1. Januar 2003

Dr.-Ing. Gabriele Mergenthaler

Dr.-Ing. Gabriele Mergenthaler zur Situation der kirchlichen Denkmalpflege in Siebenbürgen.
Die aus Rheinland-Pfalz stammende Dr. Gabriele Mergenthaler (34) ist seit September 2001 Leiterin der Bauabteilung im Landeskonsistorium der ev. Kirche A.B. Rumänien. Die Fragen stellte Robert Sonnleitner.
Eine Pfälzerin in Siebenbürgen, das ist ungewöhnlich. Was hat sie dorthin "verschlagen"?

Zunächst hat mich wissenschaftliches Interesse hierher gelockt: Vor dreieinhalb Jahren sah ich einen Fernsehbericht über siebenbürgische Kirchenburgen. Das hat mich fasziniert. In dieser Zeit schrieb ich meine Doktorarbeit. Ich notierte mir auf die Rückseite eines Blattes Kirchenburgen in Siebenbürgen. Als ich dann vor zwei Jahren meine Dissertationsunterlagen ordnete, fiel mir dieser Zettel wieder in die Hand. Ein erneuter Zufall wollte, dass im Nachbarpfarrbezirk meiner Eltern ein aus Siebenbürgen stammender Pfarrer eingesetzt wurde, der im Herbst 2000 eine Reise nach Siebenbürgen anbot. Nach dieser Reise war mir klar: Hier musst du unbedingt noch einmal hin!

Und wie ging es weiter?

Ab 2000/01 absolvierte ich ein Postgraduiertenstudium ("Ergänzungsstudium Denkmalpflege") am Institut der Technischen Universität Dresden. Im Rahmen meiner Dissertation war ich vornehmlich mit konstruktiven Problemen des Mauerwerks- und Gewölbebaus befasst, meine Kenntnisse bezüglich Dachkonstruktionen waren unvollständig. So kam mir die Idee, historische Dachstühle in Siebenbürgen zu untersuchen. Deswegen reiste ich im Frühjahr 2001 nach Hermannstadt, kam dort bei einer ehemaligen Banaterin unter und beschäftigte mich mit den Dachstühlen im Harbachtal.

Wie kamen Sie dann zur Kirche und zu der heutigen Stelle?

Da ich mehrere Kirchen besuchte, musste ich mir die Erlaubnis bzw. Informationen dazu vom Landeskonsistorium holen. Dort wurde ich sogleich mit anderen baulichen Fragen "attackiert", da zu der Zeit kein Fachpersonal vorhanden war und laufende Bauarbeiten anstanden. Also half ich kurzfristig aus. Man fragte mich - auch der Bischof - ob ich mir vorstellen könnte, länger hier zu arbeiten. Ich sagte zu. Eine Bewerbung in Deutschland für eine entsprechende Stelle, selbst an einer Universität, ist ohne eine entsprechende ,Fürsprache' nicht denkbar. Hinzu kommen komplizierte Bewerbungsverfahren und oftmals entwürdigende Vorstellungsgespräche, um dann an einer tristen und langweiligen Stelle zu sitzen. Hier, in Siebenbürgen, erkannte ich, dass man wirklich gefordert war. Das war der ausschlaggebende Punkt. Dass ich hier finanziell schlechter gestellt bin als ich es in Deutschland wäre, ist mir vor diesem Hintergrund nicht so wichtig.

Und bereuen Sie heute, nach über einem Jahr, Ihre Entscheidung?

Überhaupt nicht! Ich bin aufgebrochen, um einer Diasporakirche mit großer Vergangenheit, interessanter Gegenwart und frei zu gestaltender Zukunft, noch dazu im Besitz von beachtlichen Kulturgütern, so gut ich kann zu helfen, meine Kraft und Kenntnisse einzubringen. Meine Arbeit erfüllt mich sehr. Für mein Engagement hier in der evangelischen Kirche A.B. spielt auch mein christlicher Glaube eine große Rolle; ich bin überzeugt, dass man als Christ dort helfen soll, wo man von Gott und seiner Gemeinde gebraucht wird.

Welche Qualifikationen haben Sie mitgebracht und was davon können Sie jetzt gut gebrauchen?

