Die Dobrudschadeutschen: Ihre unterschiedliche Wahrnehmung in Siebenbürgen und dem Banat
Die Deutschen aus den Baltischen Ländern, aus Bessarabien, der Süd-Bukowina und der Dobrudscha verloren bereits 1940 durch Umsiedlung ihre Heimat.
Die Vorfahren der Dobrudschadeutschen zogen ab 1840 nach dem Verlust ihrer durch die Zaren auf hundert Jahre zugesicherten Privilegien, hauptsächlich aus Bessarabien, in drei Wellen in die Dobrudscha, wo sie als Untertanen des Sultans weitgehend autonom leben konnten. Im Laufe der hundertjährigen Siedlungsgeschichte entstanden in der Dobrudscha etwa 40 Siedlungen mit überwiegend deutschem Bevölkerungsanteil. Für so manche neu entstandene Siedlung musste das Gebiet zuerst noch gerodet werden, ehe der Siedlerpflug die freigewordene Krumme zum ersten Mal überhaupt umlegen konnte.
Die Dobrudschadeutschen sind die einzigen Siedler, die nicht direkt aus dem deutschsprachigen Raum einwanderten und die einzige deutsche Volksgruppe, die osmanische Untertanen waren. Die Siebenbürger Sachsen standen zwar rund 150 Jahre unter osmanischer Oberhoheit, waren aber keine direkten Untertanen des Sultans.
Die Dobrudscha (rum. Dobrogea), das Gebiet zwischen dem Unterlauf der Donau und dem Schwarzen Meer, blickt auf eine reiche und bewegte Geschichte zurück. Hier siedelten bereits Griechen, Römer, Slawen. Ab 1416 gehörte die Dobrudscha zum Osmanischen Reich, bis das Gebiet beim Berliner Kongress 1878 Rumänien zugesprochen wurde. Als nunmehr rumänische Staatsbürger verloren die Dobrudschadeutschen erneut ihre Autonomie.
Mit der Entstehung Großrumäniens nach dem Ersten Weltkrieg waren zum ersten Mal mehrere deutsche Volksgruppen auf dem Gebiet Rumäniens vereint. Von den Dobrudschadeutschen, die bis dahin quasi im Ausland lebten, wusste man im Banat kaum Bescheid. Nach ihrer Umsiedlung, Rücksiedlung und der Ansiedlung im Banat Ende der 1940er Jahre auch nicht.
Einschiffung der Dobrudschadeutschen im Herbst 1940, Quelle: Institut für Volkskunde der Deutschen des östlichen Europa, Freiburg, Signatur Ak00120A, in „Die deutsche Minderheiten Rumäniens“, Honterus Verlag 2014
Adolf Meschendörfer jedoch trug 1935 mit seinem Roman „Der Büffelbrunnen“ zu einer gewissen Bekanntheit der Dobrudscha in Siebenbürgen bei, er pries die Schwarzmeerküste sogar als einen touristischen und wirtschaftlichen Expansionsraum an. In Büffelbrunnen, türkisch Mangea Punar, dem heutigen Costinești, spielt ein Teil der Romanhandlung, einem Schwabendorf mitten im Orient, „das nur aus einer Straße bestand – breit wie die Siegesstraße einer Millionenstadt. Alle Häuser waren gleich gebaut, schön weiß und blau getüncht, mit einem Vorgärtchen geziert, in dem verwilderte Rosenbüsche und weiße Lilien dufteten und mit einer gastfreundlichen Steinbank vor dem Tor. Hundert deutsche Lehmhäuser am Schwarzen Meer inmitten von Tataren, Türken, Bulgaren, Rumänen, Lipowanern, Tscherkessen. Am Eingang dieser breiten Dorfallee stand in einem Steinhaufen aufgerichtet ein riesiges schwarzes Kreuz und in der Mitte der Straße betonte noch einmal ein aus Lehmklößen gebackenes Kirchlein das christliche Europa. Sie kamen aus allen Himmelsrichtungen zusammen, Schwaben und Rheinländer, Sachsen und Bayern, aber immer siegte der Schwäbische Laut und in ganz Osteuropa hießen sie Schwaben.“ (Adolf Meschendörfer „Der Büffelbrunnen“)
Doch die isolierten, weit voneinander entfernten deutschen Siedlungen galten als unhaltbare Splitter des Deutschtums. Meschendörfer nahm in seinem Roman das spätere Geschehen, die Umsiedlung der Dobrudschadeutschen 1940 „Heim ins Reich“, vorweg. Erstaunlich, dass „Der Büffelbrunnen“, trotz des deutsch-völkischen Gedankenguts und der früheren ideologischen Funktionalisierung, in den 70er Jahren im Neuen Weg als Fortsetzungsroman erscheinen durfte.
