11. Januar 2008

Leserecho: Dokumentarfilm polarisiert

Auf heftige Kritik, aber auch lebhafte Zu­stim­mung ist der am 25. November 2007 von 3sat ausgestrahlte Dokumentarfilm „Einst süße Hei­mat“ gestoßen. Dem Thema hat die Siebenbürgische Zeitung zwei umfassende Beiträge gewidmet, verfasst von Volker Petri und dem Regisseur selbst. Dort äußerte sich u. a. Regisseur Gerald Igor Hauzenber­ger in einem Aufsatz zu den Hintergründen und der Entstehungsgeschichte seines Films. Die Diskus­sionen gehen weiter, wie die folgenden Leser­briefe belegen.

Zusammengebastelte Kolportage

Den folgenden Leserbrief schrieb Prof. Dr. Dr. Hermann A. Hienz an die Redaktion des TV-Senders 3 Sat, der den Dokumentarfilm „Einst süße Heimat“ ausgestrahlt hat.

Sehr geehrte Damen und Herren! Als 83-jähriger Siebenbürger Sachse, dessen Ahnen nachweislich seit dem 16. Jahrhundert in Sieben­bürgen gelebt haben und von wo ich 1944 in den Krieg gezogen bin und drei Jahre in Gefan­genschaft zugebracht habe, der mit Land und Einwohnern Siebenbürgens und der Geschichte und der Kultur der Siebenbürger Sachsen bestens vertraut ist und erst kürzlich die Euro­päische Kulturhauptstadt Hermannstadt und deren Um­gebung bereist hat, muss ich Ihnen zu obiger Reportage meine hellste Empörung kundtun. Dass der Autor und Sie als verantwortlicher Sender eine derartig zusammengebastelte Kol­portage (in Österreich würde man sagen einen solchen Schmarrn) ausstrahlen, ist ein Skandal und eine Niedertracht. Sie haben damit den Siebenbürger Sachsen insgesamt und besonders den noch heute in Siebenbürgen lebenden 15 000 (von ehemals 240 000) nicht nur einen Bärendienst erwiesen, sondern sind weder ihrer Vergangenheit noch ihrem Schicksal in irgendeiner Weise gerecht geworden.

Für einen Volksstamm, der christlich geprägt und seit der Reformation evangelisch ist, wobei über Jahr­hunderte die Kirche aus eigener Kraft nicht nur sich selbst, sondern auch die Schulen verwaltet und erhalten hat, einen dümmlichen Atheisten und Prozesshansel gewissermaßen als Modera­tor durch die Sendung führen zu lassen und selbst in den Vordergrund zu stellen, ist eine Beleidigung sowohl der ehemals als auch der heute noch dort lebenden Landsleute, zumal wenn er sie auch noch als das elendste und dümmste Volk apostrophiert. Weder ist er in der Lage, Auskunft über Land und Leute, geschweige denn über deren Geschichte und Kultur noch über die reelle heutige Situation zu geben, schwafelt aber ausführlich, z. T. mit zotigen Ausdrücken, über seine Vergangenheit, seine politischen Anschauungen, über Frauenbe­kanntschaften usw. Viel besser sind die Beiträge der alten Neppendörferin auch nicht, wobei man sich fragen muss, was die Art der Kelte­rung von Traubensaft oder die Beziehungen zu den benachbarten Zigeunern (heute Roma) mit dem Thema der Sendung zu tun haben sollen. Eine solche verzerrte, unkenntnisvolle, geradezu fahrlässige Darstellung auch noch als Doku­mentationsfilm unter dem Titel „Einst süße Heimat“ – letzteres noch unter Verunglimpfung der Landeshymne – zu bezeichnen, ist nicht nur eine Verballhornung, sondern, gelinde gesagt, ein infames Unternehmen, das dem Zuschauer weder über die Vergangenheit noch über die heutige Lage unserer Landsleute in Siebenbür­gen etwas vermittelt und eines Senders wie dem Ihren unwürdig und daher verwerflich ist.

Ich sehe mich daher, stellvertretend für meine hier in Deutschland lebenden Landsleute, von denen alle, mit denen ich gesprochen habe, meiner Meinung sind, und vor allem für die noch zu Hause gebliebenen Landsleute genötigt, Ihnen diesen Protest zuzuleiten und Ihnen nahe zu legen, sich an anderen Sendern wie der ARD und dem ZDF ein Beispiel zu nehmen, die in korrekter Weise die ehemalige Situation in Sie­benbürgen und das heutige Leben der Sieben­bürger Sachsen sowohl in Siebenbürgen als auch hier in Deutschland und die Geschichte und Kultur dieses kleinen Völkchens darzustellen vermochten. Auch bei den Berichten der FAZ könnten Sie Nach­hilfeunterricht nehmen. Wie Sie es in der zweiten Sendung des Abends „Siebenbürgen blüht“ versucht haben, geht es ja wohl auch anders, wenn der Obertitel auch hier (Siebenbürgen blüht schon lange nicht mehr) wie auch der der ersten Sendung un­glücklich, missverständlich und irreführend ist.

