30. September 2022

Als Gummersbach noch Handball zelebrierte

Der siebenfache deutsche Meister und viermalige Gewinner des Europapokals der Landesmeister Hansi Schmidt wurde 80 Jahre alt.
Hans Schmidt in Deutschland ein Kapitel Handball ...
Hans Schmidt in Deutschland ein Kapitel Handball-Geschichte geschrieben. Foto: Johann Steiner
Er gehört zu dem halben Dutzend Kleinfeld-Handballer des Banats, die absolutes Weltklasse-Format erreicht haben: Hansi Schmidt, geboren am 24. September 1942 in Marienfeld nahe der serbischen Grenze. Seinen 80. Geburtstag wollte die Gummersbacher Handball-Legende nicht feiern, sondern lediglich begehen, wie er sagte. Dabei war lediglich ein Teil der Familie, Sohn Christoph mit seinen beiden in Gummersbach lebenden Töchtern Rosa und Martha. Sohn Hans-Günther mit Frau und Enkel Karl übermittelten Grüße aus den USA Grüße per Bildschirm.

Der Handballer Hansi Schmidt gehört in eine Reihe mit den Weltmeistern Hans Moser, Michael Redl, Josef Jakob, Werner Stöckl und Alexander Fölker. Hätte sich der Modellathlet 1963 nicht für die Freiheit entschieden, wäre er ein paar Monate später, 1964, zusammen mit Moser, Redl und Jakob Weltmeister geworden. Infolge der Entscheidung, nicht mehr nach Rumänien zurückzukehren, ist er zwar nie zu Weltmeister-Ehren gekommen,

Schmidt, der als 21-Jähriger den Bukarester Armeesportklub verlässt, geht ab Herbst 1963 seinen eigenen Weg, der teilweise recht steinig ist. Der Banater Schwabe bleibt in Deutschland, der Sport erleichtert es ihm, Fuß zu fassen, er beißt sich durch. Aus dem Flüchtling wird ein Superstar, dem die Handball-Anhänger zu Füßen liegen.

Doch auch ohne WM-Titel hat der Mann eine Bilanz aufzuweisen, die ihresgleichen sucht: Er hat vier Siege im Europapokal der Landesmeister errungen mit dem VfL Gummersbach gegen Dukla Prag, Dynamo Berlin, Steaua Bukarest und MAI Moskau. Mit diesen Siegen und 338 Toren in 53 EC-Spielen ist Schmidt zum „Mister Europapokal“ avanciert. Er wird siebenmal deutscher Meister, bestreitet 18 Länderspiele für Rumänien und 98 für Deutschland. Er wirft 484 Tore für die deutsche Nationalmannschaft.

Dazu kommen die in Rumänien erzielten Erfolge: ein Juniorenmeistertitel, ein Vizemeistertitel mit Ştiinta Temeswar, ein Meister- und ein Vizemeistertitel mit Steaua Bukarest. Hoch wertet er heute noch den Gewinn des Europapokals der sozialistischen Armeen mit Steaua Bukarest gegen Dukla Prag.

Gipfeltreffen in Niederpleis bei Bonn (von ...
Gipfeltreffen in Niederpleis bei Bonn (von links): Hansi Schmidt, Hans Moser und Erhard Wunderlich. Foto: Johann Steiner
Mit dem Namen Schmidt ist der steile Aufstieg des VfL Gummersbach verbunden, ohne ihn wären die großen Erfolge des Klubs bis zu seinem Abgang 1976 nicht möglich gewesen. Hansi selbst sagt: „Zusammen mit meinem Trainer habe ich einen Teil der rumänischen Handballschule in Gummersbach eingebracht“. Mit seinen unnachahmlichen verzögerten Sprungwürfen wird das 1,96 Meter große Kraftpaket zum Schrecken aller Torsteher, nicht zuletzt, weil er beidhändig werfen kann. Mit dem VfL Gummersbach erreicht er zehnmal das Finale um die deutsche Meisterschaft und gewinnt sie siebenmal. In 173 Bundesligaspielen erzielt Hansi 1066 Tore für Gummersbach. Achtmal wird er Bundesliga-Torschützenkönig.

Als sich Hansi nach dem 12:11-Sieg über Grün-Weiß Dankersen im Endspiel um die deutsche Meisterschaft am 16. Mai 1976 als Titelträger aus dem Handballoberhaus verabschiedet, sagt der junge Jimmy Waltke: „Wenn du aufhörst, werden wir im nächsten Jahr Meister.“ Und tatsächlich: Der deutsche Meister 1977 heißt Dankersen.

