22. Mai 2025
Mehr als Trinken, Tracht und Tanz? Warum sich der Aufwand und 15 Euro Eintritt für den Heimattag der Siebenbürger Sachsen lohnen
Als Bundeskulturreferentin stehe ich jeden Tag vor der Frage, was eigentlich diese siebenbürgisch-sächsische Kultur ist, die ich bei meiner Arbeit pflege und vermittle. Dass unsere Veranstaltungen stark von Volkstanz, Tracht und (feuchtfröhlicher) Gemeinschaft geprägt sind, ist nicht zu bestreiten. Doch sind wir nicht sehr viel mehr als die 3T – Trinken, Tracht und Tanz?

Zeltplatz, Festzelt, Siebenbürger Markt, Sportplätze, Ausstellungen, Vorträge, Kinderprogramm, Werbematerial, Livestream-Technik, Herrichten der Stadt – der Aufwand, den der Verband zusammen mit seinen Partnern alljährlich für ein verlängertes Wochenende betreibt, ist immens. Besonders in Anbetracht dessen, dass ein gewichtiger Teil ehrenamtlich organisiert wird. Es sind zwei Dutzend überaus engagierte Menschen, die sich über Monate hinweg Gedanken über den Heimattag machen, in mehreren stundenlangen und äußerst lebhaften Vorbereitungssitzungen die Details besprechen, Verwandte und Bekannte mobilisieren, am Pfingstwochenende Material herankarren, Schichten schieben, auf Abruf bereitstehen und kaum zum Durchatmen kommen. Das Heimattagsmotto „Zusammen Seite an Seite“ trifft auf diese Leute ganz besonders zu, sie sind bereit, Verantwortung für die Gemeinschaft zu tragen und dafür einiges an Freizeit zu opfern.
Es ist fordernd, sich ein so intensives Wochenende um die Ohren zu schlagen. Doch wo, wenn nicht am Heimattag, erreichen wir so viele Menschen auf einmal? Wo kann man die große siebenbürgisch-sächsische Gemeinschaft erleben und sich die Vielfalt der kulturellen Äußerungen besser vor Augen führen? Besteht nicht berechtigte Hoffnung, dass die Besucher bestärkt und mit neuen Ideen, Impulsen und Gefühlen vom Pfingstwochenende wieder nach Hause fahren?
Natürlich könnten wir eine Sparversion fahren und uns beim Programm auf die Publikumslieblinge Trachtenumzug, Volkstänze und Party im Festzelt konzentrieren. Aber so einfach wollen wir es uns nicht machen, unser Anspruch ist ein anderer. Ein Heimattag ohne die Verhandlung geschichtlicher Themen, die Präsentation kultureller Erzeugnisse und die Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft wäre wie Mici ohne Knoblauch und wie Baumstriezel ohne Zucker: sicher leicht zu verdauen, aber fad, beliebig und ohne Seele.
Solange wir können, schöpfen wir lieber aus dem Vollen. So wird beispielsweise der diesjährige Mitausrichter, der Landesverband Bayern, heuer alle Ausstellungsräume, die uns in Dinkelsbühl zur Verfügung stehen, belegen: Während Helite Tontsch-Schmid in der evangelischen St. Paulskirche ihre Kirchenburgen-Aquarelle präsentieren wird, stellt Herta Daniel im ersten Stock des katholischen Pfarrzentrums Bilder ihres Vaters, des Malers Karl Nik Voik, aus. Im Spitalhof kann in den Ausstellungen von Katharina Böhm („Handarbeiten aus Nordsiebenbürgen“, Konzertsaal) und von Gerhild Wächter („Schnitt im Blick: Fotografie, Scherenschnitt, Installation“, Kunstgewölbe) sozusagen „der Hände Fleiß“ bewundert werden. Dass man nicht nur für Handarbeiten, sondern auch fürs Fotografieren ein gutes Händchen und Fingerspitzengefühl braucht, können Trachtenträger am Pfingstsonntag selbst erleben, wenn sie Gerhild Wächters Einladung folgen und bei der Fotoaktion „Kleider machen Leute“ Modell stehen.