Mit wenig freundlichen Grüßen,

Prof. Dr. Dr. H. A. Hienz, Krefeld

Für Film und Rezeption dankbar

Vielen Dank für die ausführliche Rezeption des Filmes „Einst süße Heimat“ von G. I. Hauzen­berger. Seit langem hat mich ein Film nicht so angerührt. Herrn Petri ist es in seiner Bespre­chung gelungen, das Wesentliche sehr klar her­auszustellen, und ich finde es sehr gut, dass Sie auch Herrn Hauzenberger die Gelegen­heit gege­ben haben, seinen Standpunkt zu erläutern. Ich möchte ihm über diesen Leser­brief für den Film danken.

Ingmar Brandsch, Stutensee

Zwiespältiger Eindruck

Der Film hat bei mir einen zwiespältigen Ein­druck hinterlassen. Einerseits war der Regisseur sichtlich bemüht, den gezeigten Hauptfiguren mit Einfühlungsvermögen gerecht zu werden, andererseits hat er nicht berücksichtigt, dass einer Vielzahl, wohl der Mehrzahl derer, die sich den Film angesehen haben, die Kenntnis der historischen Hintergründe fehlt, namentlich der letzten achtzig Jahre, der Umbrüche und Krisen. Die Tragik der Verführbarkeit durch die Appelle an die Opferbereitschaft kommt in der Darstel­lung zu kurz. Der Film hat keinen Rahmen, der dem Ganzen Halt gegeben hätte. Er bleibt im Episodischen stecken. Der „Narr“ als tragische Figur, der nicht zum Lachen oder Spotten, sondern zum Heulen ist – dieses Thema hat Herr Hauzenberger verfehlt.

Ich möchte eine kurz geschilderte Begeben­heit dagegen setzen: DIE WAHRHEIT. Erstmals nach dem Krieg war ich im Frühjahr 1965 zu­sammen mit meiner Frau in der alten Heimat. Wir fuhren in unserem Wagen von Hermann­stadt nach Michelsberg und besuchten unseren „Gevatter“ Johann Fleps, mit dem wir, trotz unterschiedlicher Namensschreibung, seit jeher die „Freundschaft“, also die Verwandtschaft ge­halten hatten. Der Gevatter war damals ein hagerer, rüstiger Bauer von dreiundsiebzig Jah­ren. Er war als junger Soldat am Anfang des Ersten Weltkriegs in russische Gefangenschaft geraten, hatte alle Not durchgehalten, er hatte 1945 die Verschleppung seiner Tochter Trenj nach Russland zur Zwangsarbeit erlitten, auch die staatliche Enteignung seines Hofes gleich nach Kriegsende, aber er hatte „sich nicht gelassen“, auch als Witwer nicht. Er war das seinem Stolz schuldig, ein Deutscher zu sein. (Wer das nicht verstehen kann, wird auch das Folgende nicht verstehen.)

Wir saßen in der Vorderen Stube einander am Tisch gegenüber, zwanzig Jahre nach Kriegs­ende. Mit ernstem Gesicht sagte er zu mir, der ich sein jüngster Sohn hätte sein können: „Herr Doktor, ich muss Euch etwas fragen, denn Ihr sagt mir die Wahrheit.“ Und nach einer Pause: „Ist es wahr, was die Leute sagen, dass der Hitler Millionen Juden hat umbringen lassen? Ich habe es nie glauben können.“ Ich spürte, was meine Antwort für ihn bedeuten musste: „Ja, Herr Gevatter. Es ist wahr.“ Ich werde nie vergessen, wie diese Wahrheit ihn, den aufrechten Sach­sen, getroffen hat, und wie er leise sagte: „Derno meß ech mich schummen“ („Dann muss ich mich schämen“).

Die bittere Einsicht dieses schlichten, aber gescheiten Bauern war genau die des ihm unbekannten Professors Theodor Heuss, des ersten Bundespräsidenten, der die Kollektivschuld der Deutschen verneint, aber von der kollektiven Scham gesprochen hatte. Dieses Gespräch ist nicht auf Tonträger aufgezeichnet, geschweige denn filmisch dokumentiert worden, aber es hat sich mir in Herz und Sinn eingegraben. Es ist wert, vor dem Vergessen bewahrt zu werden. Und ich bin stolz darauf, dass Johann Fleps, Bauer in Michelsberg, mein Gevatter war.

Roland Phleps, Freiburg

Nicht Täter, Opfer!