Die Zwangsumsiedlung dieser deutschen Volksgruppe im November 1940, die „Heim ins Reich“-Aktion, erfolgte aufgrund des am 22. Oktober 1940 abgeschlossenen Staatsvertrags zur Umsiedlung zwischen dem Deutschen Reich und dem Königreich Rumänien.
Am 27. November 1940 war die Umsiedlung aus der Norddobrudscha abgeschlossen. 13979 Personen waren über den Leithafen Cernavodă donauaufwärts abtransportiert worden und der Vorhang über 100 Jahre deutschen Lebens in der Dobrudscha war für immer gefallen.
Nach einem zwischenzeitlichen Lageraufenthalt und der Einbürgerung wurden die Umsiedler auf die besetzten Ostgebiete verteilt.
Nachdem Mitte Januar 1945 die Deutschen in den Ostgebieten und somit auch die Dobrudscha-Umsiedler den Evakuierungsbefehl erhalten hatten, setzte sich ein gewaltiger Treck Richtung Westen in Bewegung. Die Dobrudschadeutschen wurden ein weiteres Mal als Opfer einer erzwungenen Migration zu Flüchtlingen und Vertriebenen.
Viele Bessarabiendeutsche, Dobrudscha- und Bulgariendeutsche fanden nach 1945 in Baden-Württemberg, besonders im Landkreis Heilbronn letztlich eine neue und bleibende Heimat. 1954 übernahm die Stadt Heilbronn die Patenschaft für die Dobrudschadeutschen.
Ein kleinerer Teil wurde nach dem Kriegsende von den Sowjets aus den Ostgebieten, besonders aus Böhmen und Mähren, zurück nach Rumänien geleitet, wo sie unter großen Anstrengungen wieder zurück in ihre Heimat Dobrudscha zogen, dort aber als Rechtlose nicht mehr in ihre inzwischen von den Aromunen besetzten Häuser konnten und sich enttäuscht wieder auf den Weg zurück Richtung Westen machten.
Die einst evangelische Kirche in Cogealac wurde zu einem orthodoxen Gotteshaus und ist so vor dem Verfall gerettet worden.
Artur Stubert schreibt: „Wir versuchten bei Cenad im Banat die Grenze zu überqueren, für zurück nach Deutschland. Aber wir wurden gefangen. Wir mussten nach Oradea ins Lager. Wir wurden entlassen und man hat uns dann ins Banat geschickt nach Triebswetter, Hatzfeld, Bakowa und Grabatz.“
In der Banater Gemeinde Grabatz fanden nach einer dramatischen Odyssee die drei Dobrudschadeutschen Familien Stubert, Schulz und Schon sowie die Bukowinadeutsche Familie Linzmayer eine neue Heimat.
Die Stubert-Söhne Berthold, Arthur und Johannes sind über ihre Großmutter väterlicherseits Karolina J. Lade (geboren am 23.11.1863 in Lichtenthal/Bessarabien, gestorben am 31.07.1938 in Cogealac/Dobrudscha) Cousins vierten Grades in fünfter Generation mit dem Dichter Friedrich Schiller (10. November 1759 – 9. Mai 1805).
