13. Mai 2023

„Der Raum hat mich geprägt“: Interview mit Franz Hodjak in Usingen

1944 in Hermannstadt geboren, hat Franz Hodjak eine kosmopolitische Abstammung: Sein Großvater väterlicherseits war Slowake aus Preßburg (Bratislava), die Großmutter Banater Schwäbin. Der Vater ist in der Provinz Wojwodina im heutigen Serbien geboren. Die Mutter hingegen war Siebenbürger Sächsin, ihre Eltern stammten aus Siebenbürgen und aus Wien. So kommt es, dass Franz Hodjak katholisch getauft wurde. Sein Debütband „Brachland“ erschien 1970 im Dacia Verlag, wo er 20 Jahre als Lektor arbeitete. Im Ostberliner Aufbau Verlag erschien Ende der 1980er Jahre bereits der Gedichtband „Sehnsucht nach Feigenschnaps“ mit einem Nachwort von Wulf Kirsten. 1992 reiste er nach Deutschland aus, wo er seitdem in der Frankfurter Gegend lebt. Der Lyrikband „Siebenbürgische Sprechübung“ war 1990 sein erster im Suhrkamp Verlag, wo er über ein Jahrzehnt mehrere Romane, Geschichten und Lyrik herausbrachte. Im Juni soll bei Danube Books „Im Ballsaal des Universums“ erscheinen und im Pop Verlag erscheint „Dann folgte eine Odyssee“, zwei Lyrikbände. Franz Hodjak wurde vielfach geehrt, u. a. mit mehreren Stadtschreiber-Stipendien, dem Nikolaus-Lenau-Preis, dem Preis des Landes Kärnten beim Ingeborg Bachmann Preis und dem Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturpreis. Das folgende Gespräch führte Edith Ottschofski.
Franz Hodjak, 2017. Foto: Daniel Schütte ...
Franz Hodjak, 2017. Foto: Daniel Schütte
Du hast ca. 30 Bücher geschrieben, Prosa und vor allem Gedichte. Wie kamst du zur Literatur?
Es gab zwei Wege, die mich zur Literatur geführt haben. Einer waren die Märchen. Ich konnte noch nicht gut lesen, ging aber mit einem Klassenkollegen jeden Sonntagvormittag in eine Märchenstunde. Die Märchentante verdiente ein Zubrot mit dem Erzählen von Märchen. Das konnte sie fabelhaft. Es war so faszinierend, dass wir uns bemühten, keine Folge zu verpassen.
Der andere Weg war die katholische Kirche, sonderbarerweise. Wir hatten einen sehr guten Pfarrer, der im Religionsunterricht verschiedene Episoden aus der Bibel erzählte. Dabei hatte er große bunte Tafeln, welche das Erzählte bildlich untermauerten. Die zeigte er der Reihe nach, es ähnelte stark der Folge von Bildern im Kino. Auch er war ein großer Erzähler.

Bist du nicht protestantisch?
Nein, ich wurde katholisch getauft. Natürlich habe ich den Geschichten aus der Bibel nicht geglaubt, für mich waren es streckenweise wunderbare Märchen, an die ich ja auch nicht glaubte. Jedenfalls ist die Bibel das Buch der Bücher, voller Weisheiten und schöner Wunder. Allerdings hat die Bibel mich auch entsetzt. Kein Buch ist so voller Hass, voller Morde, voller Verrat, voller Rache.
Dann folgten Abenteuerbücher. Später Beschreibungen von Expeditionen, die mein Fernweh weckten. Im Gymnasium hatte ich einen sehr schlechten Deutschlehrer, der das Auswendiglernen von Gedichten und der wortwörtlichen Wiedergabe seiner geistlosen Kommentare benotete.
Ein großes Glück war, dass ich dann in Klausenburg an der Uni außerordentlich kompetenten Germanisten begegnete wie Michael Markel oder Brigitte Tontsch. Da habe ich gelernt, weshalb ein Text Literatur ist und weshalb nicht. Es waren Sternstunden der Interpretationskunst. Zum Beispiel haben wir vier Semester „Faust“ interpretiert, Zeile für Zeile durchgenommen. Oder Lyrik des Expressionismus und Kurzprosa nach 45 interpretiert. Damals habe ich gelernt, was Literatur im eigentlichen Sinne ist, das Wesen und die Substanz literarischen Sprechens.

