13. April 2011

Erbe und Zukunft der siebenbürgischen Dörfer: Caroline Fernolend im Gespräch

Das Hauptanliegen des „Mihai Eminescu Trust“ (MET; Internet: www.mihaieminescutrust.org) ist die Revitalisierung sächsischer Dörfer in Siebenbürgen. In 27 Ortschaften in Rumänien hat der MET bisher schon gearbeitet. Die Stiftung mit Hauptsitz in Großbritannien steht unter der Schirmherrschaft SKH Prinz Charles und wird von Jessica Douglas-Home geleitet. Das Paradebeispiel, wenn es um die Erfolge des Trusts in Rumänien geht, bleibt Deutsch-Weißkirch, Heimatort von MET-Vizepräsidentin ­Caroline Fernolend. Sie ist Absolventin der Kronstädter Fakultät für Internationale Wirtschaftsbeziehungen und vertritt als Gemeinderätin von Bodendorf das Demokratische Forum der Deutschen im Kreis Kronstadt. Im Namen des MET nahm sie im Laufe der vergangenen Jahre mehrere Auszeichnungen entgegen, wie den Europa-Nostra-Preis der Europäischen Union für die Erhaltung des Kulturerbes (2007), den großen Preis der Gala der Zivilgesellschaft und die Trophäe „Zehn für Rumänien“ (2010), um nur einige zu nennen. Mit Caroline Fernolend führte Christine Chiriac das folgende Gespräch.
Frau Fernolend, der MET ist in Siebenbürgen schon seit elf Jahren aktiv. Wie kam es zur Zusammenarbeit in den schwierigen Jahren nach der Wende?
Es war meiner Meinung nach die Not, die unsere Richtlinien geformt hat. Wir haben damals aus zwei sehr wichtigen Gründen Hilfe gesucht, und zwar wollten wir einerseits versuchen, unser siebenbürgisch-sächsisches Erbe zu erhalten, andererseits wollten wir den Leuten ein besseres Leben ermöglichen. Ich denke, heute sieht man einen großen Unterschied zu der Ausgangslage in den neunziger Jahren. Natürlich war nicht in jeder Ortschaft die Entwicklung gleich erfolgreich, aber überall sieht man eine Verbesserung des Dorfbildes und des Lebensstandards.

Wie verläuft die Arbeit vor Ort?
Wir nennen das MET-Projekt „Das ganze Dorf“, weil wir versuchen, womöglich alle kulturellen, wirtschaftlichen, sozialen Probleme anzugehen. Wir unterstützen die Entwicklung des Dorftourismus und den Erhalt der Baudenkmäler, organisieren Fortbildungen für Handwerker, leiten die Restaurierung der Häuser und der Kirchenburgen, versuchen für die Menschen Arbeitsplätze vor Ort zu schaffen. In manchen Ortschaften haben wir mit der Arbeit der Stiftung relativ schnell aufgehört, andere brauchen weiterhin unsere Unterstützung.

