6. September 2013

50. Europeade in Gotha

Die erste Europeade fand 1964 in Antwerpen (Belgien) statt. Seitdem treffen sich jedes Jahr im Sommer Musiker, Tänzer, Folklore- und Trachtengruppen in wechselnden Städten Europas, von Dänemark bis Italien, von Portugal bis Litauen, um ihre Kultur und ihre Trachten zu präsentieren und sich gegenseitig kennen zu lernen. Es entsteht dabei ein buntes, vielfältiges, lebendiges Bild Europas. In diesem Jahr feierte die Europeade vom 17. bis 21. Juli ihr 50. Jubiläum im thüringischen Gotha mit 5000 Teilnehmern, darunter eine gemischte Siebenbürgische Tanzgruppe aus Geretsried, Ingolstadt, München und Augsburg mit zwölf Tanzpaaren und einer zehnköpfigen Kapelle.
Der Veranstaltungsort löste zunächst bei einigen von uns skeptische Reaktionen aus, von „Gotha? Ist das in Schweden?“ über „Hm, in Deutschland? Ist ja langweilig.“ bis hin zu „Warum nicht irgendwo im Süden, wo es schön warm ist?“. Trotzdem fanden sich aus Geretsried, Ingolstadt, München und Augsburg Neugierige und schon lange Europeade-Begeisterte jeden Alters zusammen und bildeten eine gemischte Siebenbürgische Tanzgruppe mit einer eigenen Kapelle. Am Mittwoch, den 17. Juli, sammelte ein Reisebus uns alle nacheinander ein und fuhr uns aus Bayern in die Mitte Deutschlands, nach Thüringen. Auf den letzten Kilometern durch den dichten Thüringer Wald fühlten wir uns dann doch ein wenig wie im Ausland. Von Gotha selbst bekamen wir zunächst wenig mit, da wir im 20 km entfernten Friedrichsroda in einer Schulturnhalle untergebracht waren. Verwöhnt von den letztjährigen Erfahrungen in Padua, wo unsere Gruppe in einem Hotel mit Swimmingpool und mehrgängigen Menüs untergebracht war, gab es zunächst vereinzelt lange Gesichter beim Anblick der dünnen Schaumstoffmatratzen. Diese waren aber erstaunlich bequem und auch die Sanitäranlagen waren ausreichend für uns und zwei weitere Gruppen, eine aus Hessen und eine aus Frankreich. Da der Bus seine Lenkzeiten bereits ausgereizt hatte und es nachts auch keine Verbindung mit Bus oder Bahn zwischen Gotha und Friedrichroda gab, sangen wir im Schulhof und feierten so den Beginn der Europeade.
Gruppenbild der siebenbürgisch-sächsischen ...
Gruppenbild der siebenbürgisch-sächsischen Europeade-Teilnehmer im thüringischen Gotha. Foto: Anneliese Böhm
Das Wetter war die ganzen fünf Tage über heiß und sonnig. Deshalb brach der größte Teil der Gruppe am nächsten Tag ins Freibad von Friedrichsroda auf, während die übrigen sich in der berühmte Marienglashöhle, einem Schaubergwerk mit einer der schönsten Kristallgrotten Europas, abkühlten. Erkennen konnte man uns an den blauen und roten T-Shirts, die Peter Wagner aus Geretsried gestiftet hatte. Abends fand im Volkspark-Stadion von Gotha die Eröffnungsgala statt, bei der wir unseren ersten Auftritt hatten. Hier kam bei uns zum ersten Mal dieses ganz besondere Europeade-Gefühl auf. Alles war in goldenes Abendlicht getaucht und es waren die unterschiedlichsten Gruppen versammelt, jede mit ihren Trachten und Kopfbedeckungen, jede mit dem ihr eigenen Temperament, darunter auch eine Schuhplattelgruppe aus Österreich, 30 bis 40 Jungs in Lederhosen. Getanzt wird bei den Europeaden immer abwechselnd auf mehreren Bühnen, die über die Stadionfläche verteilt sind. Bei einem gemeinsamen Einmarsch stellt sich auf jeder Bühne eine Gruppe auf, dann wird reihum getanzt, während die übrigen kniend warten, um den Blick auf die gerade tanzende Gruppe freizugeben und damit gleichzeitig einen schönen Hintergrund bilden. Den Abschluss der Veranstaltung bildete ein spektakuläres Feuerwerk, abgestimmt auf ein Musik-Potpourri. Danach wollten wir endlich etwas von Gotha sehen, dort waren aber die Europeade-Veranstaltungen bereits beendet, obwohl noch viele Leute unterwegs waren. Es herrschte eine seltsam angespannte Stimmung, leider begleitet von einigen ausländerfeindlichen Pöbeleien der Gothaer Jugend. Schade! So fuhren wir lieber wieder zurück nach Friedrichsroda und feierten mit den Franzosen und Hessen bis spät in die Nacht. Die Franzosen packten ihren Dudelsack aus, Peter und Hermann Trompete und Flügelhorn, Patrick seine Caja und los ging's – im Wechsel Polka, Walzer und französische Volksmusik mit irisch/bretonischem Einschlag. Jeder hat mal einen Tanz vorgemacht, mal Figuren nachgetanzt, der Musik zugehört oder sich unterhalten. Es war in kleinem Maßstab das, was vielen noch von früheren Europeaden in guter Erinnerung geblieben ist. In Botzen (Italien) zum Beispiel waren die meisten Gruppen in den Messehallen untergebracht und fanden sich nachts auf der Messestraße ein, in Martigny (Schweiz) wurde auf den Plätzen der Innenstadt gemeinsam getanzt und musiziert.

