11. Juni 2025

Rumäniens Außenministers Emil Hurezeanu in Dinkelsbühl: "Wir leben und praktizieren Europa seit jeher"

Rumäniens Außenminister Emil Hurezeanu ist erst seit sechs Monaten im Amt, ob er es auch in der neuen Regierung innehaben wird, ist noch offen. Auch als Chefdiplomat seines Landes erwies er den Siebenbürger Sachsen die Ehre und nahm, ähnlich einer Prozession, in den letzten 35 Jahren zum wiederholten Male am Heimattag in Dinkelsbühl teil. Der gebürtige Hermannstädter fühlt sich den Siebenbürger Sachsen freundschaftlich tief verbunden, wie er in seinem Grußwort am Pfingstsonntag, dem 8. Juni, bekannte. Hurezeanu würdigte den gemeinsamen Weg, die Werte und den christlichen Glauben, die man teile. Der Minister freute sich, dass die deutsch-rumänischen Beziehungen ihre beste Zeit erlebten, und zeigte sich zuversichtlich, dass die Kirchenburgen in Siebenbürgern niemals untergehen werden. Emil Hurezeanus Ansprache, eine Liebeserklärung an die Siebenbürger Sachsen und Europa, wird im Folgenden ungekürzt wiedergegeben.
Rumäniens Außenminister Emil Hurezeanu sprach als ...
Rumäniens Außenminister Emil Hurezeanu sprach als ranghöchster Ehrengast am Pfingstsonntag, dem 8. Juni 2025, vor der Schranne in Dinkelsbühl. Foto: Petra Reiner
Sehr geehrte offizielle Gäste, verehrte Exzellenzen, meine Damen und Herren Minister, verehrte Kirchenvertreter, liebe Bekannte und Unbekannte,
liebe sächsische Damen und Herren, würdige Mitbürgerinnen und Mitbürger, unersetzliche Kollegen und Mitgestalter unserer gemeinsamen Geschichte in Siebenbürgen, in Rumänien, in Deutschland und in Europa, Grüß Gott, bun găsit, bună ziua - și ziua e sfântă și frumoasă, heute anlässlich der 75. Jubiläumsveranstaltung des Heimattages der Siebenbürger Sachsen!

Ich habe zum ersten Mal an Ihrem Treffen in Dinkelsbühl in den 80er Jahren des ehemaligen Jahrhunderts teilgenommen. Zu der Zeit lebte ich in München und war tätig als Journalist bei Radio Freies Europa. Jeden Abend habe ich über das Leid der Menschen während den dunkelsten Jahren des Kommunismus in Rumänien gesprochen und dabei Sie, unsere Deutschen in Rumänien, niemals vergessen.

Sie, die Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen, waren unter den Ersten, die Rumänien verlassen haben, so schwer es Ihnen auch gefallen ist, trotz vieler Hindernisse. Eine traurige und pessimistische Stimmung umgab uns alle. Die Rumänen im Land hatten ein schweres Leben, ohne große Hoffnungen, und konnten, im Gegensatz zu Ihnen, nicht einmal auf einen rettenden Reisepass in ein neues Land hoffen.

Die Revolution von 1989 hat uns allen das Leben verändert. Die meisten verbliebenen Sachsen haben Rumänien 1990 und ein-zwei Jahre später verlassen. Danach kamen auch viele Rumänen nach Deutschland. Heutzutage leben in Deutschland mehr Rumänen als Deutsche rumänischer Herkunft.

Die Geschichte erwartet uns an Kreuzungen und Wendepunkten, in unterschiedlichen Gestalten und mit verschiedenen Absichten. Nicht alle sind gutgemeint und freundlich.

In den letzten 35 Jahren bin ich immer wieder hierher zurückgekehrt, von München aus, von Köln aus, später von Rumänien aus. Von 2015 bis 2021 kam ich zu Ihnen in meiner Kapazität als Botschafter von Rumänien in Berlin. Danach bin ich von Wien aus nach Bayern hochgefahren. Diese repetitive Reise ähnelte jedes Mal einer Prozession, einer realen und symbolischen Pilgerreise.