Studiert habe ich Architektur an der Technischen Universität Kaiserslautern, mit dem Schwerpunkt Baugeschichte/Denkmalpflege bei Prof. Dr. Hofrichter, einem renommierten Spezialisten für Burgen- und Wehrbauarchitektur. Danach arbeitete ich - eigentlich auch schon während der Studiumszeit - in verschiedenen Büros. Mein beruflicher Schwerpunkt lag dann bei der organisatorisch-praktischen Durchführung von Bauvorhaben, angefangen mit der Ausschreibung über die Vergabe und Abrechnung bis hin zur Bauleitung. Neben meiner Promotion im Fach Baugeschichte besuchte ich den bereits erwähnten Studiengang ,Denkmalpflege' in Dresden.
Meine jetzige Arbeit verlangt von allem etwas. Als besonders vorteilhaft erweisen sich meine Erfahrungen mit der Abwicklung von Bauvorhaben, mit Qualitäts- und Kostenkontrollen im Bauwesen. Aber auch die durch die Promotion erworbenen Kenntnisse mittelalterlicher Baukonstruktion helfen mir oft, Schäden an hiesigen Bauten zu erkennen.

Können Sie kurz Ihr Arbeitsfeld umreißen?

Zum einen kümmere ich mich um die Gebäude der Gesamtgemeinde, die vom Konsistorium verwaltet werden. Das sind jüngst zurückerstattete Bauten, die nun renoviert und mit neuem Leben erfüllt werden. Zum anderen ist es meine Aufgabe, Gemeinden bei baulichen Problemen zu helfen. Die evangelische Kirche umfasst die Gebiete Siebenbürgen, Banat, Bukowina und das "Altreich", d.h. Bukarest, Konstanza und dortige Gemeinden.

Ist das alles zu schaffen?

Schwerlich, man muss oft Prioritäten setzen, die sich vielleicht später als falsch erweisen. Die Evangelische Kirche A.B. hat wegen des Exodus der deutschen Minderheit viele Mitglieder verloren und daher leider nur sehr beschränkte Mittel, es muss also an allem, auch an Personal gespart werden. Dennoch bin ich manchmal erstaunt, was sich in den Gemeinden entwickelt und welche baulichen Maßnahmen daraus hervorgehen. Die evangelische Kirche A.B. hat in Rumänien durchaus ihren Platz!

Können Sie uns einige aktuelle Beispiele Ihrer gegenwärtigen Arbeit geben?

Zurzeit arbeiten wir an einer umfassenden Sanierung der Repser Kirche. Diese Kirche besitzt neben einer alten, vielleicht der ältesten ("Schwalbennest-") Orgel, ein mittelalterliches Fresko bzw. Reste davon und jüngst aufgefundene archäologische Befunde unter dem Chor. Ich denke, es lohnt sich, diese Kirche zu renovieren und sie der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Des Weiteren arbeiten wir an der Restaurierung des ehemaligen Waisenhauses mit der benachbarten Johanniskirche in Hermannstadt. Neben dem Zentralarchiv der ev. Kirche soll dort das Zentralmuseum der evangelische Kirche A.B. in Rumänien eingerichtet werden. Dazu gehört auch die Johanniskirche, die als musealer Raum und gleichzeitig als Gottesdienstraum dienen soll. Als jüngstes Projekt ist der Umbau eines einstigen Kulturhauses zu einem kleinen Altenheim in Semlak bei Arad hinzugekommen. Das Gebäude ist aus Lehm-Stroh-Ziegeln errichtet, hier gilt es also ganz besonders auf den Bestand zu achten.

Stehen Ihnen die notwendigen Arbeitsmittel und dasPersonal zur Verfügung?

Arbeitsmittel sind vorhanden, auch ein neuer Rechner mit Farbdrucker wurde angeschafft. Mit dem Personal sieht es sehr dürftig aus, ich bräuchte dringend noch einen Architekten oder Bauingenieur mit Schwerpunkt (historische) Baukonstruktion oder Denkmalpflege und mit CAD-Kenntnissen. Die Kirche hat Mühe, ihr bisheriges Personal zu entlohnen. Zum Glück bekommen wir gegenwärtig Hilfe von einem Ehepaar aus Deutschland, Elke und Stephan Ebelt: sie ist Vermessungsingenieurin, er Bauingenieur und studiert hier ein paar Semester Theologie. Die beiden vermessen Gebäude, von denen wir bislang keine Pläne hatten, derzeit auch eines von mehreren zurückerstatteten Bauten in Hermannstadt. Ich bin sehr dankbar dafür und möchte gar nicht daran denken, dass die beiden (mit kleiner Tochter) wieder zurückfahren.
Nicht so optimal ist die mangelhafte Ausstattung mit Fachliteratur. Hier fehlte bislang Geld, vielleicht auch Initiative. So arbeite ich mit meiner persönlichen Literatur. Vor einiger Zeit erhielten wir vom Hilfskomitee der Siebenbürger-Sachsen ein Laser-Messgerät. Das können wir bei dem wenigen Personal extrem gut gebrauchen.