Der Autor kommt, nach Befragung zweier „Zeitzeugen“, beides sehr alte Menschen (dies ist nicht abwertend gemeint), leider ohne entsprechenden Bildungsgrad, um die großen Zu­sammenhänge zu erkennen, die er selbst als „nicht repräsentativ“ bezeichnet, zu verallgemeinernden Schlagwörtern wie „Verkettung von Schuld und Verhängnis“, Opfer und Täter“ „Phänomen des Verdrängens“. Er bezieht sich in diesem Zusammenhang ausschließlich auf die „Nazi-Zeit“ in Siebenbürgen, d.h. jene viereinhalb Jahre von 1940 (Beginn der Deutschen Volksgruppe) bis zum 23. August 1944, als für Rumänien der Krieg zu Ende ging. Die wirtschaftlich-kulturell-zivilisatorischen Leistungen und die Gesellschaftspolitik der Siebenbürger Sachsen in ihrer 800-jährigen Geschichte interessieren den Autor nicht. Allein schon aus diesem Grund ist der Beitrag „nicht repräsentativ“.

Ich möchte folgende Kritik formulieren, wo­bei ich darauf hinweise, dass ich 1924 in Her­mannstadt geboren wurde, die Zeit bis 1940, die „NS-Zeit“ (bis 1944), den Krieg als Soldat der Wehrmacht (Luftwaffe) und auch noch den Kommunismus in Rumänien erlebte, mich selbst als „repräsentativen Zeitzeugen“ einschätze und glaube, die großen Zusammen­hänge zu kennen, um darüber wahrheitsgemäße Feststellungen machen zu können!

1. Die These, die Deutschen und somit auch die Siebenbürger Sachsen seien, bezogen auf die Nazi- und Kriegszeit, „Opfer und Täter“ ge­wesen, ist von Fachleuten für Deutschland und somit auch für unseren Volksstamm längst dahingehend widerlegt worden, dass die „Täter“ wegen ihrer Verbrechen (als Individualschuld) bestraft und z. T. hingerichtet wurden, während bezüglich des Volkes keine „Kollektiv­schuld“ bejaht werden kann. Auch wenn einige Fana­tiker (siehe Goldhagen) immer noch gerne vom „Tätervolk“ reden.

2. Die Siebenbürger Sachsen waren aber in jener Zeit, die der Autor ausklammert, nämlich während der 800 Jahre, stets „Opfer“, sowohl der sie bedrohenden Mongolen, Tataren, Tür­ken, als auch der Angehörigen der staatstragenden Mächte, deren Übergriffen sie als völkische Minderheit ausgeliefert waren (Ungarn bis 1918, danach Rumänien). Sie waren stets in der Defensive und somit „Opfer“ von Ent­eignungen Verschleppungen, Internierungen Schauprozes­sen u. a. m.

3. Der Autor stellt seinen „Zeitzeugen“ vor allem Fragen bezüglich der KZs, Judenverfolgung und Nazi-Zeit in Siebenbürgen. Der erste Fragenkomplex war unnötig, weil es geschichtliche Wahrheit ist, dass kein Siebenbürger Sach­se in Siebenbürgen einem jüdischen Mitbürger einen Schaden an Leib, Leben und Gesundheit zugefügt hat. Das Gegenteil konnte bewiesen werden insoweit, als es Personen gab, die verfolgten Juden halfen – dies unter Inkaufnahme eigenen Risikos – und dafür Dankesbriefe er­hielten. Bis 1940 wurden die politische Führung der Siebenbürger Sachsen und die gesellschaftlich entscheidenden Gremien vom Volk gewählt. Das änderte sich ab diesem Jahr, als die „Deutsche Volksgruppe“ „von oben“, d. h. vom Dritten Reich geschaffen und organisiert wurde. Der Mann an der Spitze, Andreas Schmidt, wurde nicht gewählt, sondern bestimmt und „eingesetzt“. Gefragt wurde hierzu kein siebenbürgisch-sächsisches Gremium; die Anlehnung an das Dritte Reich war aber willkommen, als Folge und Hilfe gegenüber dem vom rumänischen Staat ausgeübten Chauvinismus. Alles wurde dem Dritten Reich entsprechend „gleichgeschaltet“ bzw. uniformiert, die bisher gewählte Führung ausgeschaltet, Vereine aufgelöst, Personen in Leitungsfunktionen größerer Wirt­schaftsunternehmen zur Abdankung „genötigt“; Rumänien und das Dritte Reich beschlossen die Konvention über den Kriegs­dienst der Volks­deutschen in der Wehrmacht. „Die Täter“ dieser gesellschaftlichen Umformung waren also nicht die hierzu nicht befragten Siebenbürger Sach­sen, sondern staatliche Stellen von Rumänien und dem Dritten Reich.

Eingedenk meiner Ausführungen fühle ich mich weder als „Täter“ noch habe ich ein Schuldgefühl und bedarf auch nicht des Verdrängens, sondern, wenn schon, dann als „Opfer“ angesichts der Totalenteig­nung meiner Familie, mehrmaligen Verhaftun­gen ohne Grund und wegen der Verbrechen, die unseren Lands­leuten auf Veranlassung der jeweiligen Macht­haber angetan wurden!

Dr. Heinrich B. Plattner, Stuttgart

Schlagwörter: Leserecho, Film

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Neueste Kommentare

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