13. Dezember 2023

Siebenbürgen – Achttägige Flugreise/Reisebericht einer Fränkin

Das Ehepaar Brigitte und Günther Butt ist 1989 im August von Kronstadt ausgewandert. Ihre neue Heimat ist Geslau, eine kleine Gemeinde neben Rothenburg ob der Tauber, in der sie als Rentner ehrenamtlich aktiv sind und dadurch Kontakt mit vielen Einheimischen pflegen. Diese hatten schon seit einiger Zeit den Wunsch geäußert, Siebenbürgen kennenzulernen. So stellten Brigitte und Günther Butt mit einer Interessengemeinschaft eine einwöchige Reise zusammen und präsentierten sie bei einem Gemeindeabend. Die Nachfrage war sehr groß. Im vollen Bus dabei waren Bürgermeister, Pfarrer, Organist und Chorleiter und viele, die noch nie in Siebenbürgen waren. Über die tolle Reise berichtet im Folgenden eine Fränkin aus dem Blickwinkel dieser Gruppe.
Reisende aus Geslau in der evangelischen Kirche ...
Reisende aus Geslau in der evangelischen Kirche in Bartholomae. Foto: privat
Wir befinden uns im Landeanflug nach Hermannstadt/Sibiu – meine erste Reise nach Siebenbürgen/Rumänien. Nachdem wir die Donau, Wien, Budapest hinter uns gelassen haben, blicke ich vom Flugzeug auf die Stadt unter mir: ganze Wohnblöcke mit Hochhäusern alle im gleichen Stil und im gleichen Abstand … was erwartet mich in diesem mir noch unbekannten Land? Mit mir reisen 35 Menschen, die auch mehr von Rumänien, seiner Geschichte und Kultur wissen wollen. Wir haben Bilder von Erzählungen vor uns von Menschen, die sich im 2. Weltkrieg auf den Weg nach Deutschland gemacht haben, Bilder vom Ceaușescu-Regime, verfallene und verlassene Dörfer, Menschen, die hart arbeiten müssen, damit sie ihren Lebensunterhalt bestreiten können, Sinti und Roma …

Nun sind wir gespannt und voller Erwartung. Mit Alex haben wir einen Reiseführer, der mit Herzblut Botschafter für dieses Land ist. Geschichte, unterschiedliche Kulturen und Religionen, moderne Städte neben idyllischen Dörfern, E-Autos und Pferdekutschen, ländliches einfaches Leben, unberührte Natur und ein reiches Kulturerbe durften wir kennenlernen.

Texte aus dem Matthäusevangelium begleiten uns jeden Tag. Bereits die erste Andacht von Pfarrer Dr. Neumann könnte nicht treffender sein: „Jeder von uns kennt Entscheidungssituationen im Leben. Ganz egal, wie ich mich entscheide, es wird eine Weichenstellung mit weitreichenden Konsequenzen fürs ganze Leben sein.“ Weil wir uns auf den Weg gemacht haben, konnten wir vor allem auch persönliche Lebensgeschichten erfahren, die uns sehr berührt haben. Unsere Nachbarn Günther und Brigitte Butt sind nach Deutschland gekommen … Warum? Was lässt man zurück? Neuanfang. Immer wieder verlassen Menschen ihre geliebte Heimat, weil sie sich wegen politischer Umstände, Krieg oder Entbehrungen dazu entschließen. Dabei haben wir heute noch die Worte von Alex im Ohr: „Die uralte Geschichte der Dummheit der Menschen wiederholt sich immer wieder.“ Durch die persönlichen Erlebnisse nehmen wir viel von dieser Reise mit, betrachten vielleicht Europa oder unsere Nachbarn mit anderen Augen und korrigieren manche Vorstellungen. Das Land gehört zwar zur EU, aber nicht zur Währungsunion, deshalb machen wir uns mit der rumänischen Währung Lei vertraut. Am ersten Abend fahren wir 20 km übers Land und werden mit großer Herzlichkeit im Bauerndorf Budenbach/Sibiel mit traditionellem rumänischem Essen und Trinken (palinca) verwöhnt.

Hermannstadt, erbaut von den Siebenbürger Sachsen im 12.-16. Jahrhundert, hat somit eine westliche Prägung mit einer mittelalterlichen überschaubaren Altstadt. Alex beschreibt sie uns als Schatzkästchen in Transsilvanien und genau so haben wir es auch erlebt. Manche besuchen den bunten Wochenmarkt in der Unterstadt. Ein Gruppenfoto wird an der Lügenbrücke gemacht. Wir staunen über die Pracht der katholischen Kirche und orthodoxen Kathedrale, aber das Highlight war die Kirchenmusik auf mehreren Orgeln des Kantorenehepaares Jürg Leutert und Brita Falch-Leutert in der evangelischen Stadtpfarrkirche, bei der wohl jeder von uns zutiefst berührt war.

