6. August 2002

Florian Pronold

Florian Pronold, der auf der Landeskonferenz der bayerischen Jungsozialisten (Jusos) am 23./24. März 2002 in Amberg zum Landesvorsitzenden wieder gewählt worden ist, kandidiert bei den Wahlen am 22. September für den Deutschen Bundestag. Der 29-jährige Jurist aus dem niederbayerischen Deggendorf trägt in verschiedenen Funktionen und Gremien politische Verantwortung, nicht nur als Juso-Landesvorsitzender in Bayern, sondern auch als Stadtrat in Deggendorf sowie als Mitglied des SPD-Landesvorstandes und des Präsidiums der Bayern-SPD. Das Interview führte Christian Schoger.

Was verbindet ein so junger Mensch wie Sie, der nicht mehr der Erlebnisgeneration angehört, mit Begriffen wie "Vertreibung", "Deutsche im Osten", "Heimat", "Aussiedler" bzw. "Spätaussiedler"?

Die Vertreibung der Deutschen aus verschiedenen Ländern Osteuropas war ein schreckliches Ereignis, das vielen Menschen großes Leid zugefügt hat. Es ist jedoch ein historisches Ereignis, das nie isoliert betrachtet werden kann, sondern als Folge der Verbrechen des Nationalsozialistischen Deutschlands und der deutschen Angriffskriege gesehen werden muss. Viele bayerische Sozialdemokraten, die nach dem Krieg die SPD wieder aufgebaut haben, sind Vertriebene gewesen – auch aus Erzählungen einiger wurde mir das Leid durch Vertreibung deutlich vor Augen geführt. Mit dem Begriff „Spätaussiedler“ verbinde ich ganz konkrete Menschen in meinem Freundes- und Bekanntenkreis.

Sie treten im September als Bundestagskandidat im Wahlkreis Rottal-Inn/Dingolfing-Landau an. Inwieweit sind Ihnen vor dem Hintergrund der politischen Debatten um die Gleichstellung und Gleichbehandlung deutscher Aussiedler bzw. Spätaussiedler in der Bundesrepublik die Erwartungen und Hoffnungen speziell der Siebenbürger Sachsen in ihrem Wahlkreis bekannt?

Jeder Mensch, der neu nach Deutschland kommt - egal ob als Deutscher nach dem Grundgesetz oder als Ausländer - stellt uns vor die Aufgabe der Integration. Es muss zwischen den ehemals Vertriebenen und ihren Nachkommen einerseits und den Spätaussiedlern andererseits unterschieden werden. Im ersten Fall geht es um Kulturförderung, also um Brauchtumspflege, deren Anknüpfungspunkt nicht die historische Tatsache der Vertreibung sein darf. Spätaussiedler stellen uns vor echte Integrationsaufgaben.

Auf Ihrer Homepage bezeichnen Sie die kommunale Jugendpolitik als einen Ihrer Themenschwerpunkte. Durch welche konkreten Maßnahmen oder Projekte fördern Sie als Kommunalpolitiker in Deggendorf gezielt die Integration der deutschen Aussiedlerjugend?

In Deggendorf gibt es den Verein „Raduga“, der sich besonders um die Integration junger Spätaussiedler bemüht. Sowohl im Kreisjugendring als auch in den entsprechenden Ausschüssen des Stadtrates und des Kreistages habe ich mich für dessen Förderung ausgesprochen. Auch bei der Ausarbeitung eines kommunalen Jugendplanes haben die Integrationsbemühungen für einen Teil der jugendlichen Spätaussiedler eine zentrale Rolle gespielt. Am wichtigsten ist aber, dass es gelungen ist, eine Sozialpädagogenstelle zu erhalten, die sich gezielt um die Integration kümmert. Der Sozialpädagoge ist selbst Spätaussiedler und hat deshalb hervorragenden Zugang zu der Zielgruppe gefunden und auch gute Erfolge erzielt. Der SPD-Bundestagsabgeordneten Bruni Irber – mit der ich eng zusammenarbeite – ist es zudem gelungen, 115 000 Euro (bewilligt für 3 Jahre) aus dem Bundeshaushalt für das Pilotprojekt "Interkulturelle Integrationsarbeit" zu bekommen. Das Projekt fördert in erster Linie Aussiedlerjugendliche, aber auch ausländische Jugendliche.

Nach § 96 BVFG sind der Bund und die Länder zur Förderung der kulturellen Breitenarbeit verpflichtet. Fakt ist, dass unter der rot-grünen Bundesregierung die (zweckgebundenen) Fördergelder für die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Deutschland von 140 000,- DM im Jahr 1998 auf 8 000 DM,- im Jahr 2001 reduziert wurden. Mit Ihrer Zustimmung?

