Wie in dieser Zeitung gemeldet, starb Era Nussbächer kurz nach Erfüllung ihres 90. Geburtstages am 24. April in Kronstadt. 30 Jahre lang hat sie Orientteppiche restauriert, ihnen neuen Glanz verliehen, zum Erhalt dieses sächsischen Kulturgutes entscheidend beigetragen und dafür gesorgt, dass die "Brücken" zwischen Morgen- und Abendland nicht abreißen. Orientteppiche als Zeitzeugen sächsischer Kaufleute hängen in vielen unserer Kirchen in Siebenbürgen, aber nirgendwo in so einer Menge, Vielfalt und Pracht wie in der Schwarzen Kirche zu Kronstadt.

Bergama-Teppich aus Anatolien, 18. Jahrhundert, Schwarze Kirche Kronstadt. Die Fachwelt bezeichnet diese Teppiche mit Doppelnische als "Siebenbürger".

Wenn die an Gestalt kleine Frau das große Haus betrat, leuchteten ihre Augen beim Anblick der Farbenpracht, welche die Teppiche ausstrahlten, und wir begannen zu "fachsimpeln". Sie hat in jedem Teppich nicht nur Farben, Knotendichte und Muster gesehen, sondern sich neben der anatolischen Herkunft, auch um die Aussagekraft und Bedeutung ihrer Muster bemüht. Selbst stark stilisierte Blumen erkannte sie sofort als Tulpen, Rosen, Nelken oder Narzissen, und auf manchem Gebetsteppich den dargestellten Kampf zwischen Drachen und dem Vogel Phönix. Ich hörte ihr fasziniert zu und habe viel von Era Nussbächer gelernt. Als ich ihr 1983 von einer weiten Reise entlang der Seidenstraße einen Granatapfel mitbrachte, sah sie darin nicht nur ein Symbol. Sie zerschnitt ihn in zwei Teile und hatte dabei sofort erkannt, dass die großen Palmetten in den Bordüren der Gebetsteppiche nichts anders als einen Querschnitt des Granatapfels darstellten.

Es ist mir ein Bedürfnis, dieses im Andenken an Era Nussbächer noch gesagt zu haben, ehe die Spuren verwehen.

Magdi Soos, Kissing

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 9 vom 31. Mai 2003, Seite 22)