26. April 2020

Geistliches Wort der Heimatkirche: Mit Wechseln leben

Langsamer Ausstieg aus dem Lockdown: Wie geht das? Was hat wann wieder Normalbetrieb? Aber die Schulen? Welche Klassen? KITAs ausgenommen – wer hat denn Recht auf Notbetreuung? Die Läden? Bis zu wieviel Quadratmetern noch mal? Muss ich in Kurzarbeit? Maskenpflicht? In welchem Bundesland? Kann man wieder reisen? Wie kommt man über die Grenzen? Fällt der Sommerurlaub in diesem Jahr aus? Die Landschaft der Maßnahmen, Bestimmungen und Verordnungen ist unübersichtlich und verwirrend. Wir bewegen uns unsicher und fragend durch das Unbekannte. Der heutige Sonntag spricht aber gerade von Leitung in wechselnden Zeiten.
Zweiter Sonntag nach Ostern (Misericordias Domini)

Jesus spricht: „Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir, und ich gebe ihnen das ewige Leben.“ (Johannes 10, 11a. 27-28a)

Ein altes Bild

„Der gute Hirte“, so lautet in unserer evangelischen, kirchlichen Tradition das Thema des aktuellen Sonntags, der den Namen „Misercordias Domini“ trägt, zu Deutsch: „Gottes Barmherzigkeit”. Somit zeigt sich schon in dem Grundgedanken eine enge Verbindung zwischen dem Bild des Hirten und der Barmherzigkeit. Es kommt aber noch ein Drittes dazu: In den Evangelienlesungen und Episteln des Sonntags ist speziell von Jesus als dem guten Hirten die Rede. Er zeigt seinem Umfeld gegenüber – in unterschiedlichen Situationen - wieder und wieder Untestützung, Zuneigung, Hilfsbereitschaft, Versöhnung, Empathie. Wir führen uns den Wochenspruch vor Augen: „Ich bin der gute Hirte“. Für die, die in der Tradition der Kirche stehen, sind das alles Gedanken, die Geborgenheit, Schutz, aber auch Hoffnung in den Herzen erwecken. Es geht aber nicht nur um die kirchlichen Menschen, sondern mit diesem Ruf lädt er jene ein, die in Ängsten, in Nöten und Sorgen sind, alle die einsam sind, alle, die Beistand und Hilfe brauchen. Vor allem in unsicheren Zeiten quer durch die Menschheitsgeschichte. Wir, die wir in Siebenbürgen aufgewachsen sind, haben noch das Bild der Wanderhirten vor Augen. Im Orient ist dieses noch lebendig und man kann ein sehr interessantes Detail beobachten: Hirten ziehen mit ihren Schafen von Weideland zu Weidenland. Der Hirte geht voran und keilförmig folgt ihm die Herde. Dazu spielt er die Flöte. Nicht aus ästhetischen Gründen kommen weiche Töne aus seiner Flöte. Nein, denn über die Musik weiß die Herde immer, dass der Hirte da ist, auch wenn sie ihn nicht immer sehen kann. Das schenkt den Schafen die Gewissheit, dass sie auf dem guten Wege sind. Es ist ruhig und dieses Bild bettet sich idyllisch in die schöne Landschaft. Wir erkennen also, wieso der Hirte diese Stellung einnimmt, und wieso sich auch Christus, der Herr, als den Hirten sieht, dem gefolgt werden kann.
Zuckmantel (rumänisch: Țigmandru, ungarisch: ...
Zuckmantel (rumänisch: Țigmandru, ungarisch: Cikmántor) gehört zu den „Dreizehn Dörfern“ im Adelsbesitz nördlich von Schäßburg. Die „neue“ Kirche wurde 1870 von Bischof Georg Daniel Teutsch eingeweiht. Mit den 9 aktuellen evangelischen Gemeindegliedern zusammen teilt die HOG Zuckmantel die vielen Sorgen um die Kirche. Foto: Stefan Bichler

Erinnert ihr euch noch?

Das Viehtreiben ist heutzutage nur noch an wenigen Orten in Europa und im mittleren Orient lebendig geblieben. Diese Bewegung nennt man fachlich „Transhumanz“. Es ist nicht von Ungefähr, dass die Transhumanz angeblich die älteste Tradition der Menschheitsgeschichte ist, etwa sechstausend Jahre alt. Man folgte dem Rhythmus der Natur und der Jahreszeiten, man war nicht gegen, sondern mit der Natur. Auf der Suche nach Nahrung bewegten sich Hirte und Herde von der Ebene in die Berge und von den Bergen in die Ebene. So manche Transhumanz ging über Länder und Kontinente hinweg. So sollen die Vorfahren unserer rumänischen Hirten bis zum Kaspischen Meer gekommen sein, auf den Peloponnes oder sogar bis zum Nil. Das Leben war von einer Folge von Wechseln geprägt: von saftigen grünen Weiden ging es in trockene Halbwüsten, im Herbst stieg man aus den Bergen hinunter ins Tal, um da den Winter zu überleben, Zeiten des Aufenthalts in den Hürden – und der „stână“ – folgten Zeiten auf freiem Land. Und bei den langen Wegen folgte auf den Tag in der Stadtnähe, wohl einer am Flussufer, danach einer am Rande der großen Wälder, danach einer in steinigen Schluchten. Ungefährlich war dieses Unterfangen nie. So mancher Hirte musste seine Herde gegen Wölfe oder Räuber verteidigen. Das Leben war im eigentlichen Sinn des Wortes „ab-wechselungs –reich“!