Ein Wiedersehen mit Freunden, Bekannten und Nachbarn aus meiner Kindheit und Jugend, aus Sibiu, Mediaș, Brașov, Sighișoara, Bistrița oder Cluj - die Begegnung mit Ihnen war und bleibt einer Art Wiedererkennung meiner selbst, aber auch von Ihnen, persönlich und kollektiv.

Aber auch eine immer wieder aktualisierte Form des Kennenlernens und Erkennens unserer gemeinsamen und getrennten Geschichte. Wir sind Seite an Seite gegangen, wir haben uns getrennt, wir haben uns manchmal geärgert, wir waren uns lange Zeit gleichgültig, aber wir haben uns nicht vergessen, wir erinnern uns an die gleichen Orte, wir haben die gleichen Erfahrungen gemacht, und heute, am Pfingsten, sind wir wieder dieselbe Gemeinschaft.
Ehrengäste auf der Festtribüne des Heimattages ...
Ehrengäste auf der Festtribüne des Heimattages 2025 in Dinkelsbühl, von links nach rechts: Oberbürgermeister Dr. Christoph Hammer, Bundesaussiedlerbeauftragter Dr. Bernd Fabritius, der Musiker Peter Maffay, Rumäniens Außenminister Emil Hurezeanu, Bundesvorsitzender Rainer Lehni und Hessens Innenminister Dr. Roman Poseck. Foto: Siegbert Bruss
Pfingsten bedeutet die Ausgießung des Heiligen Geistes unter uns, das Entstehen der Kirche, aber auch die Einigung der christlichen Gemeinschaft. In ihrem Schoß sind wir geborgen, besonders in diesem Jahr, in dem Ostern gemeinsam gefeiert wurde, wir alle, Töchter und Söhne Gottes, ob katholisch, evangelisch oder orthodox. Denn wir sind alle gleich in Christus, wir sind Brüder und Schwestern des Kreuzes, fraţi și surori de cruce, buchstäblich und im übertragenen Sinne.

Als ich 2016, als Botschafter von Rumänien nach Berlin, den damaligen Ministerpräsidenten Dacian Cioloș überredete, zu Ihnen zu kommen, sprach er Sie mit „Liebe Brüder“ an.

Wir sind nach dem, was wir waren, und für eine Weile getrennt, geographisch und historisch, Brüder und Schwestern geblieben. Nicht nur, weil man sich seine Brüder und Schwestern nicht aussucht, wie man sagt, sondern weil man sie so annimmt, wie Gott sie einem gibt, gut oder böse, gut und böse.

Ich danke Ihnen, dass Sie mich an diesem heiligen Tag, dem Pfingstsonntag, in Ihren Reihen willkommen geheißen haben!

Unsere bayerischen Freunde und Amtskollegen, der unermüdliche und hervorragende Bürgermeister dieser schönen Stadt wie aus einem Grimm’schen Märchen, Herr Dr. Christoph Hammer, einer Stadt, die fast so schön ist wie Hermannstadt oder Schäßburg – Entschuldigung für die begrenzten und sehr subjektiven Beispiele – wie schön, Sie wiederzusehen! Gott sei Dank!

Seit dem 50. Tag nach Ostern, also seit dem ersten Pfingstfest der Geschichte, hat sich die Welt mehrfach verändert. Und sie droht noch unberechenbarer, noch gefährlicher zu werden. Deshalb müssen wir an den Geist des Pfingstfestes glauben, an den Heiligen Geist selbst, der sich siegreich durch die Jahrtausende gekämpft hat, der unsere Kirchen und Gemeinschaften möglich gemacht hat, die uns beschützten, als uns die Geschichte nicht liebte.

Ihre Kirchenburgen in Siebenbürgen stehen als Zeugnis dafür. Sie haben sie gebaut, haben in ihnen Zuflucht gesucht und gebetet, jetzt restaurieren und bewundern wir sie in Rumänien. Seien Sie versichert, dass sie niemals untergehen werden.