Der Stubert-Stammbaum ist einsehbar in der Paul Wolfgang-Merkelschen Familienstiftung. Allein diese Nachricht ist für die Grabatzer eine kleine Sensation, doch der Stammbaum verdeutlicht auch anhand der eingetragenen Geburts- und Sterbeorte von Württemberg über Bessarabien, der Dobrudscha, dem Banat und Bayern die wechselvolle Geschichte der Dobrudschadeutschen.
Der ebenfalls aus Cogealak stammende Erhard Schulz schreibt: „Noch kurz vor Kriegsende wurde ich zur Ausbildung in den Volkssturm eingezogen und kam nach Kriegsende mit nicht einmal 16 Jahren nach Budweis in ein sowjetisches Gefangenenlager. Meine Mutter und meine Schwester kamen mit einem Flüchtlingstreck in den Westen. Ab hier war ich von meiner Familie getrennt, denn nach meiner Entlassung wurde ich von den Russen in ein Gefangenenlager nach Großwardein/Oradea abgeschoben, wo ich auf dem Flughafen Zwangsarbeit leisten musste.
Nach der Entlassung im Dezember 1945 musste ich wieder zurück in mein verlassenes Heimatdorf Cogealac. Erst zwei Jahre später erfuhr ich, dass meine Familie in Besigheim wohnhaft ist. Demzufolge entschloss ich mich, im Dezember 1947 nach Deutschland zu flüchten. Ich wurde aber gefangen genommen und wurde in Temeswar verurteilt und kam ins Gefängnis, wieder nach Großwardein. Nach einem Jahr wurde ich im Dezember 1948 aus dem Gefängnis entlassen und nach Grabatz gebracht. Zusammen mit meiner Familie konnte ich am 28. Juli 1980 in die Bundesrepublik Deutschland ausreisen.“
Die junge Familie Schon wurde im November 1940 mit zwei Kindern im Alter von neun und fünf Jahren umgesiedelt. In Karlstadt wird ihnen an Heilig Abend 1941 noch ein Sohn geschenkt, die 1944 im Warthegau geborene Tochter wird ihren in den letzten Kriegswochen gefallenen Vater nie mehr kennenlernen.
Von den einst umgesiedelten Dobrudschadeutschen leben nur noch wenige hochbetagte Zeitzeugen. Umso wichtiger ist es, mit persönlichen Dokumenten und festgehaltenen Erinnerungen aus jener Zeit an die Öffentlichkeit zu gehen und an das erlittene Leid zu erinnern. Die Landsmannschaft der Dobrudscha- und Bulgariendeutschen hat sich 2009 aufgrund der Altersstruktur und des Mitgliederschwunds aufgelöst bzw. ist im Bessarabiendeutschen Verein e.V. aufgegangen.
Die materiellen Zeugnisse und Spuren der Dobrudschadeutschen haben sich seit der von den NS-Behörden forcierten Umsiedlung aus ihrer alten Heimat sehr verändert oder wurden – besonders im Kommunismus – dem Verfall preisgegeben. Verlassene Häuser und Kirchen wurden zu Ruinen oder in glücklichen Fällen zu orthodoxen Gotteshäusern.
In der Dobrudscha wurde nach 1989 die „Vereinigung der Deutschen in der Dobrudscha“ gegründet, der Verein hat im früheren Gebäude der Evangelischen Schule Konstanza seine Begegnungsstätte. Rumänien befindet sich zurzeit im Aufschwung und ist auch als Urlaubsland wieder im Kommen, auch die Schwarzmeerküste. Ein Urlaub, verbunden mit deutscher Spurensuche, in der Dobrudscha wäre mit Sicherheit etwas Besonderes.
Mit dem Verlust der Heimat verliert man auch einen Teil seiner selbst.
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