen Vergangenheit. Es geht um mehr als um eine langweilig gewordene Tradition. Wir gedenken nicht nur jener Menschen, die unter den Deutschen während der finsteren Abschnitte unserer eigenen Geschichte gelitten haben, sondern auch all jener, die bis heute unter bewaffneten Auseinandersetzungen, Terror und Folter leiden und an deren Folgen sterben. Dieses Gedenken ist eine menschliche Verpflichtung, keine bloße Erinnerungsveranstaltung im Sinne einer Art Familientreffen von und für vergangenheitsorientierte alte Menschen.

Vergessen wir beim Gedenken an die Toten: Es sind nicht irgendwelche anonymen Mächte und Strukturen. Es ist der Mensch, der den Menschen bedroht. Deshalb sind Gedenken und Mahnen umso wichtiger, wenn wir uns vor Augen halten, wie sich uns die Welt, ein Jahrhundert nach den ersten Schüssen des Ersten Weltkrieges – heute darstellt:

In Zeiten von bevorstehenden Regierungszeiten Trumps mitsamt seinen unberechenbaren Überraschungsmomenten und unserem aktuellen Regierungschaos auf Bundesebene verliert unser westliches Modell liberaler Demokratie an Souveränität und öffnet Tür und Tor für Verunsicherung, Politikverdrossenheit und extreme Strömungen.

Der eskalierende Konflikt hat im Gazastreifen schwerwiegende humanitäre Folgen verursacht. Hunderttausende Menschen wurden vertrieben und haben eingeschränkten Zugang zu lebensnotwendigen Gütern, wie Wasser und medizinischer Versorgung.

Seit dem erneuten Ausbruch bewaffneter Konflikte zwischen Militärfraktionen im April 2023 befindet sich Sudan in einer schweren Krise. Gewalt, Zwangsvertreibungen und die Zerstörung von Infrastruktur haben Millionen Menschen in Not gebracht. In Westafrika verschärfen bewaffnete Konflikte und der Klimawandel die Krise. In Burkina Faso sind Millionen von Menschen aufgrund von Gewalt und Ressourcenmangel vertrieben. Die Liste ist leider nicht abschließend.

Uns allen sollte bewusst sein, dass das Risiko für einen sogenannten „geopolitischen Unfall“ 2019 nicht nur einmal, sondern mehrfach erhöht waren. Und umso dankbarer müssen wir sein, dass weitere Kriege verhindert wurden und dass sich dafür unzählige Menschen erfolgreich eingesetzt haben. Es ist die Aufgabe jeder Generation, diese Freiheit zu schützen und zu verteidigen. Gerade in einer Zeit, in der Polarisierung, Ausgrenzung und Extremismus wieder vermehrt aufkeimen, ist es unsere Pflicht, wachsam zu sein und uns für das friedliche Miteinander einzusetzen. Der Volkstrauertag fordert uns auf, Brücken zu bauen und Verständnis füreinander zu zeigen, selbst wenn wir unterschiedliche Meinungen oder Überzeugungen haben. Nur so können wir den Frieden und die Freiheit, die wir heute genießen, auch für kommende Generationen bewahren.

Jedoch reichen Gedenken und Erinnern allein nicht aus. Wir müssen uns fragen, wie wir konkret dazu beitragen können, das Leid der Vergangenheit nicht zu wiederholen. Jeder von uns kann etwas bewirken – sei es durch eine klare Haltung gegen Ausgrenzung, durch Engagement für Toleranz und Vielfalt oder durch den aktiven Einsatz für eine solidarische Gesellschaft. Es beginnt in der Nachbarschaft, in der Schule, am Arbeitsplatz – überall dort, wo wir mit Menschen zusammenkommen.

Ich wünsche uns allen, dass wir uns gegenseitig mit freundschaftlichen Gesten überraschen, dass wir Traditionelles auch immer wieder hinterfragen, – das Vertrauen entwickeln uns auch schwach zu zeigen und interessiert auf die zugehen, die wir noch gar nicht kennen. Die eigene Zufriedenheit, tägliche Dankbarkeit, Freundschaften, Nachbarschaften und Gemeindepartnerschaften zu pflegen, anderen Kulturen mit Wertschätzung und Toleranz zu begegnen, ist die beste Aufrüstung für den Frieden.

Diese Wachsamkeit sind wir auch all denen schuldig, an die wir heute am Volkstrauertag erinnern – und für die ich nun das Totengedenken spreche (Quelle: Gedenkportal des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V.):

„Wir denken heute an die Opfer von Gewalt und Krieg, an Kinder, Frauen und Männer aller Völker. Wir gedenken der Soldaten, die in den Weltkriegen starben, der Menschen, die durch Kriegshandlungen oder danach in Gefangenschaft, als Vertriebene und Flüchtlinge ihr Leben verloren. Wir gedenken derer, die verfolgt und getötet wurden, weil sie einem anderen Volk angehörten, einer anderen Rasse zugerechnet wurden, Teil einer Minderheit waren oder deren Leben wegen einer Krankheit oder Behinderung als lebensunwert bezeichnet wurde. Wir gedenken derer, die ums Leben kamen, weil sie Widerstand gegen Gewaltherrschaft geleistet haben, und derer, die den Tod fanden, weil sie an ihrer Überzeugung oder an ihrem Glauben festhielten. Wir trauern um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage, um die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung, um die Bundeswehrsoldaten und anderen Einsatzkräfte, die im Auslandseinsatz ihr Leben verloren.

Wir gedenken heute auch derer, die bei uns durch Hass und Gewalt Opfer geworden sind. Wir gedenken der Opfer von Terrorismus und Extremismus, Antisemitismus und Rassismus in unserem Land. Wir trauern mit allen, die Leid tragen um die Toten, und teilen ihren Schmerz. Aber unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern, und unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen zu Hause und in der ganzen Welt.“

Schlagwörter: Volkstrauertag, Dinkelsbühl

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