Du bist eigentlich kosmopolitischer Abstammung, aus vieler Herren Länder, trotzdem fühlst du dich als siebenbürgischer Autor?
Ja, der Raum hat mich geprägt, die Realität dieses Raumes hat mich geprägt. Ich habe nie Probleme erfunden, nur um auf Probleme hinzuweisen. Eine andere Realität kannte ich ja nicht. Und das nicht, weil mich andere Realitäten nicht interessiert hätten, sondern weil ich keine andere erfahren durfte. Ich habe 16 Absagen auf Reiseanträge erhalten.

Du sagst, du bist ein siebenbürgischer Autor. Warum braucht es eine siebenbürgische Sprechübung?
Der Band hieß „Mitternachtsalandala“. Die Edition damals hatte Joachim Unseld betreut. Und er meinte, mit so einem Titel könne der deutsche Leser nichts anfangen. Ohne mein Wissen wurde der Band dann ­„Siebenbürgische Sprechübung“ betitelt.
Es ist der Titel eines Gedichtes. Er meinte, das ziehe. Und er sollte Recht behalten. Dieser Band ist immer noch das bestverkaufte Buch von mir.

Gibt es ein bestimmtes „siebenbürgisches Deutsch“, für das es eine Sprechübung braucht?
Ja, das siebenbürgische Deutsch in der Dichtung war zu meiner Zeit ein Deutsch, das an der Zensur vorbeisprechen musste. Das war kein leichter Lernprozess, das erforderte ein stetes Üben, mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Das hintergründig. Vordergründig war es der permanente Versuch, den Anschluss an das Bundesdeutsch nicht zu verlieren. Das siebenbürgische Deutsch war von Dialektismen geprägt, von Lehnsübersetzungen, von Alltagsbegriffen aus dem Rumänischen. Das siebenbürgische Deutsch war sozusagen ein ständiger Kampf mit dem siebenbürgischen Deutsch um die Rettung der deutschen Sprache in Siebenbürgen.

Bist du im deutschen, im bundesdeutschen Literaturbetrieb angekommen?
Ich sehe das so: Alles, was ich in Rumänien geschrieben habe, gehört zur rumäniendeutschen Literatur, und alles, was ich hier geschrieben habe, zur deutschen Literatur. Minderheiten geraten eben schnell in leicht schizophrene Situationen. Bis 1992 war ich rumäniendeutscher Autor, und nach meiner Ausreise wurde ich deutscher Schriftsteller.
Nun muss ich noch präzisieren, dass die rumäniendeutsche Literatur ja ebenfalls zur deutschen Literatur gehörte, allerdings von einem Sonderstatus geprägt. Sie entstand in einer rumänischen Realität und in einer deutschen Sprache, die allerdings von der täglichen, lebendigen Entwicklung der deutschen abgenabelt war und sich in einer eigenen Dynamik entwickelte.

Ein Kritiker meinte, dass du jetzt bei kleineren Verlagen veröffentlichst, wäre tragisch. Wie siehst du das?
Ich sehe das so, wie es ist. Meine literarische Heimat sind jetzt kleinere Verlage. Durch das Internet allerdings haben sie die gleichen Chancen, Werbung zu betreiben wie die größeren Verlage. Das war früher anders. Da wurde Werbung ausschließlich in gedruckten Programmen und Vorschauen gemacht, die sehr kostspielig waren und für kleinere Verlage finanziell nicht zu stemmen. Durch die elektronischen Medien ist, nennen wir das mal so, mehr Demokratie ins Verlagswesen eingetreten und der Konkurrenzkampf fairer geworden, Und es ist ja keinesfalls so, dass in den größeren Verlagen auch die besseren Lektoren sitzen.

