27. März 2020

Ex-Bundesgeschäftsführer Erhard Graeff blickt auf seine 30-jährige Verbandskarriere zurück

Gehört „zum Inventar“, ist „Urgestein“, „Gesicht“ von … – die deutsche Sprache ist ergiebig, wenn es darum geht, langgediente verdienstvolle Mitarbeiter in Leitungsfunktion metaphorisch zu bezeichnen. Alle vorgenannten Begriffe sind im Falle von Erhard Graeff zutreffend. Sein Rentenbeginn zum 1. Dezember 2019 markierte eine Zäsur, für ihn wie auch für unseren Verband. Ein Vierteljahrhundert in Schlüsselfunktion: Seit Oktober 1994 war Graeff Bundesgeschäftsführer, davor knapp vier Jahre Bundeskulturreferent. Sein Wirken als Verbindungsstelle zum Bundesvorstand, zu den Untergliederungen des Verbandes bis hin zum einzelnen Mitglied bescherte dem rund um die Uhr erreichbaren Familienvater (verheiratet, zwei erwachsene Kinder) nicht selten 50-Stunden-Wochen – Leitung der Münchner Geschäftsstelle, Heimattag und Bundeshaushalt all inclusive. Am 12. April begeht der aus Hermannstadt stammende, bei Dachau lebende „Berufslandsmann“ seinen 65. Geburtstag. Im Gespräch mit Christian Schoger rekapituliert Erhard Graeff seine Verbandstätigkeit (seinem Naturell entsprechend mitunter launig).
„Wechsel ist das Los des Lebens, und es kommt ein anderer Tag.“ – Erhard welche Aussagekraft hat dieses Fontane-Zitat für deinen Rentenbeginn?

„Wenn uns etwas aus dem gewohnten Gleis wirft, meinen wir, alles sei verloren, dabei fängt etwas Neues, Gutes an.“ So sagt es Tolstoi und ich kann mich dem anschließen.

Aus gesundheitlichen Gründen musstest du beruflich kürzer treten. Geht es dir ohne die tagtägliche hohe Arbeitsbelastung in der Bundesgeschäftsstelle inzwischen wieder besser?

Es hat sich an meinem Gesundheitszustand nichts geändert, ich komme aber inzwischen damit besser zurecht. Schließlich handelt es sich nicht um eine Krankheit, die lebensgefährlich wäre, sondern „nur“ um Schmerzen, die chronisch geworden sind. Es ist nun mal ein Unterschied, ob konzentrierte, verantwortungsvolle Arbeit gefordert ist, oder man bei der Gestaltung des Alltags wann immer eine Auszeit nehmen kann.

Wie wirkt sich der Wegfall der Verbandstätigkeit auf dein Alltagsleben aus? Hast du schon Abstand gewonnen? Wofür kannst du die frei gewordene Zeit bereichernd nutzen?

Ich bin noch sehr eng mit der Geschäftsstelle unseres Verbandes verbunden, weil kein Einarbeiten meiner Nachfolgerin Ute Brenndörfer im Amt möglich war. Es ist also normal, dass Fragen aufkommen, die am ehesten jemand beantworten kann, der diese Arbeit über Jahrzehnte erledigt hat. Es sind aber meist Probleme, die telefonisch oder mittels kurzer Mail zu klären sind. So lange ich Bundesgeschäftsführer des Verbandes war, habe ich mich dafür zuständig gefühlt, und auch jetzt verweigere ich mich nicht. Die Anfragen werden allerdings immer seltener und ich habe somit meine Freizeit, die ich gerne mit Gartenarbeit, Basteln und Reparieren (Reparier-Opa) und natürlich mit unseren Enkeln (zwei und vier Jahre alt) verbringe. Auch lese ich sehr gerne. Ich habe auch Pläne für die Zeit, in der die Schmerzen doch noch verschwinden sollten.

Vom Wert der Kommunikation

Fast dein halbes Leben lang bist du „in landsmannschaftlicher Mission“ in die Geschäftsstelle nach München gependelt. Abgesehen von der Verbandsarbeit gab es oft auch gemeinschaftliches Erleben, wie die Gespräche im Sitzungsraum über Gott und die Welt. Das „alte“ Team löst sich weiter auf. Außer dir sind nun auch Hans-Werner Schuster, Uta Schullerus und Ilse Hommen in Rente gegangen. Was bleibt dir emotional von diesen langen Jahren?

