7. Mai 2006

Der Auferstandene öffnet verschlossene Herzen

Wenn wir nach einem Bild suchen, das unsere heutige Gesellschaft kennzeichnet, so bietet sich dafür das Bild der geschlossenen Tür an. Das trifft zunächst einmal im wörtlichen Sinn zu. Die Haustüren sind alle fest verschlossen und gesichert; nicht nur, wenn die Leute abwesend sind, sondern auch wenn sie zu Hause sind. Verschlossene Türen sind ein Zeichen von Furcht und Abwehr.
Man fürchtet sich vor Dieben und Einbrechern und anderen Bedrohungen. Man möchte aber auch ungebetene und unerwünschte Besucher fern halten und seine Intimsphäre schützen.

Früher war das anders; die älteren unter uns wissen das sicher noch. Da war die Haustür immer unverschlossen, auch wenn man nicht zu Hause war. Man hatte keine Angst. Es gab ein Grundvertrauen gegenüber der Gesellschaft, in der man lebte. Dieses Vertrauen bestimmte und trug das Zusammenleben. Dieses fehlt heute zur Gänze. Ein Zeichen dafür sind eben die verschlossenen Türen. Freilich hat das seine konkreten Gründe. Man hat bittere Erfahrungen machen müssen. Das hat die Menschen sehr vorsichtig werden lassen. Schutz und Sicherheit stehen heute an erster Stelle.

Verschlossene Türen sind aber auch in übertragenem Sinn Kennzeichen unserer heutigen Gesellschaft. Es sind die verschlossenen Herzen gegenüber unseren Nächsten. Im Nachbarn und Kollegen wird nicht mehr der Freund, der Bruder, die Schwester gesehen, sondern der Konkurrent, der Gegner, der mich in meinen Rechten und meiner Freiheiten schmälern könnte. Solche Verschlossenheit kann es sogar gegenüber dem Ehepartner, den Eltern, den Kindern geben...

Verschlossen sind die Herzen aber auch gegenüber Gott. Man hat kein Interesse an ihm, ist unempfänglich für seine Botschaft und Fingerzeige, man möchte sich von ihm nicht hineinreden lassen, sich von ihm in der freien Entfaltung und Selbstverwirklichung nicht stören lassen. Man lebt, als ob er überhaupt nicht existierte. Die verschlossenen Türen und die verschlossenen Herzen hängen eng miteinander zusammen.

Wäre man offener für Gott und seine Liebe, wäre man auch offener für den Nächsten, gäbe es weniger Bosheit und weniger Mißtrauen, weniger Rücksichtslosigkeit, Rechthaberei und Lieblosigkeit, bräuchte man weniger Polizei, Gerichte und Anwälte. Und man hätte am Leben mehr Freude.

Von verschlossenen Türen ist auch zu Ostern die Rede. Die Jünger hatten ihren Herrn und Meister, mit dem sie so lange zusammen gewesen waren, mit dem sie soviel Wunderbares erlebt hatten und der ihren Leben neuen Sinn und neue Hoffnung gegeben hatte, bei seiner Gefangennahme schmählich verlassen und verleugnet . Jesus starb einsam am Kreuz. Die Nachricht vom leeren Grab und der Engelserscheinung führte die total verängstigten Jünger wieder zusammen. Man wollte gemeinsam besprechen, was das bedeuten sollte. Die Tür des Hauses war fest verschlossen. Man hatte sich im Geheimen getroffen und hatte noch immer größte Angst vor Verfolgung und Verurteilung.

Aber auch ihre Herzen waren verschlossen und das, obwohl Jesus ihnen das alles vorhergesagt hatte. Da war kein Raum für Hoffnung und Freude, für das Neue, das Leben, die Zukunft, sondern nur Angst, Bedrängnis, Beklemmung. Die fest verschlossenen Türen können den Auferstandenen jedoch nicht daran hindern, zu den Seinen zu kommen. Er kommt zu ihnen - nicht, um sie zur Rechenschaft zu ziehen, ihnen Vorhaltungen zu machen, ihnen ihr Versagen vorzuwerfen, sie zu schelten. Sondern seine ersten Worte sind: "Friede sei mit euch".

Das ist mehr als ein einfacher Gruß. In ihre Angst und innere Zerrissenheit und Schuld spricht er ihnen den Frieden Gottes zu, ja, mehr noch: er bringt ihnen den Frieden Gottes. Was könnte es Schöneres und Tröstlicheres geben?! Und die Jünger? Statt sich zu freuen, erschrecken sie zutiefst. Ein Toter lebendig!? Das ist unmöglich. Das kann doch nur ein Gespenst sein! Zu verschlossen sind ihre Herzen, um wahrzunehmen, was da geschehen ist, wer zu ihnen gekommen ist.

Und Jesus? Er gibt sich zu erkennen. Er zeigt ihnen seine Nägelmale und seine Seitenwunde. Er wiederholt den Friedensgruß, - um ihnen diesen Frieden zuzusichern, damit er für die Jünger zur festen Gewissheit werde. Er lässt sie seine Gegenwart erfahren, ganz unmittelbar. Er ist gekommen, um ihre verschlossenen Herzen zu neuem Leben zu erwecken, um sie zu heilen und zu segnen und zu senden.

Das bedeutet, dass er damit seinen Jüngern vergeben hat, alle ihre Schuld, ihre Schwäche, ihr Versagen, ihren Kleinglauben. Das Vergangene ist vergangen, ein Neues hat angefangen. Neues Leben und neue Zukunft wird ihnen geschenkt.

Der Auferstandene hat seinen Jüngern die verschlossenen Herzen weit aufgetan. Aus ihrer Trauer und Verzagtheit wird Freude und Gewissheit. Er lebt! Er hat uns vergeben! Er ist bei uns! So wie Jesus den Jüngern ihre Herzen geöffnet hat, so möchte er auch unsere verschlossenen und verzagten Herzen öffnen. Er kommt auch zu uns als der Auferstandene und Lebendige und möchte uns seine Gegenwart schenken. Im Gottesdienst erfahren wir seine Nähe.

Da spricht er zu uns in der Verkündigung, tröstend und ermutigend. Da schenkt er sich uns leib-haftig in Brot und Wein. Da spricht er uns auch immer aufs Neue seinen Frieden zu. Das bedeutet auch für uns Vergebung und Heilung, einen neuen Anfang, Hoffnung und Freude. Daraus erwächst uns Kraft und Zuversicht für unseren Alltag.

Er öffnet unser Herz auch für unseren Nächsten. Wir brauchen uns nicht vor ihnen zu schützen und zu fürchten, sondern wir können auf sie zugehen und ihnen unser Herz öffnen. - und sie als unsre Schwester, als unseren Bruder erkennen.

Und wir erkennen, wie er auch in unserer Gesellschaft und in unserer Welt wirkt. Wir dürfen darauf vertrauen, dass er Macht hat, auch die verschlossenen Türen der Gesellschaft zu öffnen. Das geschieht nicht spektakulär, ist oft kaum wahrnehmbar, aber für die Augen des glaubenden Herzens erkennbar.

Das alles gibt uns keine Sicherheit, wohl aber die Gewissheit, dass er lebt. Amen.

Prof. Dr. Berthold W. Köber

(gedruckte Ausgabe: "Kirche und Heimat", herausgegeben vom Hilfskomitee der Siebenbürger Sachsen und evangelischen Banater Schwaben im Diakonischen Werk der EKD, Beilage der Siebenbürgischen Zeitung, Folge 7 vom 30. April 2006, Seite 11)

Schlagwörter: Kirche und Heimat

Bewerten:

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.