6. September 2021

Vielseitige Mundartdichterin: Nachruf auf Maria Gierlich-Gräf

Die bekannte Mundart- und Heimatdichterin Maria Gierlich-Gräf ist am 12. August im Alter von 90 Jahren in Erding verstorben. Die Großscheuernerin war vielseitig künstlerisch begabt und thematisierte in ihren Werken, was ihr am Herzen lag: das Leben der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft und deren Erhalt.
Maria Gierlich-Gräf in Großscheuerner Tracht, ...
Maria Gierlich-Gräf in Großscheuerner Tracht, 2010. Foto: Irmgard Lutsch
Maria Gierlich-Gräf wurde am 1. Dezember 1930 als Tochter einer Bauernfamilie in Großscheuern geboren. Der frühe Tod ihrer Mutter in ihrem sechsten Lebensjahr beendete ihr bis dahin unbeschwertes, glückliches und geborgenes Leben und hinterließ eine tiefe Narbe in ihrer Seele. Dieses traurige Ereignis sollte auch in vielen ihrer späteren Gedichte thematisiert werden. Sie wuchs als Halbwaise auf und musste schon in jungen Jahren im Haushalt und bei der Feldarbeit mithelfen.

So lernte sie schon früh die Natur und die heimatliche Umgebung kennen und lieben. Diese Verbundenheit zur Natur, die Liebe zur Heimat und die Wertschätzung bäuerlicher Arbeit sollten ihr weiteres Leben prägen und Gegenstand ihrer künftigen künstlerischen Tätigkeit werden.

Ab dem siebten Lebensjahr besuchte Maria die Volksschule in Großscheuern. Sehr gute Leistungen in all den Schuljahren waren Lohn der Arbeit der wissbegierigen, fleißigen und zielstrebigen Schülerin. Ihr Kindheitstraum, selbst mal als Lehrerin zu unterrichten, blieb leider wegen den finanziellen Verhältnissen der Familie unerfüllt, obwohl sie das Ausleseverfahren zum Besuch des Schäßburger Lehrerseminars glänzend bestanden hatte.

Sie musste nun ihren Lebensunterhalt und später auch zum Teil den ihrer Familie mit vielen einfachen Arbeiten bestreiten. Sie war Dienstmädchen und Tagelöhnerin in staatlichen landwirtschaftlichen Betrieben und in einer Gärtnerei, Näherin und Monogrammstickerin in Heltauer Textilbetrieben und nach ihrer Heirat Briefträgerin und Arbeiterin in der heimischen Ziegelfabrik.

1952 heiratete sie den Bauernsohn und Arbeiter Stefan Gierlich. Sie wurde Mutter von einem Sohn und zwei Töchtern, doch der frühe Tod ihres Mannes war ein weiterer Tiefschlag für die junge Mutter, die nun allein für die Familie sorgen musste. Trotz vieler Arbeit in Haus und Garten und der Erziehung der Kinder fand Maria Zeit, ihre Kenntnisse in Literatur und Musik zu vertiefen und eignete sich als Autodidaktin ein umfangreiches Wissen an. Das sollte ihre breitgefächerte künstlerische Tätigkeit beeinflussen und bereichern. Die vielseitig begabte Künstlerin schrieb Gedichte, Lieder, Erzählungen und Theaterstücke, bemalte, bedruckte und bestickte Trachtenbänder und betrieb Brandmalerei mit sächsischen Volkskunstmotiven. Sie hatte eine ausgeprägte Stimme, besang zwei Schallplatten mit sächsischen Liedern und eignete sich Kenntnisse auf dem Gebiet der Fotografie an, um mit Fotoapparat und später mit Kamera Ereignisse aus dem Leben der Dorfgemeinschaft, aber auch viele private Feste und Feiern festzuhalten.

Als Lokalkorrespondentin fast aller deutschsprachigen Zeitungen Rumäniens und durch ihre Auftritte in der deutschen Sendung des rumänischen Fernsehens war sie einem breiten Publikum bekannt. Sie war 1979 Mitbegründerin des Siebenbürgisch-sächsischen Literaturkreises in Hermannstadt und nahm von 1977 bis 1988 aktiv an allen sechs Mundartdichtertreffen in Siebenbürgen teil. In der Spielzeit 1982/83 wirkte sie am Unterhaltungsabend „Sonne unterm Regenschirm“, den das deutsche Staatstheater Hermannstadt in Zusammenarbeit mit der Großscheuerner Tanz- und Singgruppe einstudiert hatte, als Verfasserin von Texten, Ansagerin und Vortragende mit.

