25. November 2007

Im Exil eine neue Heimat gefunden

Der in Martinsdorf geborene Hermann Schen­ker ist am 9. August 2007 in Alga, Kasachstan, im Alter von 81 Jahren gestorben. Er war womöglich einer der letzten noch lebenden Mar­tins­dorfer, die nach dem Zweiten Weltkrieg Op­fer der russischen Deportationen geworden sind. Und möglicherweise war er der Einzige, der im fremden Kasachstan eine neue Heimat gefunden hat.
1945 wurde der erst 18-jährige Hermann, der 1926 in Martinsdorf zur Welt gekommen ist, in seiner Heimatstadt als einer von 145 anderen Ortsbewohnern mitten in der Nacht aus seinem Haus getrieben und in den örtlichen Gemein­desaal gebracht. Zum Ort des beginnenden Abtransportes nach Russland fuhr sie der damals zehnjährige Simon Fleischer, der heute der Ehemann seiner Nichte Hildtraut ist. Wie es Hermann Schenker in den russischen Lagern erging, ist nicht überliefert. Heimkehrer berichteten, dass er gestorben sei, woraufhin seine Eltern eine kirchliche Trauerfeier für ihn abhielten.

1958 folgte die Überraschung: Ein Brief, adressiert an Katharina Schenker, erreichte Martinsdorf. Zunächst wusste man nicht, dass damit Hermann Schenkers Mutter gemeint gewesen war, doch die Erkenntnis brachte gleichzeitig Freude mit sich – dies war ein Lebenszeichen Hermanns! Eine Rückkehr war Hermann Schenker jedoch nicht möglich, ebenso wenig wie ein gegenseitiger Besuch. Hermann Schenker sollte Zeit seines Lebens in Kasachstan bleiben und dort eine Familie gründen.

51 Jahre nachdem er der Heimat und der Familie gewaltsam entrissen worden war, besuchte er 1996 zum ersten und einzigen Mal Deutschland: Hermann Schenker stattete mit seiner Tochter Irina seinem noch lebenden Bruder einen Besuch ab. Für die Ermöglichung dieses Besuches dankt Schenkers Familie heute der Landsmannschaft in München, der Heimatortsgemeinschaft Martinsdorf, der Bischof-Meiser-Stiftung und den vielen Freunden der Familie.

Trotz des Lebens fernab der Familie bestand zwischen Hermann Schenker und seiner Nichte Hildtraut in den letzten Jahren ein reger Briefverkehr. Diese Briefe sind Zeugnis eines Lebens im Exil, über das seine Verwandten nur wenig erfuhren, die aber nun an ihn erinnern werden.

Rainer Kraus

Schlagwörter: Deportation

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