16. Juni 2010

Die Securitate-Akte des Dirigenten Erich Bergel

Der aus Rosenau bei Kronstadt stammende Dirigent und Musikwissenschaftler Erich Bergel (1930-1998), der jüngere Bruder des Schriftstellers Hans Bergel (*1925), genießt über seinen Tod hinaus in Rumänien nach wie vor hohes Ansehen. Nicht allein dank seines Weltruhms als Symphoniedirigent „der großen Momente“ (Sibyll Mahlke, Berlin), sondern auch als Bach-Forscher mit grundlegenden Veröffentlichungen über die „Kunst der Fuge“ machte sich der Chef des Lehrstuhls für Orchesterleitung und -erziehung 1979-1995 der Berliner Hochschule der Künste o. Prof. Dr. h.c. Erich Bergel einen Namen.
Vor seiner Verhaftung 1959 war er Chefdirigent der Klausenburger Philharmonie und dirigierte nach seiner Flucht Ende 1971 aus Rumänien „alle Eliteorchester“ der Welt (Karl Teutsch).

Der ehemalige Professor an der Klausenburger Musik-Akademie Gheorghe Mușat (*1935), einer der großen Trompetensolisten der Jahre 1970, 1980, veröffentlichte 2008 die dritte Auflage der „Amintirile mele despre Erich Bergel“ („Meine Erinnerungen an Erich“) im Klausenburger Risoprint-Verlag. Mit einem Vorwort des Bruders ausgestattet, bot der jahrzehntelang mit Erich Bergel eng befreundete Mușat dem Leser eine breite Palette beruflicher und persönlicher Momentaufnahmen, die das Bild des vielgesichtigen, schwer fassbaren, dämonischen Musikers erheblich ergänzten. Hans Bergel hatte 2006 im Buch „Erich Bergel. Ein Musiker­leben. Persönliche Notizen zur Biographie“ ­(Gehann-Musik-Verlag, Kludenbach) ein umfassendes Porträt geliefert, das „eine Lücke in der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts schließt“ (Renate Windisch-Middendorf); Mușat berichtete zusätzlich Interna aus dem Leben des einst gefeierten Dirigenten, der bis dahin nur wenigen bekannt war.

Nun erschien vor kurzem ebenfalls im Risoprint-Verlag ein neues Buch aus Gheorghe Mușats Feder: „Lumini și umbre. Din nou des­pre Erich Bergel – cu documente preluate din arhiva CNSAS“ („Licht und Schatten. Vom Neuen über Erich Bergel – mit Dokumenten aus dem CNSAS-Archiv“). Den 209 Seiten sind zwei CDs mit Ausschnitten aus Konzerten Erich Bergels beigegeben. Auch für dieses Buch bat Prof. Mușat den Schriftsteller Hans Bergel um das Vorwort; es trägt den Titel „Gedanken über dies Buch“ und wurde vom Klausenburger Komponisten Prof. Dr. Hans Peter Türk (*1940) ins Rumänische übersetzt.

Wie kam Prof. Mușat an die von der Securitate über Erich Bergel angelegten Dossiers, die in Bukarest aufbewahrt werden? Als letztem Verwandten ersten Grades war dem Bruder die Akteneinsichtnahme nebst Anfertigung von Kopien genehmigt worden; er stellte diese Mușat zur Verfügung. Wenn auch unvollständig, wie sowohl Hans Bergel als auch Gheorghe Mușat im jeweiligen Vorwort feststellen, bieten die vorhandenen Akten – „rund drei Kilogramm“ (Mușat) – einen erschreckenden Einblick in das Vorgehen und die Machinationen der kommunistischen Geheimpolizei: in die Skrupellosigkeit, mit der diese ins persönliche Leben jedes Bürgers eingriff, es steuerte und missbrauchte. Schon 2006 hatte der Komponist Cornel Țăranu in der Anthologie „Școala Memoriei 2006“, Bukarest, unter dem Titel „Un muzician trecut prin gulag“, ergänzt durch Beiträge der Dichterin Ana Blandiana, über Erich Bergels Position im kommunistischen Rumänien berichtet.

Es führte hier zu weit, über die Vielschichtigkeit der Aktenlage zu referieren – Note informative, Declarații, Rapoarte, Comunicări etc., die ganze Skala der Securitate-Literatur-Gattungen blickt den Leser auch aus diesen Papieren an. Das Interessante jedoch speziell in diesem Fall sind die mit schwarzem Stift überdeckten Namen, deren Träger sich mit großer Wahrscheinlichkeit allgemein nur den intimen Kennern des rumänischen Konzertlebens der Jahre 1960-1971 sowie der mannigfaltigen Konkurrenzkämpfe der damaligen Dirigenten und Drahtzieher des Musiklebens Rumäniens erschließen. Gheorghe Mușat gehört zu ihnen. Und so deutet er – gelegentlich unumwunden – die Hauptakteure der gegen Erich Bergel im rumänischen Konzertleben gerichteten Intrigen an. Diese gingen so weit, dass eine Gruppe damaliger Stardirigenten mit einer – nationalistisch gefärbten – Eingabe an Elena Ceaușescu, die heimliche Regentin des kommunistischen Landes, gegen Bergel agierte. Motiv: Berufsneid dem Siebenbürger gegenüber, der sich beim Publikum und der Fachkritik den Ruf des besten Dirigenten des Landes erworben hatte. Aber auch über Rankünen aus Hochschulkreisen berichten die Securitate-Papiere, deren Hintergründe Mușat ebensowenig verschweigt wie den Umstand, dass nicht nur Erich Bergels fachliche Überlegenheit einen Reizfaktor darstellte, sondern auch dessen immer wieder schwierige und gradlinige Persönlichkeit.

Alles in allem stellt dies neue Buch Prof. Gheorghe Mușats nicht zuletzt ein Dokument in der Reihe unumgänglicher Veröffentlichungen über die Jahrzehnte kommunistischer Diktatur in Rumänien dar.

S.T.

Schlagwörter: Securitate, Vergangenheitsbewältigung

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Neueste Kommentare

  • 16.06.2010, 23:01 Uhr von bankban: Danke für diese kenntnisreiche und umsichtige Rezension (die diesen Namen im Gegensatz zu vielen ... [weiter]

Artikel wurde 1 mal kommentiert.

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