Wir waren einmal ein junges, dynamisches Team – in den 90ern. Und sind gemeinsam zu Dinosauriern gereift. Äußerst engagierte Personen, mit denen es richtig Spaß machte, zusammenzuarbeiten. Und es rückten junge MitarbeiterInnen nach, die sich prima eingliederten und ebenfalls hervorragende Arbeit leisten. Ihr werdet sehen, wie bald ihr das „alte“ Team sein werdet! Das ist der Lauf der Zeit, auch wenn Wehmut dabei aufkommt. Ich habe mich jedenfalls, auch wegen meiner optimistischen Grundhaltung, sehr wohl gefühlt in meinem Amt und hoffe, den KollegInnen diese Herangehensweise an die Aufgaben vorgelebt und vermittelt zu haben.
Stift und ein Stück Papier gehören nach wie vor ...
Stift und ein Stück Papier gehören nach wie vor zur Grundausstattung von Erhard Graeff. Foto: privat
Du hast deine Vermittlerrolle gerade auch zwischen Vorstand und Mitarbeitern offen und kommunikativ interpretiert. So konnte eine gemeinsame Vertrauensbasis wachsen, die in Krisenzeiten, die es natürlich immer wieder einmal gab, stabilisierend wirkte. Das Mittel der Wahl war das Gespräch von Angesicht zu Angesicht und das Telefonat. War effektives Kommunizieren die Schlüsselqualifikation deiner Tätigkeit als Bundesgeschäftsführer?

Du hast recht, die Kommunikation war deshalb so wichtig, weil die/der eigentliche Vorgesetzte – das sind die/der Bundesvorsitzende und der Geschäftsführende Vorstand – im Ehrenamt tätig und somit in der Geschäftsstelle nur selten anwesend war und der Geschäftsführer im Verein nicht die gleichen Befugnisse wie ein Kollege in der freien Wirtschaft hat. Somit waren alle wichtigen Schritte zuerst mit dem Vorstand zu besprechen, bevor sie dann von dem Team umgesetzt werden konnten. Und umgekehrt: Ging etwas vom Team aus, musste das mit dem Vorstand zumindest in groben Zügen abgesprochen und dann von ihm abgesegnet werden, bevor man zur Tat schritt. Von Vorteil war dabei, wenn solche Vorgänge vorbereitet an die Adressaten herangetragen wurden und eine eigene Meinung dazu bereits mitgeliefert wurde. Oft reichte dazu nicht allein gesunder Menschenverstand, sondern ernsthafte Auseinandersetzung mit der Thematik über Recherche und Einholen von Expertenwissen, z.B. von den Referenten unseres Verbandes oder weiteren ausgewiesenen Fachleuten innerhalb und außerhalb unserer Gemeinschaft. Das klingt vielleicht kompliziert, es ist aber unabdingbar, wenn nicht im eigenen Interesse, sondern in dem des Verbandes, seiner Satzung und dessen Richtlinien zu agieren ist. Oberste Maxime dabei ist immer: Cui bono – wem zum Vorteil. An dieser Stelle einen herzlichen Gruß an Hannes Schuster, der als Chefredakteur der Siebenbürgischen Zeitung (auch) nach diesem Leitsatz die zu veröffentlichenden Beiträge ausgewählt hat. Es galt zu unterscheiden, ob die Veröffentlichung bloß der Befriedigung des Egos eines Autors diente oder aber im Interesse der Leserschaft unserer Verbandszeitung – der Mitglieder – lag. Und das notwendige Unterscheiden habe ich mir gut gemerkt.

Inwieweit nutzten dir dein Studium der Kunstgeschichte, der Volkskunde und der Neueren deutschen Literaturgeschichte sowie deine kaufmännische Weiterbildung als Kulturreferent bzw. als Bundesgeschäftsführer?