Siebenbürgen ist bekannt für seine vielen Kirchenburgen. Sie dienten früher als Rückzugsort bei kriegerischen Auseinandersetzungen und als Lagerorte für die Vorräte. Auf dem Weg nach Kronstadt besuchen wir das malerische Dorf Birthälm/Biertan, eine der ältesten Siedlungen Siebenbürgens. Hier thront auf einem Hügel die schönste Kirchenburg Siebenbürgens, Weltkulturerbe der UNESCO. Bemerkenswert hier: In der Wehrkirche ist ein Ehegefängnis zu besichtigen. Zerstrittene Ehepaare wurden hier für zwei Wochen zusammen eingesperrt und waren während der Zeit ganz aufeinander angewiesen. Es gab nur ein schmales Bett, einen Stuhl, eine Gabel und einen Löffel. Kein Messer! Nach diesen zwei Wochen lebten sie wieder friedlich miteinander.

Auf den Feldern werden Kartoffeln geerntet – plötzlich tauchen große Villen der Sinti und Roma auf, die scheinen aber leer zu sein!

Nächster Stopp: hoch auf einem Berg die bewohnte UNESCO-Weltkulturerbestadt Schäßburg/Sighișoara mit ihren verwinkelten kopfsteingepflasterten Gassen und bunten Häusern. Die Stadt ist umgeben von einer Stadtmauer mit sieben Zunfttürmen. Nicht weit vom Stundturm (wird gerade renoviert) das Geburtshaus von Vlad Dracul (Dracula). Überdachte Holztreppen aus dem 16. Jahrhundert führen hinauf zur Bergkirche und Bergschule. Zum Abschluss hier ein kleiner Regenschauer und die Fahrt geht weiter.

Voller Erwartung auf die bevorstehenden Tage erreichen wir Kronstadt/Brașov, die Heimatstadt von Günther und Brigitte, wo wir vom sechsten Stock des Hotels einen traumhaften Blick auf die nächtliche Stadt haben. Sowohl in der Peter-Maffay-Schule, wo Günther Schulleiter war, als auch in der Bartholomäus-Kirche werden wir herzlichst empfangen. Alten Schulfreunden, Kollegen und Ex Schülern gelingt die Überraschung! Wir erinnern uns an das Orgelspiel und das Siebenbürgenlied, das uns vorgetragen wurde, und an das liebevoll hergerichtete Büfett am Gemeindehaus. Bei einem Gang über den Friedhof stehen wir an den Familiengräbern und es fallen uns die Gräber der jungen Deutschen aus dem 1. und 2. Weltkrieg auf.

Der Bus führt uns noch bis zur alten Stadtmauer, dann geht’s zu Fuß weiter. Die alte Stadtmauer entlang, vorbei am Weißen und Schwarzen Turm bis zum schmucken Katharinentor. Dann vorbei an einer Synagoge, durch das enge Zwirngässchen zum Honterushof und der Schwarzen Kirche, dem größten gotischen Bau Südosteuropas. Zum Pflichtprogramm gehört natürlich auch der Besuch dieser Kirche mit der weltweit größten Sammlung osmanischer Teppiche (außerhalb der Türkei).

Kronstadt ist umgeben von den Karpaten und liegt am Fuße des Berges Zinne/Tâmpa. Mit der Kabelbahn erreichen wir den Aussichtspunkt und haben einen tollen Blick auf die ganze Stadt und die Umgebung. Farbenfrohe Barockgebäude säumen die Einkaufsstraßen und wir sind überrascht von den vielen modernen Läden und Cafés, die uns bei spätsommerlichem Traumwetter zum Verweilen einladen.

In den letzten Tagen unserer Reise begeben wir uns auf die Spuren von Graf Dracula auf Schloss Bran/Törzburg. Ein imposantes Schloss mit verwinkelten schmalen Gängen – tatsächlich begegnet uns der Vampir in Filmsequenzen. Die größte Bauernburg Rosenau/Râsnov, die größte Kirchenburg Tartlau/Prejmer, ein Fischrestaurant, ein Pferdezuchtbetrieb, Käseverkostung und letztendlich noch ein Besuch bei Bavaria Farming – Christian Rothe aus Franken (Poppenbach) – machen uns die Vielfalt dieser Region deutlich. Er ist ausgewandert und bewirtschaftet dort 1.600 Hektar Ackerland von 900 Verpächtern. Mit einem Gruß aus unserer Heimat – Schneeballen aus Stettberg – bedankten wir uns bei Christian Rothe für die Gastfreundschaft.