Holger Dauer schreibt in einem Essay, „dass du kein sicher kein politischer Schriftsteller im engeren Sinn seist. Trotzdem bleibe die politische Dimension bei dir nicht ausgespart. Sie wirke eher atmosphärisch auf die Gedichte ein.“
Dem kann ich nur zustimmen. Ich bin zwar ein homo politicus, aber ich hasse alles Plakative in der Kunst. Mein Ding ist es nicht, mit der Axt auf die Sprache und die Probleme loszugehen. Natürlich spielt die Politik eine wichtige Rolle im Leben jedes Einzelnen, unabhängig davon, ob er es wahrnimmt oder nicht oder es gar nicht wahrnehmen möchte. Alles, aber wirklich alles, wird von der ­Tagespolitik bestimmt, mal direkter, mal indirekter, und das nicht nur in Krisensituationen. Und ich bin der Meinung, statt eines schlechten politischen Gedichts ist es besser, einen guten politischen Artikel zu schreiben.

Wie entsteht bei dir ein Gedicht?
Das ist schwer zu sagen. Sicher ist, dass ein ausbaufähiger Einfall den Grundstein bildet. Dieser Einfall wird zu einer Art Drehtüre, durch welche die Gedanken aus und ein gehen. Der Einfall als Angelpunkt kann dann am Anfang, in der Mitte oder am Ende des Textes stehen. Das ergibt sich allmählich bei der Strukturierung des Gedichts. Woher die Einfälle kommen, weiß ich nicht. Solange sie kommen, ist das auch nicht wichtig. Was ich aber weiß, ist, dass nach dem Einfall eine harte Arbeit beginnt. Schon Horaz behauptete, dass ein Gedicht zu zehn Prozent aus Inspiration und zu neunzig Prozent aus Transpiration besteht. Allerdings meine ich, dass es ebenso wichtig ist, weder den Schweiß noch irgendeinen Spray zu riechen. Dazu gehört wiederum Inspiration. Wichtig ist, dass das geistige Auge wie eine Kamera nach oben und nach unten schwenkt, nach links und nach rechts, nach hinten und nach vorn, und das Entdeckte bis zum Wesentlichen entkernt und zu einer neuen Sinneinheit zusammenfügt, die man dann verlegenheitshalber Gedicht nennt.

Du erlebst ja eine ganz produktive Phase: Vier Gedichtbände im letzten Jahr. Die sind nicht immer nur weise und gelassen, sondern auch humorvoll und hoffnungsfroh. Woher schöpfst du diese Hoffnung?
Ich bin eher ein Skeptiker und als solcher auf die Hoffnung angewiesen. Ich glaube, niemand braucht die Hoffnung mehr als ein Skeptiker, Und ich wäre ein Demagoge, wenn ich Hoffnungslosigkeit postulieren würde. Ohne jede Hoffnung würde ich ja mein Schreiben und mein ganzes Tun und Lassen ad absurdum führen. Ich brauche die Hoffnung wie jeder andere, allerdings gehe ich sparsam mit ihr um. Ich sehe die Welt doch an als ein großes Durcheinander. Als ein Chaos, das wiederum eine Freiheit vor ihrer Zähmung ist. Und genau darin liegt das Produktive, sich in dieses Durcheinander einzumischen. Die Ordnung ist Stillstand. Liegt alles auf seinem Platz, muss man nicht mehr nachdenken, wo es hingehört. Das Durcheinander regt das Denken kann. Und darin liegt auch ein Stück Hoffnung.

Du hast genug Zeit, damit die Wörter sich öffnen und der Himmel hineinfallen kann. Was meinst du damit?
Bei mir ist der Himmel immer mit etwas Hoffnung verbunden, je nachdem wie viel er gerade davon tragen kann. Himmel ist für mich kein Symbol von Glaube. Für mich ist Blau auch eine Farbe der Hoffnung. Auch das Vergissmeinnicht hat etwas von diesem Blau. Schon wie der Name sagt, drückt es die Hoffnung aus, nicht vergessen zu werden. Also auch eine Hoffnung. Und für all diese Hoffnungen suche ich Wörter, die sich öffnen, damit der Himmel mit meiner ganzen Hoffnung hineinfallen kann.

Schlagwörter: Interview, Hodjak, Literatur

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