12. August 2010

Kurtfritz Handel stellt Plastiken und Zeichnungen in Gundelsheim aus

So bestechlich auch der Augenschein ist, so sehr behauptet er sich, nicht zuletzt in der bildenden Kunst, als Hinweis auf das Eigentliche. So gesehen, spielt das Augenfällige auch für die Arbeiten Kurtfritz Handels in der neuen Ausstellung des Siebenbürgischen Museums eine handfeste Rolle. Das Dargestellte ist sofort und unzweifelhaft bestimmbar: Des Künstlers Interesse gilt Landschaften und Porträts, skulptiert oder gezeichnet. Doch Vorsicht: Mit einem ermutigenden, oft aber auch ironischen Augenzwinkern lädt er uns in seine Kunstwelt ein, mehr als alles andere geht es ihm um die wechselseitige Beziehung zwischen Plastik, ihrem Umraum und dem Betrachter. Und dabei will er den Betrachter verunsichern, nicht nur in seinen Seh-, sondern auch in seinen Denkgewohnheiten: einmal durch die Wahl der Themen, dann durch die Art, wie er sogar altehrwürdige Gattungen der Bildhauerkunst, wie das Porträt, angeht.
Wenn wir heute die Wechselausstellungsräume des Gundelsheimer Museums betreten, dann vor allem weil wir eine Skulpturenausstellung besichtigen wollen, unsere Sehgewohnheiten sind also auf die Betrachtung von dreidimensionalen Raumschöpfungen mit klar ersichtlichen Dimensionen eingestellt, deren Aussagekraft von ihnen selbst, in ihrer Eigenschaft als im Raum stehende, klar abgegrenzte Objekte ausgeht. Nun wagt sich aber ein Bildhauer an einen Bereich heran – gemeint ist die Landschaft – der den zweidimensionalen Künsten, sprich Malerei, Grafik oder Fotografie zusteht. Streng gesehen, wäre eigentlich dieser ketzerische Exkurs Kurtfritz Handels gar nicht möglich: Schließlich ist Landschaft, so wie wir sie als Menschen verstehen und darstellen, bloße Illusion, sie entsteht in unseren Köpfen, indem wir dem einfachen Dasein von natürlichen oder auch künstlichen Dingen bestimmte ästhetische und emotionale Werte verleihen. Um das zu erreichen, bedient sich der landschaftsmalende oder -zeichnende Künstler seit Jahrhunderten derselben Tricks. In erster Linie heißen sie Farbe und Perspektive – und beide sind trügerisch, weil es sie so in der Natur nicht gibt. Wir nehmen die Landschaft als Kunst-Landschaft nur insofern war, als wir dank der geometrischen- und der Farbperspektive in eine dritte Dimension des Bildes eindringen können.

Bei den hier ausgestellten Werken handelt es sich aber offensichtlich um Plastiken, die keinen perspektivischen Kunstgriff und kein Farbenspiel benötigen, um zu existieren. Nichts Gemachtes wird hier dargestellt, sondern nur Bestehendes oder Gewordenes, keine vertrackten Metaphern-Akrobatiken, keine schrulligen Abstraktionen, die einem ein X für ein U vormachen. Es wird schlicht und einfach mit Volumen gearbeitet, diese leben und atmen dank des unterschiedlichen Einfallswinkels des Lichts auf den virtuos modellierten Flächen, wobei sie ihre Farbigkeit nur den fein abgestuften Tönungen der Bronzepatina verdanken. Also nichts, oder fast nichts, was an die uns allen bekannte, auf Höhe und Breite beschränkte Bild-Landschaft erinnert. Dennoch: Warum akzeptieren wir vorbehaltlos die Definition des Künstlers, warum gelingt es uns, zum Teil so entgegengesetzte Merkmale auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen?

