1. Dezember 2003

Wilfried Gruber

Von Budapest nach Bukarest: Wilfried Gruber, Ex-Botschafter in Ungarn, ist seit Juli 2003 deutscher Botschafter in Rumänien. In den Jahren zuvor war der gebürtige Überlinger an den deutschen Botschaften in London, La Paz und Moskau sowie im Auswärtigen Amt tätig. Von 1996-1999 war Gruber deutscher Botschafter in Belgrad, von 1999-2000 koordinierte er im Auswärtigen Amt Maßnahmen im Rahmen des Stabilitätspaktes für Südosteuropa. Über seine neue Mission in Bukarest sprach Robert Sonnleitner mit dem erfahrenen Diplomaten.
Herr Botschafter, Sie sind seit Juli in Bukarest tätig. Welches sind Ihre ersten Eindrücke von Rumänien?

Die ersten Eindrücke seit meiner Ankunft sind durchweg positiv. Ich bin mit großer Offenheit und Freundlichkeit empfangen worden, und ich bin zuversichtlich, dass es mir gelingen wird, einen Beitrag zur Festigung unserer Beziehungen zu leisten.

Ist dies Ihr erster Kontakt mit Rumänien?

Anfang der neunziger Jahre habe ich mich einmal dienstlich im Lande aufgehalten. Ein bisschen habe ich schon mit dem Land zu tun gehabt, da ich zwischen meinen beiden letzten Verwendungen in Budapest und davor in Belgrad ein Jahr lang im Auswärtigen Amt tätig gewesen bin. Dabei war ich während der deutschen EU-Präsidentschaft 1999 beauftragt, den so genannten Stabilitätspakt für Südosteuropa mit auszuhandeln und hatte somit natürlich auch mit Rumänien zu tun.

Vor einigen Monaten waren Sie noch Botschafter in Budapest. Die Arbeit in EU-Kandidatenländern ist Ihnen vertraut. Welche Themen bestimmen Ihren Start in Bukarest?

Mir liegt daran, einen Beitrag dazu zu leisten, dass die kulturellen Traditionen der Deutschen in Rumänien bewahrt werden können und sich am kulturellen Austausch zwischen unseren Ländern noch mehr Jugendliche, Wissenschaftler und Intellektuelle beteiligen. Das Allerwichtigste, was mich während meiner Mission hier beschäftigen wird, ist die Begleitung der Bemühungen Rumäniens, der EU beizutreten. Deutschland, als ein Land in der Mitte Europas, hat ein vitales Interesse an der Erweiterung der Europäischen Union. Wir sehen dies als historische Aufgabe, als ein Anliegen, das seitens der politischen Führung unseres Landes - und unabhängig von der jeweiligen Parteizugehörigkeit - auf einer breiten Basis ruht. Es ist zweifelsohne eine große politische Herausforderung, die auch mit ökonomischen Schwierigkeiten verbunden ist, aber für Rumänien ohne Alternative. Diesen Prozess zu begleiten, wird meine wichtigste Aufgabe sein in den Jahren, die ich hier verbringen werde. Insoweit ist mir meine künftige Arbeit auch bereits durch die vorherige Tätigkeit als Botschafter in Budapest vertraut.

Rumänien bemüht sich, bereits 2007 in die EU zu kommen. Ist dieser angestrebte Termin realistisch? Wie beeinflussen Sie die EU-Beitrittsverhandlungen des Landes?

Die Erweiterung der EU um die Länder Osteuropas ist für uns eine logische Folge des Umbruchs von 1989/90. Mit der Aufnahme neuer Mitgliedsstaaten wird die Teilung Europas endgültig überwunden und die Einheit des Kontinents Wirklichkeit. Rumänien sieht seine Zukunft als Mitglied der euro-atlantischen Familie und findet dabei die Unterstützung der Bundesregierung. Im Hinblick auf seine angestrebte Mitgliedschaft in der Europäischen Union hat Rumänien in Deutschland einen verlässlichen Fürsprecher. Für den Beitritt ist die Erfüllung objektiver Kriterien maßgeblich. Damit Rumänien sein Ziel erreicht, 2007 der EU beizutreten, kommt es in erster Linie auf seine eigenen Anstrengungen an, die in einigen Bereichen noch verstärkt werden müssen. Dies betrifft die Anpassung der rumänischen Gesetzgebung an die Rechtsnormen der Union, insbesondere aber die Umsetzung und Anwendung dieser Normen in der Praxis.

