12. November 2005

Ein kleines Wunder ist in Bistritz geschehen

Sonntag, den 2. Oktober 2005, strahlend blauer Himmel, sommerliche Temperaturen. Kurz vor zehn Uhr versammeln sich immer mehr Menschen auf dem Kirchplatz; vor dem im Renaissance Stil erbauten Westportal. Eine Gruppe junger Menschen in sächsischer Tracht stellt sich in Zweierreihe auf beiden Seiten des Portals auf. Es sind die Vertreter des Jugendvereins des Deutschen Forums Bistritz; unter der Leitung des Geographielehrers Bobby Arcalean, die heute das Rahmenprogramm zum Erntedankfest mitgestalten.
Dann ertönt der gewaltige Klang der Glocken auf dem Kirchturm. Ein leichtes Schaudern läuft über den Rücken; man verfällt in Erinnerungen. Wie oft haben diese Glocken schon Freud und Leid verkündet! Sie rufen zum Gottesdienst an Festtagen, sie begleiten die Verstorbenen auf ihrem letzten Weg, läuten Jahr für Jahr um Mitternacht am 31. Dezember ein neues Jahr ein.

Erntedankfest in Bistritz: Dechant Bruno Fröhlich, Stadtpfarrer Johann Dieter Kraus und die Jugendgruppe des Bistritzer Forums in siebenbürgisch-sächsischer Tracht. Foto: Hans Georg Franchy
Erntedankfest in Bistritz: Dechant Bruno Fröhlich, Stadtpfarrer Johann Dieter Kraus und die Jugendgruppe des Bistritzer Forums in siebenbürgisch-sächsischer Tracht. Foto: Hans Georg Franchy

Busse kommen an. Aus ihnen steigen überwiegend alte Frauen und Männer aus, es sind die evangelischen Brüder und Schwestern die zum Gottesdienst aus den umliegenden Dörfern abgeholt wurden. Dann kommen die Pfarrer vom Pfarrhaus über den Platz, heute zu zweit, Stadtpfarrer Johann Dieter Kraus und sein Vorgesetzter, Dechant Bruno Fröhlich aus Schäßburg. Sie bleiben vor dem geöffneten Westportal stehen, flankiert von den jungen Menschen in siebenbürgischer Tracht - ein wunderbarer Anblick. Stadtpfarrer Kraus lädt ein zum Eintritt in die Kirche durch das große Westportal. Er betont in einer kurzen Ansprache, dass der heutige Tag ein besonderer ist und deshalb ausnahmsweise das Westportal geöffnet wurde. Es gilt Gott zu danken für die reiche Ernte auf den Feldern, Nordsiebenbürgen ist von den gewaltigen Naturkatastrophen, die Rumänien in diesem Jahr heimgesucht haben, verschont geblieben.

Aber es gilt auch Gott zu danken für das kleine Wunder, das in diesem Jahr geschehen ist. Nach über 14 Jahren ist endlich das Gerüst an der Westfassade verschwunden. Die Kirche erstrahlt nun im Sonnenlicht in einer bisher unbekannten Pracht. Ebenso gilt es Dank auszusprechen für die Instandsetzung des Kirchendaches und der Rinnen, dadurch ist ein Eindringen der Feuchtigkeit und ein weiterer Verfall der Mauern erstmals gebremst…

Unter dem Brausen der alten 1795 erbauten Orgel betreten zuerst der Dechant, dann der Pfarrer, das Presbyterium und alle anderen die Kirche. Sie gehen langsam durch den engen Mittelgang zu den Bänken im Mittelschiff. Es sind beeindruckend viele Menschen heute in der Kirche. Altar und Chorraum sind festlich geschmückt mit den Früchten des Feldes, der Weingärten und der Bäume. Von Orgelmusik begleitet, trägt Anita Hartig mit ihrer starken Sopran Stimme zwei sakrale Lieder vor. Pfarrer Kraus beeindruckt mit einer ausgefeilten, in deutscher und rumänischer Sprache vorgetragenen Predigt. Er geht auf die schwere Arbeit der Bauern auf dem Feld ein. Arbeit, die Städter nicht kennen und daher auch den Wert des Dankes für eine reiche Ernte nicht immer nachvollziehen können. Er spricht aber auch kurz die Geschichte der Kirche an und weist auf deren desolaten baulichen Zustand hin. Er dankt der Stadtverwaltung Bistritz und der HOG Bistritz-Nösen e.V. für die Bereitstellung von Mitteln zur Vollendung der Westfassade und zur Renovierung des Kirchendaches. Diese Arbeiten sind nun abgeschlossen, und es wirkt wie ein Wunder nach dem jahrelangen Dornröschenschlaf, in den die Kirche verfallen war, dass in diesem Jahr so viel geschehen ist.

An dem Gottesdienst nehmen auch Vertreter des Bürgermeisteramtes sowie der HOG Bistritz-Nösen e.V. bei. Nach der Ansprache des Dechanten Fröhlich richtet auch Dr. Hans Georg Franchy, Vorsitzender der HOG Bistritz-Nösen e.V., einige Worte an die Kirchengemeinde. Er betont, dass er und alle anderen im Ausland lebenden Bistritzer ihre Heimat nicht freiwillig verlassen haben. Die Älteren auf der Flucht, die anderen später, vertrieben durch ein Regime, das einem ein Leben in sächsisch-deutscher Tradition nicht gestattet hat. Ein Zurück nach all den Jahren sei nicht denkbar. Die meisten haben sich eine neue Existenz in Deutschland, Österreich oder Übersee aufgebaut. Sie haben eine neue Heimat gefunden, doch in Gedanken und durch Taten sind sie verbunden mit allen, die noch in der alten Heimat leben. Franchy betont: „Wir haben euch nicht vergessen, und wir werden euch nicht vergessen. So wie in Bistritz die Dorfbewohner und Städter zu einer Gemeinschaft zusammenwachsen, so ist auch die HOG Bistritz-Nösen e.V. als eine Verbindung aller Nordsiebenbürger zu verstehen.“

Im Anschluss an den Gottesdienst mit Abendmahl werden alle Kirchenbesucher zu einer gemütlichen Feier mit „Mici“ und Bier in das schöne Gartenrestaurant hinter dem Gewerbeverein eingeladen. Hier erfreut die Tanzgruppe des Jugendvereins des Forums mit zahlreichen Tänzen, so dass die feierliche Stimmung sehr schnell ins Fröhliche umschlägt. Leider sind an diesem eindrucksvollen Tag nur wenige Bistritzer aus dem Ausland angereist. Unter ihnen die in der Bistritzer Sache sehr engagierten Michael Weihrauch jun. aus Nürnberg und Michael Anders Kraus aus Wien.

HF

Schlagwörter: Bistritz, Nordsiebenbürgen

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