Mit welchen Problemen haben Sie bei dem Erhalt der kirchlichen Denkmäler zu kämpfen? Was berührt sie dabei persönlich?

Es gibt viele Probleme, angefangen beim Finanzierungsnotstand, fehlendem Personal in den Bezirks- und Landeskonsistorien und auch eine oft geringe Kenntnis bezüglich historischer Bau- und Handwerkstechniken bei hiesigen Ingenieuren, Architekten und Handwerkern. Schwachpunkte stelle ich immer wieder innerhalb der Umsetzung eines Projektes fest, die Verbindung zur Praxis durch detaillierte Konstruktionsangaben oder durch exakte Maßangaben und Aufmaße fällt hiesigen Fachleuten schwer.
Von den rumänischen Behörden erfährt man zumeist Unterstützung, wenn auch nicht oder nur manchmal finanziell. Aber das liegt an der schlechten Gesamtsituation des Landes.
Persönlich macht mir zu schaffen, dass viele der hiesigen Sachsen (und Banater) oft eine so pessimistische Grundhaltung haben. Der einzige Weg scheint immer die Auswanderung zu sein. Dass dann die so genannten ,Sommersachsen' mit Äußerungen wie "Ihr seid ja immer noch hier!" oder "Wie sieht es denn hier aus?" nicht gerade motivierend wirken, ist verständlich. Der Exodus hat viel menschliches Leid gebracht, Familien und Freundschaften unwiederbringlich auseinander gerissen. Gleichwohl haben diejenigen, die hier sind, auch Ihre Berechtigung und tragen sehr viel Verantwortung, mehr noch als vor dem Exodus. Das gilt besonders beim Erhalt und der Pflege des siebenbürgisch-sächsischen Kulturgutes. Das sollte man anerkennen.

Inwieweit kümmern sich die meist in Deutschland lebenden Siebenbürger Sachsen um den Erhalt der Heimatkirche?

Es gibt sehr starke Heimatortsgemeinschaften (HOGs), die "nichts anbrennen lassen". Es gibt aber auch ein totales Desinteresse. Daraus resultieren die besonders heruntergekommenen Kirchenburgen, die dringendst Hilfe benötigen. Die Kirche von Zuckmantel wurde im letzten Jahr wieder hergerichtet und ist nun ein Schmuckstück für den gesamten Ort, ebenso hat die HOG Kirchberg die Reparatur des Kirchendaches und des Turmes getragen. Das war sehr gut, übrigens auch für die gesamte Dorfbevölkerung. Denn auch die heutigen Bewohner leiden unter einer "Dorfruine", wie sie z.B. in Wölz steht. Dort ist ein Teil des Chores eingestürzt. Die technischen Ursachen sind vielfältig, aber das Grundübel ist meistens der mangelnde Bauunterhalt; es kümmerte sich keiner verantwortlich um diese Bauten. Ein "Ex-Wölzer" und HOG-Mitglied war schon da, filmte die Einsturzstelle, ließ aber nichts mehr von sich hören. Das ist sehr schade.
Ein ähnlicher Fall begegnet uns in Reps. Die Kirche ist stark durchnässt, so dass sich innen bereits drei verschiedene holzzerstörende Pilze gebildet haben (auch der Hausschwamm), das Dach ist undicht, und der außenseitige Zementputz provoziert zusätzlich die Mauerdurchfeuchtung. Wir müssen schleunigst sanieren, haben auch schon einen finanziellen Beitrag vom Gustav-Adolf-Werk zugesagt bekommen, verfügen über einige Eigenmittel, aber die gesamte Sanierung ist damit noch nicht finanziert.

In Ihrem Vortrag auf der Kulturreferententagung in München verwendeten Sie den Ausdruck "denkmalpflegerische Solidarität". Was haben Sie damit gemeint?