Das frühere "Armenhaus" Irland ist heute dank dank der Struktur- und Regionalmittel der EU eine dynamische Volkswirtschaft. Das hat 20 Jahre gedauert. Wie lange wird Rumänien benötigen?

Der EU-Beitritt und die Zugehörigkeit zum Binnenmarkt werden dem Land ganz sicher erweiterte Möglichkeiten im Hinblick auf seine künftige Entwicklung eröffnen. Beispiele anderer Mitgliedsstaaten zeigen in der Tat, dass die Zugehörigkeit zu einer starken Gemeinschaft die Chance bietet, in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht aufzuholen. Die EU-Mitgliedschaft allein kann allerdings nicht als Garantie dafür angesehen werden. Erfahrungen anderer Länder lassen sich auch nicht ohne weiteres übertragen. Es wird vor allem auf die Bereitschaft der Rumänen ankommen, die historische Chance des Beitritts zu ergreifen, die Bedingungen für das Funktionieren des Binnenmarktes zu schaffen und die nötige Dynamik zu entfalten. Wieviel Zeit dieser Prozess im Falle Rumäniens in Anspruch nehmen wird, darüber lassen sich aus heutiger Sicht keine zuverlässigen Prognosen stellen. Die EU trägt bereits seit einiger Zeit dazu bei, mit ihren Fördermitteln die Voraussetzungen für eine dynamische Entwicklung des Landes zu schaffen. Allein im Zeitraum 2004-2006 werden dafür Mittel von über 1 Milliarde Euro bereitgestellt.

Wohin genau fließt dieses Geld?

In die Modernisierung der Infrastruktur, die Anpassung landwirtschaftlicher Strukturen und in den Aufbau notwendiger Verwaltungskapazitäten. Deutschland trägt im übrigen als wichtigster Beitragszahler der EU mit fast einem Viertel zu diesen Leistungen bei.

Deutschland ist für Rumänien der zweitwichtigste Handelspartner. Rumänien für Deutschland aber eher unbedeutend. Da besteht doch ein beträchtliches Ungleichgewicht.

Die Förderung deutscher Wirtschaftsinteressen in Rumänien und die Unterstützung deutscher Unternehmen gehört zu meinen wichtigsten Aufgaben. Die deutsche Wirtschaft ist in Rumänien in großem Umfang engagiert. Deutschland ist zweitgrößter Handelspartner, und deutsche Unternehmen zählen zu den bedeutendsten Investoren im Lande. Unsere Beziehungen entwickeln sich weiter mit einer bemerkenswerten Dynamik, der bilaterale Handel ist im ersten Halbjahr 2003 um rund 10 Prozent gewachsen. Das Potential für künftige Kooperation ist allerdings noch nicht ausgeschöpft. Rumänien könnte noch weit mehr Investitionen anziehen, wenn sich die Rahmenbedingungen weiter verbesserten.

Sie beobachten die Investitionsbedingungen vor Ort. Warum ist Rumänien in Südosteuropa der ideale Standort für deutschen Investoren?

Ich sehe Rumänien als einen attraktiven Markt mit großem Potential. Die Beitrittsperspektive des Landes trägt schon heute einen erheblichen Teil zur Attraktivität des Standortes bei.

Was unternimmt die deutsche Botschaft in Bukarest, um ausgewanderte Rumäniendeutsche als Unternehmer und deutsche Investoren für Rumänien zu gewinnen?

Die klare Haltung der Bundesregierung zu den Beitrittsabsichten Rumäniens ist nicht zuletzt auch ein deutliches Signal an die deutsche Wirtschaft. Wenn sich dabei auch in Deutschland lebende Rumäniendeutsche engagieren, ist das nur zu begrüßen, und sie dürfen bei ihren Aktivitäten in Rumänien auf die gleiche Unterstützung vertrauen wie andere deutsche Investoren. Ich erinnere aber daran, dass ausländisches Kapital sich in erster Linie an den Investitionsbedingungen vor Ort orientiert. Es wäre daher zu begrüßen, wenn die rumänische Regierung ihre Bemühungen zur Verbesserung des Investitionsklimas in Rumänien durch Stärkung der Justiz, Abbau von Bürokratie und die entschlossene Bekämpfung der Korruption fortsetzen würde.

Vielen Dank für das Gespräch.

Link: Deutsche Botschaft in Bukarest

Schlagwörter: Interview, Politik

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