4. Februar 2014

Alte Bräuche in Tarteln

Die Siebenbürgische Zeitung brachte in Folge 18 vom 20. November 2013, Seite 11, eine kurze Mitteilung darüber, dass Günter Czernetzky die DVD „Nachbarn im Krautwinkel“ im Rahmen einer Reihe von Darstellungen siebenbürgischer Landschaften erstellt hat. Womit die südwestlich von Großschenk liegenden Ortschaften gemeint sind. Eine davon ist Tarteln. Im gleichen Sinne bringen zwei Kalender Martin Eichlers (Siebenbürgischer Bilderdienst) die uralte Kirchenburg von Tarteln „äm Kåmpestwainkel“ als Titelbild bzw. Januarbild für 2014.
Wer diese abseits der großen Straßen liegende Ortschaft noch nie besucht hat, sollte doch einiges über ihre seltenen und wertvollen uralten Überlieferungen erfahren. Die lateinische Bezeichnung für Tartlau im Burzenland und Tarteln bei Großschenk lautet Prasmar. Bezeichnend ist, dass im Ungarischen Tarteln „Kisprasmar“ genannt wird, was „Klein-Prasmar“ bedeutet. Die Kirchenburg, eine romanische, dreischiffige Katharinen-Basilika, stammt aus dem 13. Jahrhundert. Im 15. und 16. Jahrhundert wurde der Turm um ein Geschoss erhöht und mit einem Wehrgang und Schießscharten versehen. Am Eingangsportal, das mit fünf parallel laufenden Rippenbögen geschmückt ist, kann man auch heute noch in den verwitterten, die Bögen tragenden Gestalten Menschen- und Dämonendarstellungen erkennen. Die Kirchenburg steht im Westen der Hauptgasse. Früher soll die Ortschaft doppelt so groß gewesen sein, nämlich zu beiden Seiten des nordsüdlich fließenden Mühlenbachs gleichermaßen besiedelt. Es sollen dazumal über sechzig Sichelschmiede in Tarteln gelebt haben. Die Pest hat dann den östlich vom Mühlenbach gelegenen Siedlungsteil völlig entvölkert. Diese Seuche hat in Tarteln mehrere Male gewütet, 1719 zum letzten Mal schwer.

Tarteln war ein freies Dorf des Schenker Stuhls mit 46 Wirten, einer Schule und zwei Hirten. Seit 1224, dem Jahr des Goldenen Freibriefs Andreas’ II., gab es in Siebenbürgen Stuhlseinheiten mit Stuhlsvororten und Königsrichtern. Wer und wie viele Männer in den ersten 100 Jahren dieser Einrichtung im Schenker Stuhl als Königsrichter gewirkt haben, wissen wir nicht; aber der 1329 in einem Mühlenkauf erste bescheinigte Name eines Schenker Königsrichters lautet Benherus von Tarteln. Auch Hattert-Streitigkeiten gab es zwischen Großschenk und Tarteln. Einst soll sich doch der Hann (Richter) von Großschenk heimlich Erde in die Stiefel gefüllt haben, um zu beschwören, dass er – auf einem strittigen Stück Land – auf Schenker Erde stehe. Danach soll er beim Heimritt über eine Brücke zu Tode gestürzt sein – die Stelle heißt heute noch „Bä der boiser Bräck“.

Im Jahresablauf hielt man unter vielerorts üblichen Bräuchen wie Mummenschanz-Umzügen oder Maibaum-Aufstellen zu Pfingsten in Tarteln außerdem jahrhundertelang an nachfolgenden eigenartigen Bräuchen fest: Am 6. Januar, dem „Helijen Droakengengsdōch“, führte man das seit vielen Generationen überlieferte Spiel „Vom König und dem Tod“ auf. In dem mittelalterlichen Mysterienspiel traten vier Personen auf: ein Soldat, ein Engel, der König und der Tod.

Das Todaustragen: An Herrn Himmelfahrt vor Pfingsten stellte die Schwesternschaft aus Stroh, das mit Hanfgewebe umnäht wurde, eine lebensgroße Puppe her, der man eine Mädchentracht anzog und den Borten aufsetzte – als Sinnbild für den abgelaufenen Winter. Diese Puppe führte die Schwesternschaft auf den Friedhof, wo die Bruderschaft mit den Adjuvanten wartete. Man kleidete die Puppe aus, zerriss die Strohfüllung und fing eines der jungen Mädchen ein, dem man nun die Tracht anzog, ein Sträußchen neuer Weizenhalme in die Hand gab und es als Verkörperung des Frühlings ins Dorf zurückführte, wo dann auf dem Vaterhof des Mädchens die Mütter das junge Volk bewirteten.

24. Juni, Johannistag – der „Gehonnesdōch“: Die Schwesternschaft flocht ins stöckige Kronengestell heimische Wiesenblumen und vor allem Johanniskraut ein. Mit feierlichen Worten übergab die Altmagd der Bruderschaft die Krone. Diese wurde oben auf dem hohen Kronenmast befestigt. Von dort her wurde eine Rede gehalten, Musik und Tanz folgten. Die Burschen trugen seitlich rechts auf dem schwarzen Hut ein mit Levkojen, Rosmarinzweigen und Trachtenbändchen geschmücktes fächerartiges Schmuck-Gestell – ganz ähnlich dem, das der Bauer im Kölner Dreigestirn jedes Jahr auch an seiner Kopfbedeckung trägt.

Der Tartler Brauch vom Pesthemd: Wenn die Seuche in der Gemeinde ausgebrochen war, versuchte man, sie durch das Pesthemd zu vertreiben, und zwar so: Neun oder zwölf Frauen kamen vor Sonnenuntergang in einem Haus zusammen, spannen, webten und nähten aus Hanf bis Sonnenaufgang ein Hemd, das man am Ortsausgang der Gemeinde auf ein Kreuz aus Holzstäben aufzog. Dann sei die Pest abgeflaut, heißt es.

Heiligabend: Jugendliche und Jungverheiratete stiegen nach dem Abendgottesdienst auf den Turm und sangen vom großen Bogenfenster aus einen alten gregorianischen, lateinischen Mönchsgesang und zwar mehrstimmig. Der Pfarrer, der Lehrer und der Organist übten dieses Lied ein. Als es in Tarteln weder Pfarrer noch Lehrer noch Organisten mehr gab, soll in den Familien dieser feierliche Gesang weitergelehrt worden sein: Puer natus est nobis, et filius datus est nobis, cuius imperium super humerium eius – et vocabitur nomen eius magni consilii angelus. Zu Deutsch: Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt, auf seinen Schultern liegt die Weltherrschaft, seinen Namen lassen erschallen große Scharen von Engeln.

Lilli Pelger

Schlagwörter: Tarteln, Brauchtum

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