19. Dezember 2008

Busreise ins Baltikum - Gräberfelder aus grauer Zeit

Im August 2008 unternahm unsere Kreis­gruppe eine dreiwöchige Busrundreise ins Balti­kum und nach St. Petersburg (diese Zeitung berichtete). In Narva (deutsch Narwa) besuchten wir den deutschen Soldatenfriedhof, der bereits 1943 von der Wehrmacht angelegt und vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. zur zentralen Ruhe­stätte für die Gefallenen der Narva-Front erweitert wurde. Im Zweiten Weltkrieg gab es hier heftige Kämpfe; auch Siebenbürger Sachsen waren an den Kampfhandlungen beteiligt.
Die Gedenkstätte wird heute von der Deutschen Kriegsgräberfürsorge betreut und sorgfältig gepflegt. Partner des Volksbundes ist die staatliche Denkmalschutzinspektion in Tallinn (Reval). Vom Eingang führt ein Weg zu den Gräber­feldern und zum Gedenkplatz, auf dem das zentrale Symbol, ein 4,50 m hohes Natursteinkreuz, steht und einen Blick auf die Landschaft entlang des Narva-Flusses bietet. Mit den großflächig aufgestellten natursteinernen Kreuzgruppen auf einer grünen Wiese ist die letzte Ruhestätte der gefallenen Soldaten, die hier in Zweier-, Dreier-, Vierer- oder Sechsergruppen bestattet sind, erkennbar. Die Kreuze tragen den Namen, Dienstgrad, Geburts- und Todesdatum von mehr als 4 000 Gefallenen, die bereits auf dem Friedhof ruhen. Auf vielen Gräbern steht auch nur: „Ein unbekannter Soldat“. Einige Inschriften sind aus Mangel an Daten unvollständig. Unter den Gefallenen befinden sich mehrere Siebenbürger Sachsen. Andreas Frank, Mitglied unserer Kreisgruppe, der sich mit Ehefrau Maria unserer Reisegruppe angeschlossen hatte, fand hier die Grabstätte sei­nes Vaters, der im Juni 1944 gefallen war und hier begraben liegt.

Soldatenfriedhof in Narwa: Andreas Frank am Grab ...
Soldatenfriedhof in Narwa: Andreas Frank am Grab seines im Zweiten Weltkrieg gefallenen Vaters.
Ein kurzer Rückblick auf die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen: Felmern, eine idyllische Gemeinde unweit der Südkarpaten gelegen. Die Ortschaft (erstmals in einer Urkunde aus dem Jahre 1206 erwähnt) wurde von Pfarrer Felmer und seiner Familie zusammen mit deutschen Siedlern aus dem Rhein-Moselgebiet gegründet. Im Laufe der Jahre wehrten sich die Siedler gegen Türken, Tataren und Mongolen, bauten Burgen, wie auch in anderen Ortschaften Sie­ben­bürgens. Sie erlebten das Fürstentum Sie­ben­bürgen unter türkischer Oberhoheit, die Habs­burger Monarchie, das ungarische König­reich, das rumänische Königreich, später die Rumänische Volksrepublik und die Sozialistische Republik Rumänien, bis sich die Grenzen 1990 öffneten.

1941 hatte Felmern 1367 Einwohner, davon 564 Deutsche, 662 Rumänen, 3 Ungarn und 138 Zigeuner, die friedlich miteinander lebten. In den dreißiger Jahren herrschte Frieden. Die Bewoh­ner gingen ihrer alltäglichen Arbeit nach. Bau­ern, Handwerker, Jugendliche, Schüler nahmen am Dorfgeschehen teil, feierten gemeinsame Feste und pflegten das deutsche Kulturgut, besonders Trachten und Bräuche. Die evangelische Kirche und die deutsche Schule standen mitten im Dorf, es gab vier Nachbarschaften, einen Bru­der- und Schwesternverein, eine Musik­kapelle und einen Raiffeisenverein. Am Abend traf man sich am Dorfplatz. Die Dorfjugend ging regelmäßig zum Tanzen und Singen, der Kirch­gang am Sonntag war obligatorisch.

Die ältere Genera­tion, die am Ersten Weltkrieg teilgenommen hat­te, erinnerte sich noch an die schweren Jah­re, den Einfall der Rumänen in Sieben­bürgen, das damals zu Österreich-Ungarn gehörte. Sie wurden aber von österreichisch-ungarischen und deut­schen Truppen vertrieben, doch es gab nach­träglich Spannungen unter der Be­völ­ke­rung. Sie erinnerten sich auch an den Vertrag von Versailles und Trianon, durch welchen Un­garn um fast dreiviertel des Terri­toriums verklei­nert wurde. Dabei kam Sieben­bürgen zu Rumänien als Gegenleistung für den Eintritt in den Weltkrieg gegen die Mittelmächte. Einige Siebenbürger Sachsen wanderten nach Amerika und Kanada aus.