Ich glaube, dass bloß die kaufmännische Ausbildung ausschlaggebend war. Hat mich doch der damalige Bundesvorsitzende Dankwart Reissenberger während des Vorstellungsgesprächs gefragt, ob ich imstande sei, die als Kulturreferent durchzuführenden Maßnahmen auch abzurechnen. Meine Qualifikation zur Organisation und Durchführung von Veranstaltungen, Seminaren, Ausstellungen, Workshops usw. sowie gute Kenntnisse der Kultur und Geschichte der Siebenbürger Sachsen unterstellte er mir einfach. Er lag ja damit auch nicht ganz falsch, hatte ich mich doch vor allem während des Studiums mit der Geschichte unseres Völkchens, der frühgotischen Architektur (der Zisterzienser), den Trachtenlandschaften, dem Volkslied, der Möbelmalerei in Siebenbürgen und ja, auch dem Mythos Dracula und sonstiger Untoten beschäftigt. Spezialist wird man allerdings erst nach dem Studium durch berufliche Beschäftigung mit einem Themenbereich. Diese Chance erhielt ich 1991, als ich im Januar die Stelle des Bundeskulturreferenten der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen antrat.

Sicher eine große Herausforderung.

Die Stelle war länger nicht besetzt gewesen und da saß ich nun in meinem Büro, umgeben von Umzugskartons, in denen die Unterlagen des Kulturreferats auf das Einsortieren in die Regale warteten. Das dauerte eine gewisse Zeit, aber weil ich wirklich jede Mappe und jedes Papier in die Hand nehmen musste, erhielt ich so auch einen gewissen Überblick über die Aktivitäten des Referats in den vergangenen Jahren. Große und wichtige Aufgabe im Antrittsjahr blieb dabei die 850-Jahr-Feier in der Frankfurter Paulskirche und die Ausstellung 850 Jahre Siebenbürger Sachsen im Historischen Museum der Stadt. Die Vorbereitung des Heimattages musste so nebenher natürlich auch laufen, Tagungen und Wochenendseminare sollten auch nicht zu kurz kommen, um die SJD, die Siebenbürgisch-Sächsische Jugend in Deutschland, sollte man sich auch ein wenig kümmern, die Stolzenburger sollten mit ihrer Tracht den Oktoberfestumzug in München bereichern … Es wurde ein ganz verrücktes Jahr, durch das ich rückblickend eigentlich getaumelt bin. Hinzu kam, dass meine Familie, die durch die Geburt unseres zweiten Kindes am Pfingstmontag – Terminkollision mit dem Heimattag! – vervollständigt wurde, in Unterfranken zurückgeblieben war und ich im Münchner Raum eine Wohnung für uns finden musste. In dieser ersten, wirklich schweren Zeit unterstützten mich die Stellvertretende Bundesvorsitzende Ingrid von Friedeburg-Bedeus, die von ihrem Wohnsitz in Bad Homburg aus nur so vor Ideen sprühte, und Bundesgeschäftsführer Peter Pastior, der die sachliche Ebene vertrat. Dann folgten drei relativ „normale“ Jahre, wie sie jeder erlebt hat, der sich als junger Mensch beweisen will und zudem Freude an seiner Arbeit hat.

Danach begann ein neuer Abschnitt deiner Verbandskarriere.

Ja. Als 1994 bekannt war, dass Peter Pastior sich zur Ruhe setzen will, nahm ich das Angebot des damaligen Bundesvorsitzenden Dipl.-Ing. Arch. Volker Dürr an, die Geschäftsführung des Verbandes zu übernehmen. Ich hatte während der knapp vier Jahre als Kulturreferent Einblick auch in diesen Tätigkeitsbereich erhalten und traute mir das ohne Weiteres zu. Wobei ich anmerken muss, dass das Aufgabengebiet des Bundesgeschäftsführers damals überschaubar blieb: Buchhaltung und alle mit dem Haushalt anfallende Arbeiten, Abrechnungen von Reisekosten und öffentlich ­geförderten Maßnahmen sowie des Heimattages, Organisation der Bundesvorstandssitzungen, Gehaltsberechnungen für die Mitarbeiter. Den Briefverkehr, Ferngespräche usw. erledigte damals der Stellvertretende Bundesvorsitzende Dr. Günter von Hochmeister für den Bundesvorstand. Das Aufgabengebiet erweiterte sich merklich, als ich eine Buchhaltungskraft zur Seite gestellt bekommen habe und so Luft neben dem Verwalten auch für das Gestalten erhielt. Das war dann mein Beitrag zum Gelingen der noch anzuführenden Herausforderungen und Projekte.