In abwechslungsreichen Zeiten leben

In unserer heutigen Welt sind die Wechsel, die wir durchleben, andere. Die Halbnomaden der Transhumanz sind lediglich Erinnerung – oder exotische Erfahrung – geblieben. Aber die Grundsituation des Wechseln ist zeitlos und bleibt für alle Generationen gültig: Wechsel sind nicht einfach, sie sind herausfordernd, manchmal sogar gefährlich. Wenn alles gleich bleibt, dann braucht es keinen guten Hirten, da die Dinge von alleine laufen, die Bahnen sind eingefahren. Es gibt keine großen Entscheidungen zu treffen, das Leben läuft wie von selbst. Aber denken wir nur an die Biographie eines jeden. Wie ist der Wechsel von Kindheit zum Erwachsenensein? Wie ist es mit dem Wechsel der Heimat aus einem Land ins andere? Wie ist das mit dem Wechsel aus dem aktiven Berufsleben in die Rente? Wie ist es mit der Klippe der Verwitwung? Es gibt die Weichenstellen im Leben, wo wir uns sehr über Zuspruch und Anleitung freuen. Da ist es gut, sich vor Augen zu halten: Jesus ist der gute Hirte! Jenseits des privaten Lebens können wir auch an die Wechsel in der Menschheitsgeschichte denken. Diese haben so unterschiedliche Namen: Krisenzeit, Revolution, Wende, Krieg. Und wie sieht es gerade diese Tage aus? Obwohl im Alltag grausam eintönig, bestimmt gerade ein folgenschwerer Wechsel unser Leben. Noch nie habe ich es so sehr gespürt wie in diesen vergangenen Wochen. Die Tragweite können wir noch nicht begreifen, um das Ziel ringen Wissenschaftler und Wirtschaftsfachleute, Mediziner und nicht zuletzt Politiker. Sind das unsere „Hirten“, denen wir vertrauen? Ein guter Hirte zeigt sich gerade dann, wenn die äußere Umgebung, das Gewohnte, sich schlagartig ändert: eben Wechsel. Jesus führte zu seinen Zeiten die Seinen mit großem Gottvertrauen. Und so tut er es als Christus bis heute. Der gute Hirte hat seine Gemeinde durch die vielen Veränderungen der zwei Jahrtausenden geführt. Er ist auch da im Wechsel des Jahres 2020, in dem, was gerade in der Welt passiert. Und wir alle, die wir getauft sind, gehören zu seiner Gemeinde. Auch wenn wir Christus nicht sehen oder seine Gegenwart vielleicht nicht immer spüren, so dürfen wir doch vertrauen.

Die Verbindung halten

An dieser Stelle ein kurze Geschichte: Ein Pfarrer hat einmal versucht, seinen Konfirmanden etwas zu zeigen: Er nahm einen langen Faden. Das eine Ende gab er einem Kind und schickte es damit in ein entferntes Zimmer. Das andere Ende behielt er in seiner Hand. Wenn nun der Faden angespannt war, konnte das Kind auch den leisesten Zug spüren. War der Faden aber locker, spürte das Kind auch den stärksten Zug nicht. Ein einfaches und sprechendes Bild: Wenn wir von Jesus Christus, als guten Hirten, geführt werden wollen, dann muss der Faden gespannt sein, um seine Leitung zu fühlen. Das Kind konnte den Pfarrer nicht sehen, aber es spürte auch den leichtesten Zug am Faden. Auch wir können Jesus nicht sehen, aber wir haben sein Wort, das uns allezeit und in allen Lebenssituationen den rechten Weg zeigt und auf das wir uns immer verlassen können und dürfen. Christus als der gute Hirte hat seine Gemeinde durch viele Veränderungen und Wechsel geführt. Auch uns wird der gute Hirte durch die Veränderungen dieser unsicheren Zeiten führen. Jedes Mal, wenn wir als Herde Gottes verloren zu sein scheinen, übernimmt unser Herr die Führung. Durch die Jahnhunderte hindurch hat dieses Bild Menschen getröstet, ihnen Mut und Zuversicht gegeben. Christus spricht: „Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben.“ Möge dieses Wort uns begleiten und uns die Verheißung schenken, dass unser Herr uns so führt, wie es recht ist. So werden wir die Kraft bekommen, durch diese Zeiten hindurch zu schreiten.
Pfarrer Uwe Seidner ist Seelsorger von ...
Pfarrer Uwe Seidner ist Seelsorger von Wolkendorf, Neustadt und Weidenbach im Burzenland. Wegen seinen ausgedehnten Reisen – mit Gemeindebus – durch Osteuropa, Zentralasien und Sibirien ist er als „siebenbürgischer Marco Polo“ bekannt. Foto: privat
Ich schließe mit den Worten des 23. Psalms:

„Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. Er erquicket meine Seele. Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen. Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.“ (Psalm 23, 1-4)

Lied: siebenbürgisches Gesangbuch Nr. 298, EKD Nr. 406 „Bei dir Jesu will ich bleiben“ (YouTube) Eine gesegnete und ruhige Woche von Seiten der Heimatkirche!

Pfarrer Uwe Seidner, Wolkendorf

Schlagwörter: Geistliches Wort, EKR, Kirche und Heimat, Wolkendorf, Zuckmantel

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