Welche Voraussetzungen muss eine Ortschaft erfüllen, um vom MET unterstützt zu werden?
Die Arbeit der Stiftung richtet sich sehr stark nach den Bedürfnissen der jeweiligen Gemeinde. Es hängt immer davon ab, ob die Dorfgemeinschaft uns annimmt, welches ihre Vorstellungen sind, ob die Bereitschaft besteht, mit uns mitzuarbeiten. Voraussetzung ist also, dass die Projekte von der Gemeinschaft selbst vorgeschlagen werden, denn so übernehmen die Einwohner auch die Verantwortung dafür. Die Stiftung kann dann versuchen, Sponsoren zu finden und die Arbeit zu leiten. Um ein Beispiel zu nennen: Die Reichesdorfer haben neulich als Projekt die Restaurierung des Gemeindesaals vorgeschlagen. Ich habe sie gefragt, ob sie genügend Dorfbewohner finden können, die mitarbeiten, ohne bezahlt zu werden. Es hat nicht lange gedauert, bis ich wieder kontaktiert wurde: fünfzehn Leute hatten sich gemeldet. Wenn der Saal fertig ist, kann jeder Freiwillige ihn dreimal kostenlos nutzen. So ist die Gemeinschaft eingebunden, die Leute betrachten den Gemeindesaal als ihren eigenen und pflegen ihn entsprechend. In Almen z. B. haben die Roma vorgeschlagen, einen Englischkurs zu organisieren, vor allem die Frauen, die Gästezimmer betreiben, oder die Männer, die an Trainings mit britischen Spezialisten teilnehmen und traditionelle Handwerke erlernen. Zurzeit unterrichten zwei Lehrer ungefähr vierzig Leute jeden Samstagvormittag.
Caroline Fernolend, Bodendorfs Bürgermeister ...
Caroline Fernolend, Bodendorfs Bürgermeister Mircea Pălășan (links) und Peter Maffay bei der Europäischen Kommission in Brüssel.
Wer sind die Menschen, mit denen die Stiftung in den Dörfern zusammenarbeitet?
Leider leben in diesen Ortschaften nur noch sehr wenige Sachsen. Beispielsweise in Deutsch-Weißkirch sind es 15 von 420 Einwohnern. In vielen Dörfern sind die meisten Arbeiter Rumänen oder Roma.

Welches ist ihre Motivation? Der Erhalt der sächsischen Kulturerbes steht wohl nicht an erster Stelle ...
Sicherlich ist es nicht ihre ursprüngliche Kultur, die sie heutzutage erhalten. Sie haben die siebenbürgisch-sächsische Kultur sozusagen „geerbt“, aber ihre Motivation ist höchstwahrscheinlich eine andere: sie merken, dass sie vom Dorftourismus gut leben können. Sie sind stolz, dass sie das Dorf restaurieren, dass sie an der Kirchenburg und an den Häusern arbeiten. Deswegen denke ich, dass sie sich auch in Zukunft um ihre Ortschaften kümmern werden, wenn die Stiftung nicht mehr da ist, denn mit der Zeit verinnerlichen sie diese Werte.

Deutsch-Weißkirch wurde im vergangenen Jahr von 12.000 Touristen besucht. Ist es noch ein ruhiges sächsisches Dorf oder hat es schon die Hektik einer touristischen Attraktion?
Im Sommer haben wir tatsächlich manchmal 200-300 Besucher pro Tag im Dorf. Im Winter beherbergen wir aber keine Touristen, sodass Weißkirch zumindest von November bis März ein traditionelles sächsisches Dorf bleibt.

Hat die Stiftung vor, sich zu einem bestimmten Zeitpunkt aus Siebenbürgen zurückzuziehen?
Am Anfang, als ich versuchte, unsere Sponsoren und Partner zu überzeugen, dachte ich, dass die Dörfer in fünf Jahren selbständig sein würden. Heute, nach elf Jahren, sind wir es noch immer nicht. Die Stiftung ist nicht befristet hier, wir sind aber auf finanzielle Unterstützung angewiesen, um arbeiten zu können. Wir finanzieren die Arbeiten jetzt hauptsächlich aus EU-Geldern, und ich hoffe, dass wir noch lange Zeit diese Unterstützung genießen. Es besteht weiterhin großer Bedarf, auch wenn manche Dörfer schon selbständig sind und ihre Arbeit ohne die Stiftung bewältigen. In Zukunft wird der MET vielleicht zunehmend als Berater tätig sein. Wir erhalten sehr viele Anfragen in diese Richtung, ob wir verschiedene Projekte mit unserem Wissen begleiten könnten.
Deutsch-Weißkirch bleibt gepflegt und ...
Deutsch-Weißkirch bleibt gepflegt und unverändert, dank der Arbeit des Mihai Eminescu Trusts. Foto: Christine Chiriac
Es klingt alles so, als ob es einfach wäre. Gibt es keine Schwierigkeiten?
Es gibt viele, oft mit den Behörden. Es dauert sehr lange, bis man die Arbeit überhaupt beginnen darf. So haben wir z.B. die Genehmigungen für das Projekt der ökologischen Kläranlagen erst nach zwei Jahren erhalten.