Ich kenne die genauen Hintergründe dieser Entscheidung nicht. Die Bundesregierung hat aus der Kohl-Zeit eine riesige Staatsverschuldung von 1,5 Billionen Mark übernommen und hat es andererseits mit sehr vielfältigen Förderungsanfragen zu tun. Hier geht es darum, die knappen Mittel gerecht zu verteilen. In der Vergangenheit sind die Vertriebenenverbände überdurchschnittlich gut ausgestattet worden.

Die Jugendarbeit wird über die landsmannschaftliche Breitenarbeit mit gut einem Drittel dieser Fördergelder unterstützt. Rot-Grün hat den Hahn sukzessive zugedreht. Ist es der politische Wille auch der Jusos, dass Veranstaltungen für Jugendliche, die der besseren Integration der Siebenbürger Sachsen dienen, wie Seminare oder Volkstanzwettbewerbe aus Kostengründen nicht mehr stattfinden?

Auch hier muss ich sagen: Kultur- und Brauchtumspflege der Siebenbürger Sachsen sind förderungswürdig wie die aller anderen kulturellen Gruppen auch. Die Vertreibung kann jedoch nicht die Begründung für eine einseitige Bevorzugung sein. Wir sind uns sicher auch einig, dass sich die Angebote zum Großteil ja an die Nachkommen von Vertriebenen wenden. Von Integrationsarbeit kann jedoch nur die Rede sein, sofern es sich tatsächlich um neu übergesiedelte junge Menschen handelt.

Aber mehr als 50 Prozent der Siebenbürger Sachsen sind erst in den 90er Jahren nach Deutschland ausgesiedelt. Diese sind also Erlebnisgeneration und nicht Nachkommen von Vertriebenen. Stimmen Sie zu, dass es sich hier um ein klassisches Feld der Integrationsarbeit handelt?

Selbstverständlich. Ich möchte aber auch hervorheben, dass viele Spätaussiedler kein "Integrationsproblem" sind, sondern sich sehr gut selbst aus eigener Kraft integrieren können. Staatlicher Handlungsbedarf besteht vor allem bei jungen Spätaussiedlern, die große Sprachprobleme haben.

Welchen Stellenwert haben für Sie grenzüberschreitende Jugendaustauschprojekte im Zusammenhang mit der EU-Osterweiterung, zumal der Jugend häufig eine "Brückenkopf-Funktion" zugeschrieben wird?

Ost- und Westeuropa können nur zusammenwachsen, wenn die Gesellschaften Kontakte auch auf privater und Vereinsebene pflegen. Dem Jugendaustausch kommt hier eine hohe Bedeutung zu. Vielleicht gelingt es der jungen Generation besser, den Blick mehr in die Zukunft als in die Vergangenheit zu richten. Auf diesem Wege lässt sich eine Verständigung gerade mit den Menschen in den osteuropäischen Staaten effizienter herstellen als über viele rechtslastige Verlautbarungen von Tagungen der Vertriebenen-Verbände.

Können Sie den Satz "Aussiedler bzw. Spätaussiedler sind Deutsche, die Deutschland in demographischer, wirtschaftlicher und soziokultureller Hinsicht bereichern." bestätigen?

Dieser Satz ist für Aussiedler und Spätaussiedler ebenso richtig wie für Einwanderer aus anderen Kulturkreisen. Die Frage, wer nach dem Grundgesetz Deutscher ist, ist für mich dabei unwichtig.

44 Prozent der Spätaussiedler sind jünger als 25 Jahre. Davon profitieren auch und gerade unsere sozialen Sicherungssysteme. Ist dann die am 13. September 1996 im Bundestag beschlossene Rentenkürzung für Aussiedler um 40 Prozent, an der die SPD-geführte Bundesregierung festhält, mit Ihrem Verständnis von sozialer Gerechtigkeit vereinbar?

Die SPD stand vor der Schwierigkeit, die Renten in Deutschland für alle zukunftssicher zu machen und für Beitragsstabilität zu sorgen. Dies ist mit der letzten Reform ganz vernünftig gelungen. Eine Benachteiligung von Aussiedlern im Rentensystem vermag ich nicht zu erkennen, zumal über großzügige Regelung hohe Anerkennungszeiten für Aussiedler angenommen werden, die fast niemand in Deutschland über eine normale Arbeitsbiographie erreichen kann.

Vielen Dank für das Gespräch.

Link: www.florian-pronold.de

Schlagwörter: Interview, Politik

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