Trotzdem herrschte Frieden, man arrangierte sich mit den mitwohnenden Nationalitäten. Dann kam aber die „graue Zeit“ und das nationale Erwachen: Viele hegten die Hoffnung auf ei­ne noch bessere Zeit. Die Siebenbürger Sachsen erhofften sich von Deutschland Unterstützung und Erfüllung der zugesagten Rechte, die von der neuen rumänischen Regierung allgemein missachtet wurden. Der Zweite Weltkrieg brach aus. Rumänien trat als Verbündeter und Freund Deutschlands in den Krieg ein, kämpfte Seite an Seite, hauptsächlich im Osten. Die Siebenbürger Sachsen wurden als Volksdeutsche per Gesetz in die Waffen-SS eingegliedert. Es gab auch Begeis­terte und Freiwillige, die hoffnungsfroh ins Feld zo­gen. Das böse Erwachen kam erst später. 1944, als Rumänien umschwenkte und sich ge­gen Deutschland, den ehemaligen Waffenbruder, stellte, kam es zum Chaos. Die Russen kamen als „Befreier“ und besetzten Rumänien. Plünderungen, Vergewaltigungen, Übergriffe und Schikanen waren die Folgen, auch in Felmern. Einige Ru­mänen ließen ihren Hass an Deutschen aus. Als „Hitleristen“ beschimpft und gedemütigt, mussten auch viele Unschuldige großes Leid ertragen. Im Januar 1945 erfolgte auf Anordnung Stalins die Zwangsverschleppung aller arbeitsfähigen Deutschen aus Rumänien in die Sowjetunion (Männer zwischen 18 und 45 Jahren und Frauen zwischen 18 und 35 Jahren). In Lagern untergebracht, mussten sie unter schwersten Bedin­gun­gen arbeiten. Viele kehrten nicht mehr heim. In­zwischen änderten sich die politischen Ver­hält- nisse radikal, auch in der Heimat Sieben­bürgen. Die Landwirtschaft wurde zerstört durch die Agrarreform, die deutschen Bauern wurden enteignet, die der Kirche unterstellten deutschen Schulen wurden umorganisiert und rumänischen Schulen eingegliedert.

Zum Ent­setzen aller senkte sich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges der „Eiserne Vorhang“ mitten in Europa. Familien wurden getrennt, es gab kein Zurück und kein Zusammenkommen mehr. Die nach Russland verschleppten Überlebenden kamen nach Ableistung der Fronarbeit oder krankheitshalber zurück nach Siebenbürgen und befanden sich in einer desolaten Lage: Die Familie war getrennt, aus den Häusern waren die ehemaligen Besitzer vertrieben, fremde Men­schen bewohnten sie, der Grundbesitz war enteignet, der Ackerbau und die Feldwirtschaft in fremden Händen, es gab keine Arbeits­mög­lich­keit. Einige der Russlanddeportierten wurden als Deutsche nach Deutschland „umgeleitet“ und bauten sich ein neues Leben auf. Im Laufe der Zeit verbesserte sich zwar die Lage der Sieben­bürger Sachsen, es schien aufwärts zu gehen, die von fremden Leuten besetzten Wohnungen wurden teilweise zurückgegeben, aber der ehemalige landwirtschaftliche Besitz war verloren. In landwirtschaftlichen Genossen­schaften und Kollektivwirtschaften versuchte man die Land­wirtschaft anzukurbeln, aber die Tendenz, alles Deutsche zu unterdrücken, war offensichtlich. Der Wunsch, als Deutscher unter Deutschen zu leben, wurde immer stärker und so beantragten viele die Ausreise in die Bundesrepublik im Rahmen der Familien­zusammenführung. Den meisten gelang das aber nur nach dem Zerfall der Ostblockstaaten und der Auflösung des War­schauer Paktes. 1990 kam die große Ausreise­wel­le in den „goldenen Westen“. Hier in Deutsch­land fanden sie eine neue Heimat und sind den deutschen Mit­bürgern für die wohlwollende Auf­nahme dankbar.

Auch der Familie Andreas Frank aus Felmern blieb nichts erspart. Von den Geschwistern des Vaters kam ein Bruder 1941 bei einem amerikanischen Luftangriff auf Ploiești ums Leben. Die Nachricht vom Tod des Ehemannes bei Narwa 1944 erfuhr Frau Katharina, kurz vor der De­por­tation, durch ein Schreiben von einem Sol­da­ten, der die Kämpfe bei Narwa überlebt hatte. 1945 wurde sie in die Sowjetunion verschleppt, wo sie unter schwersten Bedingungen in der Kohlengrube in Lissician, Schacht Voikova Nr. 1216 (Donezbecken/Ukraine) arbeiten musste. Heimgekehrt stand sie vor dem Nichts. Ihr Sohn Andreas, der inzwischen bei seinem Großvater untergekommen war, war ihr einziger Trost. Schlecht und recht kämpfte sich die Familie durchs Leben. Erst 1990 gelang der Familie die Ausreise nach Deutschland. Heute lebt Frau Katharina im Siebenbürgerheim in Rimsting und ist wohl aufgehoben, Sohn Andreas Frank lebt mit Ehefrau Maria in Rosen­heim, wo auch eine Enkelin mit ihrer Tochter wohnt, indes der Sohn mit drei Kindern in Gaimersheim bei Ingolstadt lebt. Auch in Siebenbürgen brannte am Weihnachts­baum eine blaue Kerze neben vielen anderen weißen Kerzen, in Verbundenheit mit dem Schick­sal der Deutschen aus aller Welt und im Ge­den­ken an die Soldaten im Feld und die Gefallenen.

Wenn am Volkstrauertag, am Totensonntag oder zu Weihnachten die blauen Kerzen des Volksbundes deutscher Kriegsgräberfürsorge mit der Inschrift „Leben – Hoffnung – Frieden“ brennen, werden viele Menschen in der Welt ihrer Toten, besonders aber der Toten der Welt­kriege gedenken. Gedanken über Flucht und Ver­treibung, Unterdrückung und Willkürakte, Haft und Deportation werden wieder wach. Doch auch der Erfüllung eines friedlichen Lebens ohne Krieg werden die Menschen mit Dankbarkeit gedenken.

Erwin Schuster

Schlagwörter: Rosenheim

Bewerten:

214 Bewertungen: ++

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.