25. Oktober 2010

Bistritzer Gymnasium: Das schönste siebenbürgische Schulgebäude

Am 8. September 2010 jährte sich der Umzug des Evangelischen Obergymnasiums A.B. aus dem alten Gebäude neben der evangelischen Stadtpfarrkirche in das neue Gymnasialgebäude auf der Fleischerallee zum hundertsten Mal. Dabei handelt es sich um das Jubiläum des Umzugs und nicht um das hundertste Jubiläum des Bistritzer Deutschen Gymnasiums. Dessen Geschichte reicht nämlich bis ins 15. Jahrhundert zurück.
Am 8. September 1910 versammelten sich Schüler und Lehrer um acht Uhr morgens vor dem alten Gymnasium und nahmen Abschied von ihrer Lehranstalt. Danach begab man sich in einem feierlichen Umzug vom Marktplatz über die Holz- und Beutlergasse sowie durch das Fleischertürlgässchen zum neuen Gebäude auf der Fleischerallee. Dort fand in der Aula eine kurze Feier statt.
Das neue Gymnasialgebäude um 1910. Foto: Sammlung ...
Das neue Gymnasialgebäude um 1910. Foto: Sammlung Günter Klein
Die ursprünglich vorgesehene feierliche Einweihung des neuen Schulgebäudes entfiel, denn Stadtpfarrer Friedrich Kramer, der die Hauptlast bei der Durchführung des neuen Gymnasialbaus getragen hatte, war schwer erkrankt. Kurze Zeit später verstarb er, am 28. Februar 1911. Deswegen wurde die feierliche Einweihung des neuen Gebäudes um ein Jahr verschoben. In Anwesenheit des Bischofs der Evangelischen Landeskirche A.B., Dr. Friedrich Teutsch, fand sie am 11. Oktober 1911 statt.

Neues Schulgebäude für eine halbe Million Kronen

Das neue Gebäude auf der Fleischerallee besaß eine längere Vorgeschichte. Da das alte Gymnasialgebäude, das in den Jahren 1832-1833 errichtet wurde, nicht mehr modernen Ansprüchen genügte, beschloss das evangelische Presbyterium 1892, ein neues Schulgebäude zu errichten. Zunächst kaufte man in den Jahren 1892, 1904 und 1908 mehrere Grundstücke in der Mitte der Fleischerallee. Danach begann man, die Geldmittel für den Neubau zu beschaffen. Zudem beschloss man, das alte Gymnasialgebäude an die Stadt Bistritz zu verkaufen. Der Verkauf des alten Gymnasiums kam schließlich am 7. Oktober 1900 zu Stande, wobei die Stadt 120 000 Kronen für das alte Gebäude zahlte. In das alte Gymnasium zog nun die Mädchenschule um, die bis dahin in einem Gebäude Ecke Reuß-/Obere Neugasse untergebracht war.

Ein Porträt von Johann Wolfgang von Goethe, das ...
Ein Porträt von Johann Wolfgang von Goethe, das Anfang der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts vom damaligen Professor Leon Titieni gemalt wurde und im "Deutschlabor" des Nationalkollegs "Liviu Rebreanu" hängt. Foto: Horst Göbbel
Das für Bistritz und das gesamte Nösnerland äußerst ehrgeizige Projekt stellte ein Anliegen sämtlicher Siebenbürger Sachsen aus Nordsiebenbürgen dar. Deswegen war es nur folgerichtig, dass alle „politischen“ Gemeinden des Nösnerlandes (von Baierdorf bis Windau) je nach Bevölkerungszahl und wirtschaftlichen Möglichkeiten zum Teil erhebliche Summen für „ihr“ Gymnasium spendeten (z. B. Gemeinde Jaad 2 000 Kronen, Lechnitz 2 000, Minarken 1 000, Heidendorf 700). Georg Fischer, der damalige Direktor des Gymnasiums, veröffentlichte die Liste aller Spender in seinem Buch „Die Geschichte des Neubaus des ev. Gymnasial-, Bürger- und Elementarschulgebäudes A.B. in Besztercze (Bistritz)“, das 1913 im Verlag von Carl Csallner in Bistritz erschien. Georg Fischer hat dort penibel alle Spender aufgelistet, von den Schülern, die ihre bescheidenen Ersparnisse in Höhe von sechs Kronen spendeten, bis zu den Bistritzer siebenbürgisch-sächsischen Banken, die erhebliche Summen für das neue Schulgebäude bereitstellten.

