12. Juni 2025
Vor 80 Jahren Evakuierung aus Nordsiebenbürgen: Zwischenfazit von Thomas Frühm
Dr. Thomas Frühm (1884-1961) stammt aus Jaad und war der 102. und gleichzeitig letzte siebenbürgisch-sächsische Direktor des evangelischen Bistritzer Gymnasiums. Er war Sohn des Jaader Notars Thomas Frühm, studierte Theologie und Philologie in Leipzig, Heidelberg, Klausenburg, Bonn und habilitierte zum Dr. phil. in Tübingen. Seine Dissertation: „Vergleichende Flexionslehre der Jaader und Moselfränkischen Mundart“, 1907.

„Unsere Bauern waren im Sommer 1944 mit dem Einbringen der Ente beschäftigt, als sich die Gerüchte von der drohenden Feindinvasion vermehrten, und etliche Wochen später kam es dann zu unserer Zwangsevakuierung. Der Abschied war nur erträglich, weil man uns die baldige Rückkehr in Aussicht stellte. (…)
Ärmer, als wir einst gekommen waren, verließen wir nach 800-jähriger Arbeit, das Land, das durch uns auch für andere zur Heimat geworden war. Das Schicksal hatte uns hart angefasst. Aus dem Wohlstand waren wir auf die Landstraße getrieben worden. (…)
Die Last der Flucht, der häufige Wechsel der Aufenthaltsorte, die Schrecken des Krieges, übertönten zeitweise den Schmerz um die verlorene Heimat. Das große Mutterland, dass uns Jahrhunderte hindurch über die räumliche Trennung hinweg geistig betreut hatte, nahm uns trotz eigener Not auf und teilte sein kümmerliches Brot mit uns. In seiner geistigen Luft aufgewachsen und erzogen, ist es nicht schwer gewesen, uns hier einzuführen und einzuleben. Oft führen uns aber Träume voll Sehnsucht und Liebe in die alte Heimat zurück. In seligem Behagen schauen wir dann Haus und Hof, Flur und Wald. Eltern, Kinder, Verwandte und Bekannte begegnen uns. Aus Wolkenhöhen grüßen die Häupter der Karpaten herüber, wir atmen selbstvergessen den Duft des erwachenden Frühlings, die Wärme der sonnendurchtränkten Saatfelder. Wir schwelgen in der Farbenpracht der herbstlich prangenden Wälder und genießen die stille Besinnlichkeit im harten Winter. Wir begleiten im Geist unsere Bauern beim Ringen ums tägliche Brot, wir besuchen die Handwerker in ihrer von Ordnung und Fleiß zeugenden Werkstatt, wir nehmen teil am Jubel der Weinlese, an den Freuden der Volksfeste. Wir erleben Stunden und Tage völliger Geistesabwesenheit. Aus unüberwindlicher Ferne dringt uns das Läuten der Heimatglocken ans Ohr. Wir sehen die stattlichen Höfe, die stolzen Bauten unserer Städte, wie die ragenden Türme der Kirchen. Es will uns scheinen, als seien Tore, Türen und Fenster erwartungsvoll geöffnet, uns, die längst vermissten Eigentümer, wieder aufzunehmen, als spähten die Turmspitzen über Berg und Tal, um nach uns auszuschauen, als riefen Glocken nach uns und beteten zum Allmächtigen, dass er unsere Schritte glücklich wieder nach Hause lenke.“ Quelle: Thomas Frühm, Wetterleuchten über Siebenbürgen, München 1951, S. 124ff
Textauswahl: Horst Göbbel
Schlagwörter: Evakuierung, Nordsiebenbürgen
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