Großartige Erfolge dank funktionierender Gemeinschaft

Fast 30 Jahre, warst du in maßgeblicher Funktion für unseren Verband tätig und hast dich dabei in hohem Maße mit deiner Arbeit identifiziert. Du hast durch deinen Einsatz dazu beitragen, dass der Verband für unsere siebenbürgisch-sächsische Gemeinschaft weiterhin wichtig geblieben ist. Worin besteht diese Bedeutung vor allem?

30 Jahre habe ich angestrebt, es wurden nur 29. Und wenn ich dazu beigetragen habe, dass der Verband für unsere Gemeinschaft wichtig bleibt, freut es mich. Dabei sind zwei Hauptaspekte zu beachten, die im Übrigen auch die Satzung des Verbandes festhält: Indem der Verband mit allen seinen Gliederungen den Rahmen schafft, in dem man siebenbürgisch-sächsisch unterwegs sein kann, fördert er den Fortbestand und die Weiterentwicklung unseres Selbstverständnisses, unserer Bräuche, Traditionen und Werte. Das (Er)Leben dieser Traditionen und Werte gibt dem Einzelnen Halt und trägt zum eigenen Selbstverständnis bei, zugleich wirkt dieses Handeln hinaus in die Öffentlichkeit. Wir werden wahrgenommen und das ist der erste Schritt zur Durchsetzung berechtigter Anliegen der Gemeinschaft, für die der Verband ebenfalls unerlässlich ist. Ohne Lobby nämlich ist in diesem Land nur schwer etwas zu ändern, zu erreichen.

Und da haben wir ein Problem: Der Verband spricht für alle Landsleute in der Bundesrepublik, es sind bis 250.000, unterstützt wird er aber bloß von bis zu 50.000 Mitgliedern, wenn man die Zahl der zahlenden Mitglieder von 19.000 Familien großzügig hochrechnet. Nun kann es ja sein, dass 200.000 Siebenbürger Sachsen mit der Ist-Situation in Deutschland zufrieden sind, entsprechend keinen Einsatz für sich benötigen, und auch an siebenbürgisch-sächsischem Kulturgut nicht interessiert sind. Es könnte aber auch sein, dass ein Großteil dieses Personenkreises seinen eigenen Einsatz möglichst gering halten, die eventuellen Früchte der anderen dafür umso lieber miternten möchte. Ja, und ein ganz großer Teil unserer Landsleute macht sich um all dieses wohl „keinen Kopf“. Diesen Teil werden wir nicht erreichen, Hoffnung besteht aber bei den Landsleuten, die sich bloß „überwinden“ müssen. Ein recht aktuelles Beispiel dafür, dass nur eine funktionierende Gemeinschaft etwas erreichen kann, ist das großartige Beispiel von Schloss Horneck, das auf Initiative des Verbandes als Sitz der zentralen siebenbürgischen Kultureinrichtungen in Deutschland gerettet werden konnte.

Deinem Verständnis nach sollte die Geschäftsstelle die „Verbindungsstelle zwischen Basis und Bundesvorstand“ und „Dienstleister für die Mitglieder des Verbandes sowie die an Siebenbürgen Interessierten“ sein. Wie hat sich das konkret ausgewirkt?

Durch die ganztägige Beschäftigung mit dem Thema Siebenbürgen entwickelte sich in der Geschäftsstelle so etwas wie eine „Profiwerkstatt“. Denn wegen der häufigen und ganz unterschiedlichen Anfragen aus den Kreisen der Mitglieder, aber auch Behörden, Firmen, Medien und vieler Nichtsiebenbürger, war man gezwungen, sich mit einer Vielfalt an Themen auseinanderzusetzen. Denn die Maxime lautete: Jedem Anfragenden muss geholfen oder zumindest das Gefühl vermittelt werden, dass alles in unserer Macht Stehende unternommen wurde, sein Anliegen einer Lösung zuzuführen. Selbstverständlich konnten wir nicht die gesamte Palette abdecken, aber es half sehr zu wissen, an welchen Wissenden man verweisen konnte. Als Beispiel führe ich die Anfragen zur Rente an. Über die geltende Gesetzeslage konnten wir mündlich oder auch schriftlich informieren, ging es dann aber ins Detail, verwiesen wir auf das Bundesrechtsreferat des Verbandes oder die Siebenbürgische Zeitung, in der Anwälte entsprechende Dienste mittels Anzeigen anboten.