Maria Gierlich-Gräf wurde in eine unruhige Zeit wirtschaftlicher Instabilität und sozial-politischer Veränderungen hineingeboren. In einem Beitrag in der Siebenbürgischen Zeitung Online vom 9. Dezember 2010 anlässlich ihres achtzigsten Geburtstags schreibt Christian Lutsch treffend: „In ihren Beiträgen, Gedichten, Liedern und mundartlichen Theaterstücken bewahrt sie die Erinnerung an eine Welt, die im Strudel der Geschichte teilweise schon untergegangen ist.“

Die Dorfgemeinschaft mit ihrem intakten Nachbarschaftsleben, die Liebe zur Heimat, zu Brauchtum und Tradition, die Bewahrung der Festtracht und die Pflege der Mundart sind die bevorzugten Themen ihrer dichterischen Tätigkeit. 1982 erschien im Kriterion Verlag eine Sammlung ihrer Gedichte, Lieder, Erzählungen und ein Theaterstück mit dem Titel „Unter dem Kastanienbaum“. Ihre Erwartungen an die Tätigkeit der Lehrer äußert sie in einem Buchexemplar, das sie einem Lehrerehepaar verehrte, wie folgt: „Et messe sich nor fleißig Lihrer fängden, dä pflichtbewaßt zer Segt stohn asen Kängden, dro wit et jubelnd durch as Himet klängen, dro wit as Jugend spilen, dunzen, sängen.“

Die Übertragung der bekannten Geschichten über Max und Moritz von Wilhelm Busch in die siebenbürgisch-sächsische Mundart, die 1983 im Ion Creangă Verlag erschien, zeigt wie wichtig ihr die Benützung und Pflege der Mundart war.

Die bekannte Kunsthistorikerin Juliana Fabritius-Dancu, mit der Maria befreundet war, schrieb: „Sie sagt in Versen, was sie denkt und fühlt, was in der Gemeinde um sie herum geschieht, an deren Regeln sie regen Anteil nimmt.. Da sie das in freier Rede oft direkt sagte und Dinge, die ihr missfielen, ansprach, eckte sie bei einigen Mitbewohnern an. Ihre Lebensweise, die sich vor allem durch ihre künstlerische Tätigkeit so sehr von der anderer Mitbürger unterschied, wurde manchmal kritisch beäugt. Das Verhältnis zwischen Dorfgemeinschaft und der Verstorbenen, die sich zum Teil zu Recht nicht verstanden und entsprechend geachtet fühlte, war nicht immer spannungsfrei.

Ihre Kinder waren bereits alle nach Deutschland gekommen, sie beharrte bis zuletzt und hoffte bis 1992 noch auf eine weitere Zukunft der sächsischen Gemeinschaft in Großscheuern. Das geheime Abkommen von 1968 zwischen Deutschland und Ceaușescu war damals auch ihr nicht bekannt.

So ist es vielleicht zu erklären, dass sie nach ihrer Auswanderung 1992 weniger an den Aktivitäten der HOG Großscheuern als an denen der Kreisgruppe Erding, ihrem neuen Wohnort, teilnahm. Von dieser regen Tätigkeit zeugen die vielen Erwähnungen in der Siebenbürgischen Zeitung. Ihre stetige Verbundenheit mit unserer Heimatgemeinde zeigte sie auch dadurch, indem sie ihre im Laufe der Jahre, in Text und Bild verfassten Schriften über Tracht, Sitte und Brauchtum zur Verfügung stellte, die wir in zwei bedeutenden Kapiteln in unser 2015 herausgegebenes Heimatbuch dankbar übernehmen konnten.

Ihrem Wunsch entsprechend fand Maria Gierlich-Gräf ihre letzte Ruhe in der Heimaterde. Sie wurde am 21. August 2021 nach alter Sitte mit Blasmusik auf dem Großscheuerner Friedhof beerdigt. Als Zeichen der Dankbarkeit wurde seitens der HOG Großscheuern ein Kranz an ihr Grab gelegt. Wir, die HOG Großscheuern, verlieren mit Maria Gierlich-Gräf ein bedeutendes Mitglied unserer Gemeinschaft. Wir werden sie in dankbarer Erinnerung behalten und ihr ein ehrendes Andenken bewahren.

Michael Guist

Schlagwörter: Kultur, Mundartautoren, Sachsesch Wält, Großscheuern, Erding

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