28. August 2022

Modeberg Zugspitze – soll ich oder soll ich nicht?

Eine Gruppe der Sektion Karpaten des Deutschen Alpenvereins (DAV) erlebte wechselnde Gefühle zwischen Massenansturm und Gipfelglück auf dem höchsten Berg Deutschlands.
Stau auf dem Höllentalferner am Einstieg des 2. ...
Stau auf dem Höllentalferner am Einstieg des 2. Klettersteigs (2.500 m). Foto: Fritz Keul
Ohne Frage, die Zugspitze hat auf viele Menschen in Europa und auch Übersee eine magische Anziehungskraft. Man steht schließlich auf dem höchsten Punkt Deutschlands, und das für die meisten ohne körperliche Mühen. Leicht kommt man nach oben und auch wieder nach unten. Zwei Seilbahnen und eine Zahnradbahn führen die Bergbegeisterten auf ein zugegebenermaßen verbautes unschönes Gipfelplateau. Und wie steht es mit uns, den Bergsteigern? Ja, auch diese stehen im Bann dieser einen Tatsache, den höchsten Punkt Deutschlands zu besteigen. Nicht mit der Seilbahn, sondern mit eigener Muskelkraft. Hierzu stehen ihnen ebenfalls sehr viele Wege offen: einer führt übers sogenannte Gatterl nach oben. Eine weitere Möglichkeit bietet die – über etwas mehr als einen Halbmarathon messende – deutlich mühsamere Wegstrecke durchs Reintal. Beide Wege sind technisch einfach, nicht stark überlaufen und bieten dennoch hochalpines Gelände fürs Wanderauge. Dann kommen zwei weitere Wege hinzu: der technisch recht leichte Klettersteig über die Wiener Neustädter Hütte (auch Stopselzieher genannt) und der berühmteste Anstieg übers Höllental, den ich hier etwas ausführlicher beschreiben möchte.

Die Besteigung übers Höllental mit seinen 2.200 Höhenmetern bietet für bayerische Verhältnisse eine Abwechslung an alpinen Erlebnissen, wie man sie sonst nirgends in diesem Land findet. Los geht es mit dem tosenden Hammersbach und einer Klamm, die ihresgleichen sucht: wild, spektakulär, nass.

Wie jedes Jahr seit 1999 geht es auch heuer am 2. Juli um 7 Uhr auf Deutschlands höchsten Berg, denn das Wetter ist stabil vorhergesagt. Wie ich es schon aus den letzten 22 Jahren kenne, eine günstige Ausgangslage für eine Bergtour, die aber für die Zugspitze Massenansturm bedeutet. Das hat sich bereits auf dem Parkplatz angekündigt, der um 6 Uhr schon rappelvoll ist. Noch entzerrt sich der Besucheransturm auf Klamm und Höllentalangerhütte. Mit gehörigem Respekt vor den 2 200 Höhenmetern geht es dann weiter nach oben. Schnell ist der Beginn des ersten Klettersteiges erreicht. Hier wird dann das erste Mal klar: Wir gehen nicht auf irgendeinen Berg, wir besteigen die Zugspitze. Erste Staus gibt es vor der Leiter und dem Brettl: weil die einen leichte Panik vor Höhe und Klettern haben, die anderen Fotos für sich und ihre Lieben zu Hause machen und diese auch noch gleich im Steig posten möchten. Nach dem Brettl geht es bis zum grünen Buckel weiter. Die Karawane zieht weiter und entzerrt sich kurz mal wieder. Allerdings pausieren erste ziemlich erschöpfte Menschen links und rechts des Weges, in deren Gesicht man oft ablesen kann: „Wie weit ist es denn noch?“. Die Antwort wäre auf dem „grünen Buckl“: Die Hälfte der Höhenmeter ist geschafft!

Die zweite Hälfte beginnt mit einer Schotterwüste, die auf dem einzig verbliebenen noch lebendigen Gletscher Deutschlands endet: Der Höllentalferner ist erreicht und bei vielen Bergsteigern auch das Ende ihrer körperlichen Leistung. Jetzt geht das Drama in eine neue Runde: Bergsteiger mit Halbschuhen und ohne Steigeisen kommen mit der rutschigen Masse unter ihnen nicht klar. Andere verlieren ihre Steigeisen beim Gehen auf dem Eis, weil sie nicht wissen, wie man das Gerät anzieht. Wieder andere sind genervt über die Erstis auf dem Eis. Damit ist aber ganz schnell Schluss, weil es zum Rückstau beim Einstieg in den Klettersteig kommt. Auch heute haben einige Bergsteiger ihre Schwierigkeiten mit Eis, Höhe und Klettern. In Kombination mit der schieren Masse an Menschen bildet sich ein Rückstau auf dem Gletscher, der uns über eine halbe Stunde warten lässt. Kein Problem bei der Aussicht und der Bergkulisse. Aber selbst nach Erreichen des Klettersteigs sind die letzten 500 Höhenmeter nur noch Stop and Go. Die Kondition einiger Bergsteiger, die ihre sportlichen Fähigkeiten deutlich überschätzt haben, lässt mit jedem Meter nach.

Ich erreiche mit meiner Gruppe den Gipfel gegen 14 Uhr. Die letzten Höhenmeter dann nochmals Rückstau vom Gipfelplateau: Seilbahnbesucher wollen mit uns das Gipfelglück teilen. Insofern heißt es nochmals Geduld bewahren, bevor es dann zum goldenen Kreuz geht. Ein Blick von dort auf das verbaute Gipfelplateau zeigt: Es ist ein schöner Tag mit über 200 km Fernblick, und natürlich mit Menschenschlangen vor dem Bratwürschtelstand des Münchner Hauses. „Geh ma lieber zu den Tirolern rüber. Da ist weniger los.“ Von wegen! Eine Gruppe von Schotten mit Dudelsäcken spielen auf dem 1938 weggesprengten Ostgipfel der Zugspitze auf.

Soll man solche Modeberge nicht besser meiden oder abbrechen, wenn es so voll wird wie dieses Mal? Wartezeiten im und am Klettersteig, unerfahrene Alpinisten auf dem Gletscher, erschöpfte Bergsteiger im Steig und natürlich kein einsamer Gipfel. Wer Letzteres sucht, ist hier falsch. Was habe ich dafür bekommen? Eine der schönsten und abwechslungsreichsten Bergtouren, eine Fernsicht, für die man sonst weit fahren muss, und eine zufriedene Müdigkeit am Abend. Somit war es mir auch heuer wieder eine Ehre und ein ganz besonders Vergnügen gewesen, die Zugspitze, Deutschlands höchsten Berg, bestiegen zu haben.

Andre Schmitt

Schlagwörter: Sektion Karpaten des DAV, Bergsteigen, Alpen

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Neueste Kommentare

  • 01.09.2022, 10:39 Uhr von WIMAR55: Nein,Einsamkeit gibt es auf dem höchsten Deutschlands sicher nicht.Ist dann zu erwarten.Selber habe ... [weiter]

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