Ein anderes Beispiel: Nachdem unser Verband seine Internetseite www.siebenbuerger.de gestartet hatte, erreichten uns viele Anfragen von bundesdeutschen Firmen, die in Siebenbürgen investieren wollten bzw. Teilelieferanten für ihre Produktion suchten. Für den Raum Kronstadt empfahlen wir, die Saxonia-Stiftung zu kontaktieren, für Hermannstadt Frau Soundso bei der Stadtverwaltung, Telefonnummer, E-Mail-Adresse usw. (Natürlich so vereinbart mit dem damaligen Geschäftsführer der Saxonia-Stiftung Karl Arthur Ehrmann und dem damaligen Bürgermeister Klaus Johannis). Besonders froh reagierten die Firmenvertreter, wenn sie von uns erfuhren, dass sie diese Stellen in deutscher Sprache kontaktieren konnten. Was leider nur selten geschah, uns aber umso mehr freute, wenn es dazu kam, waren Anfragen von Redaktionen, die Filmbeiträge über Siebenbürgen bzw. Rumänien vorbereiteten und uns z.B. den vorläufigen Text zukommen ließen. Auf diese Weise konnten so manche Schnitzer vermieden werden.

Der Informationsfluss innerhalb des Verbandes funktionierte so, dass wir anhand der Anfragen wussten, welche Probleme unsere Landsleute beschäftigen, und dann nach Bedarf den Bundesvorsitzenden, die zuständigen Referenten im Verband, die Landesvorsitzenden oder den gesamten Bundesvorstand – unter Wahrung notwendiger Diskretion – darauf aufmerksam machten. Und umgekehrt konnten wir Mitglieder z.B. wissen lassen, dass ihr Problem im Verband bekannt ist und die zuständigen Gremien sich damit befassen werden. Im Idealfall hatte der Verband das Thema schon bearbeitet und man konnte seine entsprechende Empfehlung weitergeben.

Viele Projekte hat der Verband in deiner Dienstzeit in Angriff genommen. Welches waren die aus deiner Sicht wichtigsten? Welcher – vielleicht auch persönliche – Erfolg hat dich besonders mit Zufriedenheit erfüllt?

Ich versuche das Geschehen jeweils den Amtszeiten der jeweiligen Bundesvorsitzenden zuzuordnen, auch wenn bedacht werden sollte, dass es sich in der Regel um ein Teamwork der Verantwortlichen handelte. Auch kann kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden. In die Zeit des Bundesvorsitzenden Dankwart Reissenberger (1989-1992) fällt die 850-Jahr-Feier in der Frankfurter Paulskirche, die Versöhnung Landsmannschaft – Hilfskomitee – Heimatkirche und die Anbahnung der Gespräche mit dem Siebenbürgenforum. Dieses tritt dann 1993 in der Amtszeit von Dipl.-Ing. Volker Dürr (1992-2007) der weltweiten Föderation der Siebenbürger Sachsen bei.