Ein rumänischer Folkloreabend im noblen Ski- und Wandergebiet Schulerau/Poiana Brașov lässt unseren Tag ausklingen. Die fast unberührte Natur Rumäniens ist ein Paradies – dieses haben wir erlebt bei der Wanderung zu einer Bärenhöhle und in der Schlucht mit den Sieben Leitern (Hohenstein).

Ein Teil unserer Reisegruppe fuhr währenddessen durch eine hügelige Landschaft nach Sinaia, wo das unglaublich schöne Schloss Peleș mit Sommerresidenz und das orthodoxe Kloster besichtigt wurden.

Wir sind uns sicher, Siebenbürgen hätte noch so viel mehr zu bieten gehabt. Alex und Familie Butt haben uns einen spannenden und interessanten Teil Rumäniens erschlossen, wofür wir sehr dankbar sind. Wir waren überrascht von der Herzlichkeit und Offenheit und berührt von Lebensgeschichten, die uns begegneten, so auch im Ort Heldsdorf/Hălchiu, wo uns die Mesnerin die Heimatkirche von Walters Mutter aufschloss. Für ihn war es eine bewegende Zeitreise zu den Wurzeln seiner Familie.

Eine überraschende Begegnung sei noch erwähnt: Wir schlendern durch die Altstadt Kronstadts und entdecken plötzlich ein vertrautes Gesicht aus der Heimat – ja, es ist tatsächlich aus Ohrenbach Pfarrer Gisbertz mit seiner Frau.

Es waren ereignisreiche Tage mit zahlreichen wunderschönen Eindrücken und einer tollen Gemeinschaft. Mit vielen schönen Fotos, Filmen und Erinnerungen im Gepäck sind wir vollzählig und dankbar zurück in unserer Heimat.

Nach einer Woche in Siebenbürgen fasst die älteste Reiseteilnehmerin (78 Jahre) in Worte, was viele Mitreisende ebenfalls bewegt: „Ich bin sehr dankbar, dass ich meine Heimat nie verlassen und keine Flucht erleben musste.“ Sie kannte Erzählungen ihrer Nachbarin, die aus der Nähe von Kronstadt zu Kriegsende ein Pferd eingespannt hat und mit ihren Kindern tagelang nach Deutschland unterwegs war, während ihr Mann im Krieg war. Durch die Hintergründe vieler Lebensgeschichten der Mitreisenden wurden diese acht Tage zu einer persönlichen Reise. Unser Heimatbewusstsein hat einen anderen Stellenwert bekommen und die Dankbarkeit ist größer.

Viele der Reiseteilnehmer hatten sich ein ärmliches Land mit rückständiger Lebensweise vorgestellt. Wir staunten über die renovierten Innenstädte mit ihren Restaurants und die Pracht der Kultur- und Sakralstätten. Wir alle haben uns stets wohl und sicher gefühlt. Die persönlichen Begegnungen waren so voller Herzlichkeit und die Freude so authentisch, dass die Begegnungen für beide Seiten eine große Bereicherung waren. Beeindruckt hat uns auch der Zusammenhalt in der Kirchengemeinde, der vermutlich durch die äußeren Lebensumstände noch enger ist.

Die Reise hat sehr viel zum gegenseitigen Verständnis beigetragen. Unser Dank gilt vor allem Familie Butt, die uns einen tiefen persönlichen Einblick in ihre Lebensgeschichte gegeben hat. Ebenso unserem Reiseleiter, dem wir die Liebe zu seiner Heimat nachspüren konnten und der uns mit großem Einfühlungsvermögen und kompetentem Wissen zur Seite stand und geduldig unsere Fragen beantwortete.

Helga Ruhnow


Reisebericht auf YouTube: https://youtu.be/lsi9Btmqrms

Infos zur Reise auf YouTube: https://youtu.be/iwD-gHwFB0s

Schlagwörter: Reise, Siebenbürgen, Franken, Kronstadt, Bartholomae

Bewerten:

21 Bewertungen: ++

Neueste Kommentare

  • 21.01.2024, 12:47 Uhr von Doris Hutter: Liebe Frau Helga Ruhnow, herzlichen Dank für diese schöne Reisebeschreibung! Auch dafür, dass Sie ... [weiter]
  • 20.01.2024, 11:57 Uhr von ingenius mobile: Frau Katzken, sie sind eine "wahre Brückenbauerin" - eine Katzken-Jammer-Brückenbauerin. Mit ... [weiter]
  • 19.01.2024, 20:05 Uhr von Katzken: Frau Ruhnow, schön wäre es , wenn sie ein paar Monate in Rumänien arbeiten und von der Arbeit Lohn, ... [weiter]

Artikel wurde 3 mal kommentiert.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.