Diesen Ausdruck benutzte ich, um darauf aufmerksam zu machen, dass einige Kirchenburgen sehr viel finanzielle Zuwendung erfahren, weil Sie ,populär' sind, etwa Birthälm, Tartlau oder auch die Stadtpfarrkirchen, die zudem noch über mehr Spenden verfügen als kleine Gemeinden auf den Dörfern. So entsteht z.B. die aus meiner Sicht groteske Situation, dass unweit der bekannten und stark besuchten Kirchenburg Birthälm eine andere Kirchenburg am Einstürzen ist (Wölz) und eine weitere, nicht minder interessante und über dem Dorf thronende Kirchenburg, nämlich Almen, einen Dornröschenschlaf hält und ebenfalls sehr reparaturbedürftig ist.
Statt mancher Reparatur an gut dastehenden Objekten könnte man das Geld an einer anderen Stelle viel sinnvoller nutzen. Das betrifft nicht nur die "reichen" Gemeinden unserer Landeskirche, das gilt auch für viele Stiftungen und Spenden. Das Geld erscheint oftmals ungerecht verteilt. Bei der Vorbereitung meines Vortrages überlegte ich mir, dass es eigentlich sinnvoll wäre, die verfügbaren Gelder nach einem "Schlüssel" zu verteilen. In diesem müsste bedacht sein: bauliche Situation, Gemeindegröße, bau- und kunsthistorisch wertvolle Zeugnisse, touristische Möglichkeiten der Erschließung und Nutzung, Ausbau als "Museumskirche" möglich ...

Worin besteht nach Ihrer Ansicht die Einzigartigkeit der siebenbürgisch-sächsischen Kirchenburgen?

Man muss sich vorstellen, unter welchen Bedingungen die damaligen siebenbürgisch-sächsischen Dorfbewohner ihre Kirchenburgen gebaut haben, unter wie viel Bedrohung und auch Entbehrung. Trotzdem war es ihnen wichtig, einen Gemeinschaftsbau zur Ehre Gottes mitten im Ort stehen zu haben. Auch die Innenausstattungen mit den oftmals so liebevoll bemalten Emporen (Meeburg ist ein sehr schönes Beispiel dafür) und den reichen Altären verrät die damalige ,Gottesfurcht', gleichzeitig aber auch die wirtschaftliche Situation des Ortes. Dass dieses in Siebenbürgen noch so gut erhalten ist, bedeutet eine einmalige Chance für das ganze Land, auch für die Siebenbürger Sachsen; denn ihre Vergangenheit ist noch unmittelbar nachvollziehbar. Deswegen erscheint mir diese "postulierte" Loslösung von der Heimat bei vielen Ausgewanderten unverständlich.
Die Kirchenburgen verraten viel über die Geschichte eines Dorfes, über die Bewohner; sie sind ein Zeugnis für mittelalterliche Wehrbautechnik und Verteidigungsstrategien; sie sind heute ein unverzichtbares Identifikationselement eines jeden Ortes. Schließlich steht die Gesamtheit der Kirchenburgen in Siebenbürgen für den einstigen Zusammenhalt und die Gemeinschaftspflege der Siebenbürger Sachsen. Deswegen trete ich für den Erhalt der ,Kirchenburgenlandschaft Siebenbürgen', nicht für die punktuelle Förderungen einiger besonders attraktiv erscheinender Bauten ein.

Was wünschen Sie sich für die Denkmallandschaft Siebenbürgen? Wagen Sie einen Ausblick?

Ich wünsche mir, dass Siebenbürgen mehr wahrgenommen wird, mit den unverwechselbaren Bauten, wertvollen Altären und Kunstobjekten, aber auch mit der überwältigend schönen Landschaft. Dass man um den Erhalt aller Kirchenburgen gemeinsam kämpft in dem Bewusstsein einer großen Vergangenheit und Verantwortung für die Zukunft. Ich wünsche mir auch, dass die Kinder und Enkel der ausgewanderten Sachsen ihre Wurzeln nicht vergessen. Dass Rumänien in Zukunft sehr starkes Interesse erfährt, nehme ich an. Es gibt hier viele touristische Möglichkeiten, bislang fehlt noch eine funktionierende Infrastruktur: Pensionen, Wanderwege, div. Angebote für Familien. Aber das Land hat meines Erachtens so viel Potential, dass es sich entwickeln wird - zunächst aber muss sich die politische und finanzielle Lage etwas stabilisieren.
Aber auch für Wissenschaftler, für Historiker, Kunsthistoriker, Bauhistoriker, Restauratoren, Künstler, Biologen und Geographen kann Siebenbürgen von großem Interesse sein. Hier ist noch viel Forschungsbedarf.

Welche Pläne haben Sie für die nächste Zukunft in Rumänien?

Arbeiten und arbeiten. Ich hoffe trotzdem, dass ich einige freie Stunden finde, um wieder wissenschaftlich zu arbeiten; ich habe mir schon einige Themen vorgenommen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Link: Zur Situation der kirchlichen Denkmalpflege in Siebenbürgen

Schlagwörter: Interview, Wissenschaft

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