Wie kam es zu der Ausstellung des MET in den USA im Oktober 2010 und zu den Gesprächen in Brüssel im Februar dieses Jahres?
Anlässlich des zehnjährigen Jubiläums des MET in Siebenbürgen wurde eine Ausstellung gestaltet, die ich in mehreren Städten und Dörfern in Rumänien gezeigt habe. Ein Professor aus Amerika hat mich kontaktiert und hat mir vorgeschlagen, die Ausstellung auch in den USA zu zeigen, da 2010 das 130-jährige Bestehen diplomatischer Beziehungen zwischen Rumänien und den Vereinigten Staaten gefeiert wurde. Das Rumänische Kulturinstitut hat uns dabei unterstützt, leider nicht auch unser Tourismus- und Kulturministerium. So konnten wir unsere Ausstellung „Siebenbürgen – Erbe und Zukunft“ drei Wochen lang in Washington in der Rumänischen Botschaft zeigen. Im Juli dieses Jahres soll sie in London vorgestellt werden.
In Brüssel war ich auf Einladung von Peter Maffay zusammen mit unserem Bürgermeister. Wir haben die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, Viviane Reding, den EU-Kommissar Günther Öttinger, die Kommissare aus Österreich und Ungarn sowie den rumänischen Kommissar Dacian Cioloș getroffen. Peter Maffay wollte die Eröffnung seines Kinderheims in Radeln im Juli vorbereiten und sich beraten lassen, wie seine Stiftung Fonds für die Infrastrukturprojekte vor Ort beantragen sollte. Ich habe die Arbeit des MET vorgestellt. Zudem haben wir ein Projekt präsentiert, in dem wir vorschlagen, dass die Dörfer auch beim Erhalt der traditionellen Landwirtschaft unterstützt werden sollen. Wir wollen, dass landesspezifische Tierrassen und Samenarten verwendet werden, dass die traditionelle Landwirtschaft durch die strengen EU-Regelungen nicht verloren geht, denn sie ist letztendlich Teil unserer Identität und die Hauptattraktion für unsere Touristen. Herr Cioloș war beeindruckt; sein Vertreter wird am 9. Mai nach Siebenbürgen kommen, um alles mit uns im Detail zu besprechen.

Welche Pläne verfolgt die Stiftung dieses Jahr?
Ich wünsche mir, dass unser Projekt zu ökologischen Kläranlagen von möglichst vielen Gemeinden übernommen wird. Um die Leute zu motivieren, wollen wir ein Informationsheft herausgeben und Seminare organisieren. Ein anderes Projekt, an dem wir mit Fachleuten aus Paris arbeiten, ist ein umfassender Bericht über die langfristige Wirkung der fast Tausend Projekte, die wir bisher durchgeführt haben. Die Ergebnisse werden auch die weitere Entwicklung der Stiftung bestimmen. Wir arbeiten zudem an einem Buch über den traditionellen Tourismus für die Agrarschule, und nicht zuletzt gehen die einzelnen Projekte in den Dörfern weiter.

Vielen Dank für das Gespräch.

Schlagwörter: Interview, Deutsch-Weißkirch, Eminescu-Trust

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Neueste Kommentare

  • 16.04.2011, 13:52 Uhr von sb52: Mit Interesse gelesen,aber könnten Sie bitte wennigstens in ,,die dt.Dorfnamen übersetzen? [weiter]
  • 15.04.2011, 23:56 Uhr von Doris Hutter: Vielen Dank für den Einblick in Ihre vielseitige Arbeit, liebe Caroline Fernolend, es ist so schön ... [weiter]

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