An unserem freien Tag, dem Freitag, erkundeten wir Erfurt, eine sehr lebendige Stadt mit einer großen mittelalterlichen, sehr gut erhaltenen Altstadt. Dort schlenderten wir durch die Straßen, schauten uns den Dom und die Krämerbrücke an, ließen uns große Eisbecher schmecken und machten eine Stadtrundfahrt mit einer kleinen Touristenbahn. Abends spielten auf dem Hauptmarkt in Gotha, der sich bis zum Schloss Friedenstein hochzieht, irische Folk-Musik und am Neumarkt fand eine Party des örtlichen Radiosender mit verschiedenen Bands statt, bei der der Moderator kurz vor Schluss alle Kinder zu sich holte, damit sie „Macarena“ tanzen, und plötzlich stand unsere gesamte Jugend auf der Bühne.

Am nächsten Tag zogen sich in der Turnhalle alle Gruppen zur gleichen Zeit für den großen Europeade-Festzug um. Besonders bei der hessischen Gruppe Rotkäppchen aus Schrecksbach in der Schwalm - zwischen Fulda, Kassel und Marburg - war es interessant zuzusehen, wie viele Röcke die Frauen übereinander ziehen, wie sie geduldig auf einem kleinen Schemel stehen, während die Männer ihnen die Strumpfbänder knüpfen, und wie alle Haare oben auf ihrem Kopf zum Schnatz, einem Haarknoten, gebunden werden, über dem eine kleine Kappe, das Betzel, befestigt wird. Aufstellort für den Umzug war bei der Stadthalle, wo während des ganzen Festivals die Teilnehmer auch verpflegt wurden. Der große Festzug mit mehr als 200 Gruppen bewegte sich von dort um die Innenstadt herum bis zum Schloss Friedenstein. An jeder Kreuzung tanzten und musizierten die Teilnehmer – wir zeigten den Flieger und marschierten zur Sternpolka. Die Zuschauer waren zahlreich erschienen und säumten die ganze Wegstrecke. Sie klatschten, winkten und freuten sich mit den Trachtenträgern. Abends fand auf dem Hauptmarkt der Europeade-Ball statt, beim dem die verschiedenen teilnehmenden Orchester zum Tanz spielten. Es waren auch viele einheimische Zuschauer da, die sich freuten, dass in ihrer Stadt so viel geboten war. Am Rande des Platzes wurden leckere Sachen gebrutzelt, von Langos über gebratene Kartoffelspalten bis hin zu Thüringer Mutzbraten mit Sauerkraut konnte man sich satt essen.

Am Sonntag hatten wir mittags direkt vor dem Schloss noch unseren einzigen Straßenauftritt. Während wir Hetlinger Bandritter, Seppel, Nagelschmied und Rediwa zeigten, wandte sich die Aufmerksamkeit der Zuschauer plötzlich in die andere Richtung. Auf dem tiefer gelegenen Hauptplatz führten Hochseilartisten ihre Show auf. Trotzdem bekamen auch wir begeisterten Applaus für unsere Darbietung. So gingen fünf schöne Tage zu Ende. Wir danken Gerlinde Theil für die Organisation, Sigrid Thamm für die tänzerische Leitung und allen anderen, die zum guten Gelingen beigetragen haben, und freuen uns auf das nächste Mal.

Katrin Bayr

Schlagwörter: Tanzgruppen, SJD, Bayern

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