Die Landsmannschaft erreicht, dass die Vereinsamung im Herkunftsgebiet zumindest für eine gewisse Zeit als Benachteiligungselement anerkannt wird und somit trotz neuer Gesetzgebung doch noch Landsleute ausreisen und als Spätaussiedler anerkannt werden können. Weitere Erfolge waren: die Rettung der Einheit der siebenbürgischen Kultureinrichtungen in Gundelsheim, nachdem seitens des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien beabsichtigt war, das Siebenbürgische Museum ins Donauschwäbische Museum in Ulm zu integrieren; die Errichtung des Altenheimes Dr. Carl Wolff in Hermannstadt im Rahmen der Bleibehilfe für unsere Landsleute in Siebenbürgen; die Gründung der Interessengemeinschaft gegen Fremdrentenkürzungen und eines Anwaltspools zur Bekämpfung der 1996 erfolgten Gesetzesänderung; die Gründung des Verbandes der Siebenbürgisch-Sächsischen Heimatortsgemeinschaften e.V.; der Start des Portals www.siebenbuerger.de unseres Verbandes mit Unterstützung eines äußerst engagierten Webmasterteams; der Erwerb der Räume für unsere Geschäftsstelle in der Münchner Karlstraße; der Einsatz der Landsmannschaft für die Rückgabe des ehemals konfiszierten gemeinschaftlichen Eigentums an Forum und Kirche.

Die Amtszeiten von Dr. Bernd Fabritius (2007-2018) und Herta Daniel (2015-2019) möchte ich zusammenfassend behandeln. Es waren Jahre, die „politischer“ wurden, vor allem, nach dem Beitritt Rumäniens zur EU. Es galt Rentenansprüche im Herkunftsgebiet zu klären; Entschädigungszahlungen für z.B. ehemals in die Sowjetunion deportierte Landsleute zu erstreiten und an diese auszuzahlen, auch wenn sie inzwischen im Ausland lebten; der verstärkte Einsatz des Verbandes auch für die Rückgabe bzw. Entschädigung privaten Eigentums unserer Landsleute; weiterhin der Einsatz für die Rücknahme oder zumindest Abmilderung der 1996 beschlossenen Rentenkürzungen bei den Fremdrenten; die Gründung eines Trägervereins und einer Spendenaktion, die den Kauf des Schlosses Horneck in Gundelsheim ermöglichte; dass der Umbau des Schlosses zur Siebenbürgischen Kultur- und Begegnungsstätte von der Bundesregierung über die BKM gefördert wurde.

Die weiter oben angeführten „Projekte“ waren und sind zum Teil noch sehr wichtig für den Verband bzw. die siebenbürgisch-sächsische Gemeinschaft, egal wo die einzelnen Landsleute heute leben. Für mich persönlich waren der Erwerb der Geschäftsstelle und vor allem die Rückzahlung der Schulden innerhalb von zehn Jahren sehr wichtig. Der gelungene Kauf des Schlosses Horneck aus der Insolvenz hat mich ebenfalls sehr befriedigt; ich bin eines der sehr wenigen persönlichen Gründungsmitglieder im Verein Siebenbürgisches Kulturzentrum „Schloss Horneck“ e.V. Am meisten berührt hat mich jedoch der 2013 gefasste einstimmige Beschluss des rumänischen Parlaments, auch den im Ausland lebenden politischen Opfern des Kommunismus, z.B. den Deportierten, eine Entschädigungsrente zukommen zu lassen – das vielleicht auch, weil ich zusammen mit Dr. Fabritius diesen Moment vor Ort erleben durfte.

Humor hilft

Nicht alle Initiativen konnten zu Ende geführt werden. Gibt es für dich schmerzhafte oder ärgerliche „Baustellen“?

Die gibt es leider. Die eine betrifft Rumäniens äußert schleppende Bearbeitung der Restitutionsanträge, die seit über 15 Jahren eingereicht wurden. Das andere Problem ist von deutschen Stellen zu lösen: Seit vielen Jahren muss der Verband die Kosten für das wichtige Kulturreferat aus eigenen Mitteln finanzieren.

Worin siehst du dauerhaft die größten Herausforderungen? Angemerkt sei nur, dass unser Verband entsprechend einer allgemeinen Tendenz rückläufige Mitgliederzahlen verzeichnet. Du hattest zuletzt noch auf eine moderate Erhöhung der Mitgliedsbeiträge hingewirkt, um zu gewährleisten, dass wir die umfangreichen Verbandsaufgaben weiterhin erfüllen können.

