2. Februar 2011

In der Kunst liegt die Kraft: Peter Jacobis Ausstellungskatalog

Das Leben ist die Kunst, aus Leben Kunst zu schaffen, und die Kraft, die Welt zu erfassen, sie in ihrer Tiefe und Breite erlebbar zu machen – im ewigen Wechselspiel zwischen Licht und Schatten, Liebe und Hass, Geburt und Tod. Wäre der Bildhauer, Maler und Fotograf Peter Jacobi auch noch Musiker, müsste man schreiben, dass er es versteht, auf dieser Klaviatur des Lebens geradezu virtuos aufzuspielen. Die Kunst des Sehens und Formens sowie des Verstehens des Gesehenen fallen dabei enorm ins Gewicht, lassen begreifen, was einen Menschen umtreibt, als Künstler dem Da-Sein in der realen und virtuellen Welt nachzuspüren und zu versuchen, Lebensessenz und Wissenssubstanz daraus zu destillieren.
Der Künstler Jacobi ist häufig in großer Einsamkeit unterwegs, berauscht an der Natur, aber auch von toten Gegenständen, deren Existenz er sich zuneigt, um sie zu studieren wie sich selbst. Er filtert seine Erfahrungen nach Ideen, Erkenntnissen, Einsichten, die er wiederum in Form bringt, sei es mit Hammer und Meißel, Pinsel und Farben oder mit Fotolinse und Licht.

Der Künstler als Seher, das könnte eine der gültigen Formeln sein, die Bemühungen des Bildhauers Peter Jacobi näher zu beschreiben. Gleich vier Ausstellungen in Pforzheim feiern den 75-jährigen, 1935 in Ploiești geborenen Künstler. Fünfter Mosaikstein ist ein 272 Seiten starker Katalog, in dem die Quintessenz seines künstlerischen Schaffens anlässlich des Jubiläums und der Serie von Expositionen akribisch summiert und breit beleuchtet wird.

Mit dem großformatigen Katalog, Gegenstand unserer Betrachtung, versuchen Herausgeberin Isabel Greschat und die Mitkuratoren der Ausstellungen, es sind dies Gerhard Baral, Bettina Schönfelder und Ulrike Pia Moosmann, den vielseitigen Künstler Jacobi zwischen zwei Buchdeckeln zu bannen, was gut gelingt. So hat der Betrachter am Ende des nach Ausstellungsthemen gegliederten Katalogs ein scharfes Bild von dem Künstler, dessen vielfältiges Oeuvre er als Voyeur durchkreuzt, durchblättert und betrachtet hat.

Gedenkpavillon, 1993-1998, Holzmodell, 59 x 48 x ...
Gedenkpavillon, 1993-1998, Holzmodell, 59 x 48 x 48 cm
Bevor das Vorwort uns an die Hand nimmt, um uns durch die Welt des Peter Jacobi zu geleiten, uns mit Skizzen, Plänen, Atelierszenen und Inspirationsquellen vertraut zu machen und uns in kreativen Assoziationen zu üben, prasseln erst einmal gut zwei Dutzend Fotos auf uns ein. Den Auftakt macht eine Entwurfszeichnung für ein Denkmal zu Ehren des Barons von Brukenthal. Es folgen ein schöner Bronzetorso, ein Foto nach einer Installation mit dem Abbild der Kuss-Skulptur von Constantin Brâncuși, dann öffnen sich bildlich gesprochen die Türen in Jacobis Fotoatelier, wonach es über Weizenfelder geht und das raffinierte Foto einer Vereinsfahne zu Studien von Textilstrukturen genutzt wird. Weiter gleitet der Beobachter zur Installation „Anwesend abwesend. Nachdenken über Erinnerung“ und ist an einer wuchtigen welthaltigen Station des bildhauerischen Werkes angelangt. Einen Reflexions- und Erinnerungsraum hat Jacobi gebaut, um sich in diesem Gebilde, wo Licht, Schatten und Reflexe wohnen, selbst nachzuspionieren, die Reflexe seiner Existenz als Architekt eines reichen Künstlerlebens mit seinem Sinnen und Trachten zu vernetzen.