Nehmen wir zum Beispiel die Themen, die zugrunde liegenden Ideen der Werke, so werden wir ohne weiteres feststellen, dass sie absolut typisch für die Landschaft als Kunstgattung sind, egal in welcher Technik diese ausgeführt sei: Ausschnitte eines natürlichen Raums, mit Felsen, Vegetation und Tieren, aber auch Kirchen und Wohnhäuser. Wie auf einem Panoramabild lässt Handel das alles modellieren und in ausgefeilter Technik in Bronze gießen. Das Seltsame, das Sanft-Beunruhigende beginnt erst ab diesem Punkt: Die Landschaft kann nämlich keinen Horizont und keinen Himmel haben. Und die Erde ist eine schwebende Fläche, wie in den antiken Weltvorstellungen, oft ruht sie auf dünnen, stabförmigen Beinen, wie in den frühen Arbeiten Giacomettis aus den 1920er Jahren. Eine Landschaft zum Mitnehmen!
Kurtfritz Handel: Eibesdorfer Berge, 2009, ...
Kurtfritz Handel: Eibesdorfer Berge, 2009, Bronze, patiniert, Sammlung des Künstlers.
Irgendwie schweben die Werke Handels in einem schwerelosen, keimfreien Raum. Jedes Detail dieser kleinen Welten lässt sich aus der Nähe betrachten, man blickt wie Jonathan Swifts Held Gulliver über ein bronzenes Lilliput, das uns irgendwie gleichzeitig vertraut und trotzdem beunruhigend erscheint.

Alexander Archipenko, der kubistische Bildhauer, schrieb irgendwann, dass „jede konkave Aushöhlung in uns den imaginären Eindruck der ihr entsprechenden nicht sichtbaren konvexen Form erweckt“. Diesen Grundsatz verwandelt Kurtfritz Handel in eine tragende Formel seiner Plastik. Die Wölbungen des Materials lassen einen optischen Sog entstehen, der ausgerechnet aus diesem Zusammenspiel von Konvex und Konkav entsteht. Vielleicht liegt hier der Grund dafür, dass wir nicht mehr, wie in dem zweidimensionalen Bild, eine Blickstütze in dem gemalten oder gezeichneten Hintergrund suchen, sondern die modellierten Landschaften als kleine, selbstständige Welten akzeptieren.

Handel geht es eben nicht um die Aufgabe der natürlichen Form, seine Formation ist betont gegenständlich und er steht dazu. Die Freiheit, mit dem Wechsel von stabilen und instabilen Formen zu arbeiten, nimmt er sich nur in den hauptsächlich Tusche- und aquarellierten Pinselzeichnungen. Hier sind Ding und Zeichen in eine feine Struktur eingebettet, die Arbeiten werden von einer expressiven, farbenfrohen Schrift voll innerer Spannung beherrscht. Seine Bronzegebilde dagegen haben einen klaren, rigorosen und definitiven Formcharakter. Es gibt keine langsamen und fließenden Übergänge von einer Form zur anderen. Hier ist Metall, ist Bronze vollkommen, die raue Form besitzt eine gespannte Nacktheit, die eindeutig auch in der Serie seiner skulptierten Porträts zum Vorschein kommt. Mit altakademischer Souveränität, unterstützt von freihändig ausgeführten, spontanen Zeichnungsskizzen, modelliert der Künstler seine Köpfe und verleiht ihnen eindeutige Charakterzüge. Fast würde man meinen, es gibt für ihn einen parallelen, an seinen Landschaftsgebilden vorbeilaufenden Kunst-Lebensweg. Doch bitte genauer hinschauen: Die Menschen, zu denen die akkurat modellierten Köpfe gehören, werden auf ein Wesentliches reduziert, auf Details, die die Aussage der Porträtierten verstärken. Eine Hand, ein Teil eines Amtkostüms, ein Kinderspielzeug, sie alle sind fein angegliedert an den Porträtkopf. Der Rest des Oberkörpers – er ist seltsamerweise unsichtbar und dennoch formfest – scheint aus der Luft herausmodelliert zu sein. Bis zu einem gewissen Punkt bewirkt Handel in seinen in Bronze gegossenen Landschaften wie in den Porträtkompositionen die Entmaterialisierung der plastischen Masse zum Negativvolumen und die Einbeziehung des Leerraums als formendes Element. Die konzentrierte Umsicht, mit der die dinglichen Wesensmerkmale erfasst und dargestellt werden, die schwungvolle Plastizität der in den Raum greifenden Teile machen eine Formhülle geltend, die der Bronze die Schwere nimmt. Somit ändert selbst die geringe Größe einzelner Skulpturen nichts an einer Monumentalität, die nicht von der Massigkeit der Formen, sondern ausgerechnet von der Transparenz des Raums herrührt.

Marius Joachim Tataru


Die Ausstellung „Der leise Klang der Formen. Plastiken und Zeichnungen von Kurtfritz Handel“ ist noch bis 19. September 2010 im Siebenbürgischen Museum Gundelsheim, Schloss Horneck, zu sehen. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag, 10.00 – 17.00 Uhr.

Schlagwörter: Handel, Kunst, Ausstellung, Gundelsheim

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