Den darauffolgenden Titel eines deutschen Meisters wird der VfL erst 1982 gewinnen. Hansi hinterlässt eine Lücke, die nicht nahtlos geschlossen werden kann. Sein wahrer Nachfolger ist seiner Einschätzung nach Erhard Wunderlich. Diejenigen, die ihn beim VfL hinausdrängen wollen, aber in seinem Schatten von 1973 bis 1976 vier Meistertitel in Reihe gewonnen haben, können ihn nicht vollwertig ersetzen.

Doch zurück zu Hansis Laufbahn: Dreimal wird er in die Weltauswahl berufen, zweimal spielt er mit. Eine Einladung nach Belgrad schlägt der Flüchtling aus Sicherheitsgründen aus. Sein ehemaliger Trainer Johnny Kunst, der zum Trainer einer Weltauswahl berufen wird, versucht vergebens, Hansi auszuladen. Ausgerechnet im Heimspiel in der Westfalenhalle in Dortmund soll der Gummersbacher nicht auflaufen. Kunsts Rache: Er setzt Hansi kaum ein.

Als Hansi 1976 in Gummersbach aufhört, ist er 33 Jahre alt, aber noch immer in Hochform. Er ist der der „König von Gummersbach“ und „König der Dortmunder Westfalenhalle“. Hansi hat in Gummersbach nicht nur den Sport umgekrempelt, sondern auch dem Handball eine neue, hier unbekannte Note gegeben. Hansi und Gummersbach sind im Gleichschritt in aller Welt bekannt geworden. Hansi und der Gummersbach sind in 13 Jahren zu Visitenkarten Gummersbachs geworden. Als er 1976 als deutscher Meister das blau-weiße Trikot mit der Nummer 9 beim VfL abgibt, räumt er beim besten Handballverein der Welt die Königsposition, die von keinem vor und nach ihm so interpretiert worden ist wie in den 13 Jahren nach 1963. Hansi war in dieser Schlüsselposition Spielgestalter und Torschütze gleichermaßen. Mit seinem Abgang endet beim VfL eine Ära, die Hansi unverwechselbar geprägt hat – mit weit besseren Ergebnissen als in der Nationalmannschaft. Die Zeiten, in denen der VfL Gummersbach noch Handball zelebrierte, sind längst vorbei. Heute herrscht dort in der Handball-Halle grauer Alltag.

Für seine Verdienste um den deutschen Handball ist Hans-Günther Schmidt mit dem Silbernen Lorbeerblatt, der höchsten Sportauszeichnung der Bundesrepublik Deutschland, geehrt worden. Ferner hat ihm der nordrhein-westfälische Ministerpräsident die NRW-Sportplakette verliehen und überreicht. Weitere Ehrungen: die Kleine Goldene Stadtmedaille Gummersbachs 2006; anlässlich seines 75. Geburtstags ernennt der Gemeinderat seines Geburtsortes ihn zum Marienfelder Ehrenbürger.

Im nächsten Jahr wird Hansi seit 60 Jahren in Deutschland zu Hause sein. 21 war er, als er nach Gummersbach gekommen ist, inzwischen ist er 80 Jahre alt geworden. Doch an einige Dinge hat er sich noch immer nicht gewöhnt. „Wenn du einem hierzulande in der Tür begegnest, der geht nicht aus dem Weg, der würde dich glatt umrennen, wir haben da etwas ganz anderes gelernt, bisschen Rücksicht und Höflichkeit“, sagt er. Hansi wünscht sich, dass der Deutsche ein wenig mehr nationales Selbstbewusstsein hätte und weniger den Kosmopoliten herauskehrte.

Johann Steiner

Schlagwörter: Sport, Handball, Banat, Gummersbach

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Neueste Kommentare

  • 04.10.2022, 09:24 Uhr von sibisax: Hallo Hr.Bruss,herzlichen Dank für Ihre Antwort,werde mich weiter bemühen. [weiter]
  • 02.10.2022, 13:40 Uhr von sibisax: Hallo Herr Steiner,vieleicht haben Sie Infos von ehemaligen Handballern von Vointa und Independenta ... [weiter]
  • 30.09.2022, 20:18 Uhr von sibisax: Herzlichen Glückwunsch Hansi Schmidt! Es wäre interessant gewesen,zu jener Zeit eine Mannschaft ... [weiter]

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