Handgemachtes wird es auch an anderer Stelle zu bestaunen geben, und zwar in der Ausstellung zu Keramik und Ritual des Siebenbürgischen Museums im Haus der Geschichte (inklusive Vortrag am Sonntag). Weiter begleitet uns das Handwerk über die Brauchtumsveranstaltung „Die Kraft der Zunft und das besondere Gesellenstück“ am Samstag in der Schranne bis hin zur Lesung sächsischer Mundartautor/innen am Sonntag im Spitalhof, die sich unter dem Titel „Håndwerk. Ållerlåå“ demselben Thema widmet. Erkenntnisse über den Alltag und die Bräuche vergangener Zeiten sind bei diesen Programmpunkten garantiert.
Weiterer Wissenszuwachs ist am Sonntag bei einem Vortrag über den Deutschen Orden und die Befreiung des Burzenlandes vor 800 Jahren zu erwarten. Dass ferner Schloss Horneck in Gundelsheim einst dem Deutschen Orden gehörte, ist in diesem Kontext ein passender Zufall, doch wer denkt, dass sich bei den dort beherbergten Einrichtungen (Archiv, Bibliothek und Museum) alles nur um die Vergangenheit dreht, der irrt: Die Vorträge in Dinkelsbühl behandeln vielmehr die Zukunftssicherung.
Wer sich nun mehr für die Geschichte des 20. Jahrhunderts interessiert, der wird am Samstag gut bedient: Während Heike Schusters Performance sich am Abend „Auf den Spuren der nach Russland deportierten Rosa Lukesch“ bewegt, bietet uns Kulturpreisträgerin Hannelore Baier mit einem Gespräch über „Deportation – Verfolgung – Überwachung – Freikauf“ einen Überblick über gleich mehrere prägende Themen der Zeitgeschichte. Das Jahr 2025 ist das Gedenkjahr an den 80. Jahrestag der Deportation in die Sowjetunion, und diese Zäsur samt ihren Folgen verdient eingehende Betrachtung.
Fröhliche Jahrestage stehen beim Heimattag ebenfalls an: 75 Jahre Siebenbürgische Zeitung, 75. Heimattag sowie 40 Jahre Partnerschaft zwischen der Stadt Dinkelsbühl und dem Verband der Siebenbürger Sachsen. Diese Jubiläen werden sich in einer kleinen Ausstellung zur Zeitung sowie der Podiumsdiskussion am Pfingstmontag niederschlagen.
Puh! Allein schon die Aufzählung des diesjährigen Programms kostet mich einige Mühe. Dabei habe ich noch gar nicht alles genannt. Aber es ist uns den Aufwand definitiv wert, denn wir geben uns mit den 3T nicht zufrieden. Wir wollen mindestens 4T, es braucht nämlich auch Tiefgang. Meine kulinarische Metapher korrigiere ich deshalb an dieser Stelle: Ein Heimattag ohne Tiefgang ist viel eher wie eine Schnitte ohne Creme, eine Wurst ohne Haut oder ein Urzeltag ohne Kraut.
So, wie die weltweit größte Veranstaltung der Siebenbürger Sachsen uns monatelanges Kopfzerbrechen wert ist, ist sie unseren Gästen hoffentlich 15 Euro „Eintritt“ wert. Jedes Jahr begegne ich Menschen, die sich für besonders gewitzt halten, weil sie es geschafft haben, sich ohne Kauf des Festabzeichens in die Stadt zu schleichen. Jedes Jahr gibt es Diskussionen an den Stadttoren und ausweichende oder gar unflätige Reaktionen, wenn man Menschen bei einer Veranstaltung auf das fehlende Abzeichen anspricht. Mich macht dieser Mangel an Wertschätzung fassungslos.
In einer idealen Welt sehen die Besucher des Heimattags ihren finanziellen Beitrag nicht als Pflichtabgabe an, sondern als Geste der Solidarität und Ermutigung, im Sinne von: Macht weiter so, damit das fünfte T, die Tradition, noch lange aufrechterhalten bleibt.
Dagmar Seck
Schlagwörter: Heimattag 2025, Organisation, Kulturprogramm
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- 23.05.2025, 12:07 Uhr von wurzelbrot: Sehr gut geschrieben, wir sehen uns in Dinkelsbühl - es wird schön, wie immer - hoffentlich mit ... [weiter]
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