Insgesamt wurden 156 764,73 Kronen gespendet. Die großzügigsten Spender waren die beiden siebenbürgisch-sächsischen Banken in Bistritz, nämlich der Credit- und Vorschussverein sowie die Bistritzer Distrikts Sparkassa A.G., die 40 000 bzw. 42 000 Kronen spendeten. Die größte Summe, die von einer Privatperson gespendet wurde, kam von Kamilla Textoris, die 4 120,54 Kronen spendete. Eine Krone aus dem Jahr 1910 besaß ungefähr die Kaufkraft von zwanzig Euro heute. Zwar kamen weit über 90 % der Spenden von Siebenbürger Sachsen aus dem Nösnerland, es soll aber nicht unerwähnt bleiben, dass auch zahlreiche in Bistritz ansässige Rumänen, Juden und Ungarn Geld gespendet haben, v. a. jene, die ihren sozialen Aufstieg dem deutschen Gymnasium verdankten.
Das Bistritzer Gymnasium im Juli 2010. ...
Das Bistritzer Gymnasium im Juli 2010. Luftbildaufnahme: Michael Weihrauch
Das Bistritzer Evangelische Obergymnasium war unter den fünf siebenbürgisch-sächsischen Gymnasien die Anstalt mit dem höchsten Anteil an nichtdeutschen, vor allem rumänischen Schülern. Zu den prominentesten Rumänen, die das Bistritzer deutsche Gymnasium besuchten, gehörten zwei rumänische Premierminister. Hierbei handelte es sich um Alexandru Vaida-Voevod (1872-1950), den ersten Ministerpräsidenten Großrumäniens (1919-1920), sowie um Miron Cristea (1868-1939), 1938-1939 Ministerpräsident. Miron Cristea war auch gleichzeitig der erste Patriarch der autokephalen rumänisch-orthodoxen Kirche (1925-1939). Liviu Rebreanu (1885-1944), dessen Namen das Nationalkolleg auf der Fleischerallee heute trägt, war nie Schüler des Bistritzer Evangelischen Obergymnasiums.

Der größte Betrag kam vom Kultus- und Unterrichtsministerium in Budapest, das 192 000 Kronen für den Schulneubau zur Verfügung stellte, obwohl es sich um eine konfessionelle Schule mit deutscher Unterrichtssprache handelte und nicht um eine ungarische Staatsschule. Vermutlich verdankte man diese bedeutende Summe der Tatsache, dass sich der Sitz des Komitats Bistritz-Nassod in Bistritz befand, und dass das Ev. Obergymnasium das einzige Gymnasium der Stadt war. Insgesamt kostete das neue Schulgebäude 496 959,05 Kronen, wobei die Kosten für Wasserleitung, Kanalisation und elektrische Beleuchtung nicht in diese Summe mit einbezogen waren.

Durchführung des Bauvorhabens

Das neue Gebäude wurde nach Bauplänen des Wiener Architekten Paul Brang errichtet. In der Spenderliste findet man auch den Namen des Architekten, der fünfhundert Kronen für das Gebäude spendete. Das neue Gymnasialgebäude sollte in „mäßig deutscher Renaissance“, so Georg Fischer, gehalten werden und aus einem 72 m langen Haupttrakt mit zwei sich rechtwinklig anschließenden Flügeln bestehen und insgesamt vier Geschosse aufweisen. Im Gebäude sollten neben den gewöhnlichen Klassenräumen eine Aula (im 1. Stock), ein großes Lehrerzimmer, ein Musiksaal, ein Zeichensaal, spezielle Räume (Amphitheater) für den Physik- und Naturkundeunterricht, sowie drei Bibliotheksräume und ein Museumsraum untergebracht sein. Zudem gab es noch eine „Schuldienerwohnung“ im Untergeschoss.
Fassade des Bistritzer Gymnasium im ...
Fassade des Bistritzer Gymnasium im Eingangsbereich. Foto: Horst Göbbel
Am 1. April 1908 begannen die Bauarbeiten. Die feierliche Grundsteinlegung fand am 21. Mai 1908 in Anwesenheit des Ev. Landesbischofs Dr. Friedrich Teutsch statt. Die Bauarbeiten wurden von einer Kommission in Auftrag gegeben, die unter dem Vorsitz des Stadtpfarrers aus den Presbytern Georg Fischer, Gottfried von Lani, Heinrich Raupenstrauch, Gottfried Simbriger, Karl Zintz und dem Stadtingenieur Oskar Kelp bestand. Die Bauaufsicht unterstand dem Oberingenieur Adolf Klein. Den Auftrag für die Bauarbeiten erhielten die Baumeister und Zimmerleute Michael G. Adleff und Michael Huss. Beim Bau kamen die neuesten Errungenschaften der damaligen Bautechnik zur Anwendung. Man verwendete Eisenbeton und deckte das Gebäude mit Eternit statt mit Dachziegeln. Die Fußböden wurden aus Terazzo, Asbetit und Doloment hergestellt. Zudem war das Gebäude mit einer modernen Zentralheizung ausgestattet. Bereits im Februar 1910 war das Gebäude fast fertiggestellt, so dass man mit der Inneneinrichtung beginnen konnte.