Viele Freuden und Sorgen verbinden uns. Sie wurden nach dem Zweiten Weltkrieg nach Russland deportiert, Sie haben Land und Sinn verloren, als Sie das kommunistische Rumänien verließen, haben Sie eine integrierte und strukturierte europäische Zivilisation zurückgelassen, von der wir gemeinsam ein Teil sind.

Jetzt treffen wir uns immer öfter in Freiheit, viele junge Menschen, die in Deutschland geboren sind, wollen ihr Herkunftsland und Sprache kennen lernen. Viele Rumänen studieren an traditionellen deutschen Gymnasien in Sibiu, Brasov, Mediaș, Timișoara und sogar in Bukarest. Gute, sehr gute Zeichen.

Sie gehören zu den ersten Europäern, die durch das Diploma Andreanum in den Genuss verfassungsmäßiger Freiheit und Souveränität kamen, Sie gehören zu den ersten Europäern, die die Grundschulpflicht einführten, Sie gehören zu den einzigen Europäern, die ohne Blutvergießen vom Katholizismus zum Lutheranismus übergetreten sind, Sie waren die erste nationale Minderheit, die 1919 in Mediaș für die Vereinigung Siebenbürgens mit Rumänien stimmte.

Sie waren und bleiben ein Band, ein fester Kitt, über sieben Brücken hinaus, menschlich, lebendig, aber auch abstrakt, symbolisch, historisch und geografisch, das Rumänien und Deutschland, Rumänen und Deutsche, für immer in unserem gemeinsamen Europa vereint und bindet.

Sie haben buchstäblich erreicht, was die Rumänen für unmöglich halten: Ihre Seele ist im Himmel und Ihr Speck auf dem Dachboden. Entweder das eine oder das andere, glauben die Rumänen. Sie waren sonntags in der Kirche, und auf dem Dachboden der Kirche habt ihr den Speck und die Würste aufbewahrt, von denen jede Familie so viel genommen hat, wie sie brauchte. Weder wir noch Sie können sich die Vergangenheit, die Heimat und damit die Gegenwart und die Zukunft ohne einander vorstellen.

Ein europäisches Experiment einer multiethnischen, multisprachlichen und multikonfessionellen Gemeinschaft, die lange vor der Gründung der Europäischen Union gestaltet wurde. Wir leben und praktizieren Europa, natürlich und freiwillig, seit jeher.

Bleiben Sie gesund und fröhlich, wie Ion Luca Caragiale sagte, der große rumänische Schriftsteller, der sich entschied in Berlin zu sterben. Sie werden in Rumänien immer zu Hause sein! Kümmert euch um die in Deutschland ansässigen Rumänen, vergesst eure alten Landsleute nicht, helft ihnen, sich in Deutschland so wohl wie möglich zu fühlen.

Die mehr als 200.000 rumänischen Staatsangehörigen, haben sich gut eingelebt, beruflich, persönlich, kulturell. Wir bedanken uns bei den bayerischen Behörden für die andauernde Unterstützung des Integrationsprozesses der rumänischen Bürger. Es ist wichtig, ihnen zu helfen, ihre Wurzeln und ihre Identität zu bewahren.

Wir sind froh, dass unsere Länder, Rumänien und Deutschland, die beste Zeit der politischen, wirtschaftlichen und menschlichen Beziehungen erleben.

In diesem Jahr würdigen wir gemeinsam die engen rumänisch-deutschen Beziehungen im Rahmen des 145. Jahrestages seit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Rumänien und Deutschland.

Die Länder und ihre Interessen haben uns, ihren Einwohnern, manchmal sehr geschadet, uns getrennt, uns feindlich gesinnt. Heute jedoch sind sie dem Beispiel der Menschen gefolgt, in unserem Fall der Deutschen und der Rumänen. Wenn Menschen glücklich sind, leben ihre Staaten ebenfalls in Harmonie.

Wenn Staaten die gleichen Werte und Interessen teilen, in gutem Frieden, sind auch ihre Bürger zufrieden und wohlwollend, wie am Pfingstsonntag in der Kirche.

Vielen herzlichen Dank!
Doamne ajută, helf Gott!

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Schlagwörter: Heimattag 2025, deutsch-rumänische Beziehungen, Hurezeanu

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