Ewig wird der Verband bei schwindenden Mitgliederzahlen und anderen negativen Entwicklungen nicht mehr das Gleiche leisten können wie bisher. Denn 350 (Familien)Mitglieder pro Jahr weniger bedeuten für den Bundesverband etwa 10.000 Euro weniger Beitragsanteile pro Jahr. Im nächsten Jahr sind es bereits über 20.000 weniger, im dritten … Man muss sich also fragen: Kann die Siebenbürgische Zeitung auch künftig im Umfang von mehr als 500 Seiten pro Jahr erscheinen? Können bei Ausdünnung des Personals Anfragen unserer Mitglieder zu Projekten des Verbandes, zu Veranstaltungen, den Entwicklungen im (Fremd)Rentenrecht, der Beschaffung von Personenstandsurkunden, die Situation der Entschädigungszahlungen usw. weiterhin qualifiziert beantwortet werden? Können weiterhin Kulturmaßnahmen, wie Veranstaltungen, Seminare, Ausstellungen, Workshops usw. durchgeführt werden, um so Brauchtum und Traditionen zu fördern? Man wird an dieser oder jener Stelle etwas einsparen können, aber „Sparen“ allein wird nicht ausreichen, um solche Defizite aufzufangen. Damit wir als Verband weiterhin dazu beitragen können, dass die siebenbürgisch-sächsische Kultur „eine Bereicherung“ in der bundesdeutschen Kulturlandschaft bleibt, ist eine großzügigere öffentliche Förderung notwendig, die uns planerische Sicherheit erlaubt. Zugleich sollte es gelingen, mehr Neumitglieder zu werben. Potenzielle Mitglieder sind persönlich wiederum am ehesten an der Basis zu erreichen. Die Kreisgruppen leisten da einen wichtigen Beitrag und sie sollten bitte auch künftig nicht nachlassen und zuversichtlich auf unsere Landsleute zugehen.

Du stehst in Kontakt mit Bundesgeschäftsführerin Ute Brenndörfer, deiner Nachfolgerin. Hast du ihr bei der Amtsübergabe ein wichtiges Anliegen mit auf den Weg gegeben?

Eine richtige Amtsübergabe hat ja meine Erkrankung nicht möglich gemacht, aber angesichts des breiten Anforderungsgebietes, mit dem sich Frau Brenndörfer konfrontiert sah, habe ich sie dahingehend beruhigt, als es in der Geschäftsstelle KollegInnen und im Bundesvorstand Mitglieder gibt, die bestens eingearbeitet sind und weiterhelfen können. Gewünscht habe ich zudem, dass die positive Grundstimmung im Team, die Freude an der Arbeit für unsere Mitglieder, erhalten bleibt.

Wer dich kennt, weiß, dass du mit Humor gesegnet und um einen launigen Kommentar nicht verlegen bist. Wenn du so zurückdenkst, gab es besonders erheiternde Erlebnisse?

In Stichworten: Kreisgruppe x organisiert einen siebenbürgischen Gottesdienst. Zulauf von nah und fern, auch mit dem Auto, viele parken im eingeschränkten Halteverbot (wie auch sonst immer), diesmal aber Polizeikontrolle, jede Menge Knöllchen, Betroffene melden sich telefonisch in der Geschäftsstelle und fordern, der Verband möge die Zahlungen für das Falschparken übernehmen, schließlich handelte es sich ja beim Gottesdienst um eine landsmannschaftliche Veranstaltung ... Da bleibt einem die Spucke weg und wir ordnen die Sache zu „Humor ist, wenn man trotzdem lacht“ ein.

Wirst du beim 70. Heimattag der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl dabei sein?

So alles gut läuft, ja. Gerne würde ich den Trachtenzug einmal sitzend verfolgen.


Am 12. April feierst du deinen 65. Geburtstag. Was wünschst du dir am meisten, was zweitens und drittens?

Wir machen das anders: Dem Verband wünsche ich weiterhin viel Erfolg in einem stabilen finanziellen Rahmen; der Bundesrepublik wünsche ich, dass die braune Blase platzt, in der viel zu viele ihr Heil meinen gefunden zu haben; für mich bleibt dann „Nor de Geseangd!“

Vielen Dank für deine Zeit und: Nor de Geseangd!

Schlagwörter: Interview, Graeff, Bundesgeschäftsführer, Geschäftsstelle, München, Bundeskulturreferent, Bundesvorstand, Mitgliederverwaltung, Heimattag, Schloss Horneck

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