Die neuen Schulbänke (System Zahn) wurden bei der Firma H. Uhlmann in Gera bestellt. Um die Kosten zu senken, wurden nur die Metallteile in Deutschland geordert. Die Holzteile wurden beim Bistritzer Tischlermeister Johann Lang in Auftrag gegeben und die Schulbänke von diesem in „tadelloser Art“ montiert. Für die Aula wurde ein Podium aus Eichenholz bei der Firma Thék in Budapest bestellt. Ebenfalls in Budapest wurden 204 Sessel bei der Firma Thonet für die Aula und den Musiksaal bestellt. Da man mit dem ursprünglich geplanten Tor vor dem Haupteingang nicht zufrieden war, wurde beim Bistritzer Schlossermeister Friedrich Lang ein zweiflügeliges Gittertor mit zwei Seitentüren in Auftrag gegeben. Im September 1910 war das Gebäude bezugsfertig. Entstanden war ein Gebäude, das zu den imposantesten Gymnasialgebäuden Siebenbürgens gehörte und noch immer gehört. Eine gewaltige kulturelle Leistung aller Siebenbürger Sachsen aus dem Nösnerland und ein Zeichen dafür, welch hohen Stellenwert die Schulbildung bei unseren Vorfahren und der Evangelischen Kirche A.B. in Siebenbürgen besaß.

Höchst bedauerlich ist nur, dass diese bewundernswerte Leistung selbst unseren siebenbürgisch-sächsischen Landsleuten aus Südsiebenbürgen fast völlig unbekannt geblieben ist. Wer die Ausstellung „Geschichte der Evangelischen Kirche A.B. auf dem Territorium des heutigen Rumänien von der Einwanderung der Sachsen bis heutigen Tage“ im „Friedrich-Teutsch-Haus“ in Hermannstadt besucht, wird vergeblich nach einem Foto des Bistritzer Gymnasiums suchen. Zwar gibt es eine Abteilung über das siebenbürgisch-sächsische Schulwesen, in der auch Bilder der Evangelischen Obergymnasien A.B. zu sehen sind; das Foto des schönsten aller siebenbürgischen Schulgebäude, nämlich das des Bistritzer Evangelischen Obergymnasiums A.B., fehlt in dieser Abteilung.

Ausblick in die Zukunft

Im Jahr 2010 präsentiert sich das Gymnasialgebäude leider in einem schlechten Zustand, da in den letzten Jahrzehnten nur die dringend notwendigen Reparaturarbeiten durchgeführt wurden. Um einem weiteren Verfall der baulichen Substanz Einhalt zu gebieten, ist eine sofortige Generalrestaurierung unerlässlich. Die Frage ist nur, wer die dafür nicht unerheblichen Finanzmittel aufbringen soll? Die große Weltwirtschaftskrise hat auch Rumänien mit voller Wucht getroffen, und es ist höchst unwahrscheinlich, dass die Restaurierung des Gebäudes für die Bukarester Regierung in nächster Zeit von primärer Bedeutung ist, obwohl das Gebäude unter Denkmalschutz steht. So bleibt nur zu hoffen, dass man trotz allem bald mit den Restaurierungsarbeiten beginnt, denn unser altehrwürdiges Gymnasialgebäude befindet sich im Jubiläumsjahr leider in einem beklagenswerten Zustand.

Günter Klein

Schlagwörter: Bistritz, Schule

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