„Das anklingende Thema Zeit/Zeitlosigkeit/ Vergänglichkeit, das sich in seinem Gesamtwerk zu einem Schlüsselthema verdichten wird, übersetzt Peter Jacobi allmählich immer großzügiger in Räumlichkeit. Er schafft gefäßartige Skulpturen, die abgeschlossene leere, stille Räume jenseits der Geschäftigkeit des Lebens umschreiben“, erläutert Isabel Greschat treffend. Auch beschreibt sie gekonnt Jacobis Konzentriertheit auf die Themen, die ihn fesseln und die er konsequent um- und einkreist, sodass im Finale des kreativen Gesamtaktes „jede Arbeit wie ein Faden in einem großen Flechtwerk erscheint“.
Peter Jacobi: Ährenbild, Fotoserie Holodomor ...
Peter Jacobi: Ährenbild, Fotoserie Holodomor (Hungersnot 1932-33 in der Ukraine), 2008
Jacobis textile Wandreliefs passen in dieses Bild genau so nahtlos wie seine Marmorreliefs oder Schwarz-Weiß-Fotografien, aber auch sein geniales Holocaust-Mahnmal in Bukarest für die in Rumänien während des Zweiten Weltkrieges ermordeten 380000 Juden und 25000 Roma. Der grandiose Versuch, eine Tragödie mit ästhetischen Mitteln zu erfassen und zu bewältigen und ihr neue, der Zukunft zugeneigte Zugänge zu öffnen, sucht seinesgleichen. Zentraler Punkt ist die im Jetzt verankerte Ort- und Zeitlosigkeit der Vergangenheit, ein leerer Raum, der den Lichtstreifen und Schattenwürfen gehört und den Gedanken des Betrachters. Er kann ihn mit Überlegungen und eigenen Ansichten füllen und ihn sich aneignen, bevor er diesen Raum nach solch mentaler Exkursion im Zustand der Unversehrtheit dem nächsten Besucher, anderen Generationen als Territorium der Begegnung überlässt.

Bei der Entstehung dieses außergewöhnlichen Denkmals, die im Katalog durch Fotos und Skizzen akribisch und anschaulich dokumentiert ist, hat der Künstler eng mit Gott zusammengearbeitet, schöpfte kundig aus jenem Brunnen der sprichwörtlichen „göttlichen Inspiration“. Nichts ist Zufall. Auch dass Jacobi eine „Säule der Erinnerung“ in sein Mahnmal einfügt, ist von vielfältiger Relevanz. Sie ist die Brücke zwischen Erde und Himmel, nicht zuletzt aber auch eine Hommage an den rumänischen Bildhauer Constantin Brâncuși (1876-1957), den Vater und Wegbereiter der plastischen Moderne, dem Jacobi hier, wie noch in etlichen anderen Werken, Reverenz erweist. Jacobis Werk ist erklärtermaßen voller Bezüge zu Brâncuși, den er verehrt und bewundert, dessen 1937 entstandenes dreiteiliges Meisterstück in Târgu Jiu („Die endlose Säule“, „Tor des Kusses“ und „Tisch des Schweigens“) für Jacobi einen Triumph der Bildhauerei markiert.

Skulptur von Peter Jacobi: Modulare Säule, 2010, ...
Skulptur von Peter Jacobi: Modulare Säule, 2010, Bronze, 600 x 100 x 100 cm, Besitz Peter Jacobi
Letzter großer Akt im Katalog sind ausgewählte Fotos einer Serie „Stillleben nach dem Exodus – Wehrkirchen in Siebenbürgen“. Die großformatigen, großartigen, nach allen Regeln der photographischen Kunst und Inspiration erstellten Bilder waren unter anderem bereits in einer memorablen Exposition im Gasteig (München) zu sehen. Der Atem stockte dem Betrachter vor Begeisterung. Es sind Stillleben von großer Intensität, brillant in der Ausnutzung von Licht und Farben und Stimmungen, die tiefschürfend eine anrührende Geschichte vom Werden, Sein und Vergehen erzählen. Der Titel von Jacobis Installation „Abwesend anwesend“ passt nahtlos auch zu dieser Bilderfolge. Der Mensch ist – wie der Fotograf im Bild – zwar abwesend, doch seine Präsenz hängt in der Luft, bleibt spürbar als Atemzug, geschickt „inszeniert“ durch die wissende Auswahl von vorgefundenen Realitätsfenstern. Durch sie blickt das Auge des Betrachters in die Vergangenheit und durchdringt so die vorgefundene Gegenwart. Diese Fotos sind im Grunde Kurzgeschichten über eine versunkene Welt, Botschaften aus einer anderen Zeit, Erzählungen, die einen fesseln und nicht mehr loslassen, in die man sich eingräbt, um Verschüttetes ans Licht zu bringen. Es ist ein weites architektonisches Feld für sinnträchtige Aus-Flüge in die Ästhetik der Fotographie, in ein siebenbürgisches Universum. Und die Zeit läuft, sie läuft uns davon, man spürt sie förmlich, spürt es, wie der Künstler Jacobi sie immer wieder ins Spiel bringt – mal nutzt er sie als Instrument der Ewigkeit, mal setzt er sie als Grenzstein gegen das Vergessen und den Verfall der Erinnerung.

Es ist am Ende dann doch die scheinbare Banalität der vergeblichen Auflehnung, die den Künstler nicht ruhen lässt, die ihn generell umtreibt, lebenslänglich dazu verurteilt, den eigenen Stein bergauf zu wälzen. In dieser vertrackten Besessenheit um das künstlerische Werk steckt existentielle Tragik, aber auch Sieg, der ungezügelte Wille, sich gegen den Tod aufzulehnen und an der Endlichkeit zu messen. Nur wer aufgibt, hat schon verloren. Diese Bilder sind Zeugen des geglückten künstlerischen Ringens.

Leider folgt diesen genialen Fotos im Katalog ab Seite 225 ein amateurhaftes fotographisches Sammelsurium von teils hoher Belanglosigkeit.

Ein nervtödliches Spiel mit dem Betrachter haben sich die Kataloggestalter leider auch einfallen lassen: Das Abbildverzeichnis haben sie irgendwo im hinteren Teil des Katalogs versteckt!? Und so wird man nahezu schizophren – neben dem Bewunderer ärgert sich der Blätterer, der auf Neudeutsch gesagt, zum „Seitenhopping“ verurteilt ist. Denn natürlich will der Betrachter wissen, was ihm da in Abbildungen vorgesetzt wird, was er gerade selbst sieht oder sehen soll, und selbstverständlich will er sofort (wann denn sonst) und auf jeder Seite vergleichen, verifizieren, ob er konform geht mit dem Künstler oder ob er sich von ihm angestoßen auf eigenen Wegen fortbewegt. Da hilft nur Suchen und Blättern und Suchen!

Trotz einiger Wermutstropfen in einem umfassenden, auch mit biobibliographischen Angaben versehenen Katalog zum markanten Gesamtwerk Peter Jacobis öffnet dieses „Nachschlagewerk“ Neugierigen Türen, Tore und Räume zu einem beeindruckenden künstlerischen Universum.

Horst Samson

„Peter Jacobi“, Kehrer Verlag Heidelberg/Berlin, 272 Seiten, 32 Euro – ISBN 978-3-86828-196-5, zu beziehen über den Buchhandel sowie über den Schiller Verlag in Hermannstadt.
Peter Jacobi
Peter Jacobi
Peter Jacobi

KEHRER Heidelberg
Gebundene Ausgabe
EUR 25,00
Jetzt bestellen »

Schlagwörter: Jacobi, Fotografie, Bildhauerei, Katalog, Rezension

Bewerten:

8 Bewertungen: +

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.