7. Februar 2025

Einzigartiges Zeitdokument: Amateuraufnahme von der Aushebung vom 13. Januar 1945 im Hause Hann von Hannenheim

Es gibt von Russlanddeportierten überraschend viele Gruppen- und Einzelbilder, aufgenommen in sowjetischen Fotostudios, bei kulturellen Veranstaltungen oder in der Freizeit, und auch – freilich seltener – bei der Arbeit, soweit politisch unbedenklich oder propagandistisch nützlich. Aber es gibt keine einzige Aufnahme von den dramatisch-emotionalen Augenblicken der Aushebung selbst. Das untenstehende Foto ist, so gesehen, eine Ausnahme und meines Wissens das einzige seiner Art.
Aushebung zur Deportation in die Sowjetunion im ...
Aushebung zur Deportation in die Sowjetunion im Hause Hann von Hannenheim am Vormittag des 13. Januar 1945, aufgenommen von Knabenschuldirektor Julius Stefan Hann von Hannenheim jun. Kontaktabzug, 4,3 x 5,5 cm. Samml. Dr. Florian Kimm, Nußloch b. Heidelberg (zum Autor des Bildes vgl. auch SbZ vom 15.1.1966, S. 3)
Gemacht hatte es Knabenschuldirektor Julius Stefan Hann von Hannenheim (1893-1965), den meisten Hermannstädtern unter seinem Spitznamen „Heimchen“ ein Begriff. Es zeigt die Aushebung zur Zwangsarbeit am Eingang zum Hause Hann von Hannenheim in der Schwimmschulgasse 9a (heute Someșului 13) am Vormittag des 13. Januar 1945. Aus der Tür kommt gerade Tochter „Trudi“ (Gertrud) mit dem Reisegepäck, unten wartet schon marschbereit ihre ältere Schwester Inge (2. v.r.) mit einer Nach­barin, die man schon „abgeholt“ hatte. Links die Aushebungskommission, die aus einem rumänischen Polizisten, einem russischen Kommissar (?) und aus zwei behelmten Sowjetsoldaten als Begleitschutz mit geschultertem Gewehr besteht. Vorne links Mathilde „Titz“ von Hannenheim (gest. 1956), die Mutter von Trudi und Inge.

Gerne hätten wir mehr über die Umstände gewusst, unter denen das leider unscharfe, etwas verrissene Foto entstand. Die Frauen blicken jedenfalls zur Kamera, was dafür spricht, dass das Foto nicht heimlich aufgenommen wurde, was schon rein technisch unmöglich gewesen wäre, denn „Heimchen“, passionierter Amateurfotograf, besaß eine nicht eben unauffällige Agfa-Klappkamera (einige seiner Ausflugsbilder aus den 1930er Jahren sind abgedruckt in Mircea Dragoteanus Hohe-Rinne-Dokumentation „Întruparea muntelui în suflet“, 2022).

Leider wurde dieses Bild für die Beteiligten zum Abschiedsbild für immer. Inge v. Hannenheim (1924-1948) starb im Arbeitslager in Jenakijewo wegen einer zu spät behandelten Magen-Darm-Erkrankung, Schwester Trudi (1926-2019) kam von dort im Januar 1947 mit einem Krankentransport mit schwerer Gelbsucht nach Frankfurt/ Oder. Nach mehreren Heimkehrversuchen entschloss sie sich, in (West-) Deutschland zu bleiben und heiratete 1951 Dipl.-Ing. Hans Christian Kimm, den Sohn des Zeichners Fritz Kimm (ihr Sohn Dr. Florian Kimm ist der Besitzer des hier vorgestellten Fotos).

Auch ein Abschiedsbild, diesmal von Großpold: ...
Auch ein Abschiedsbild, diesmal von Großpold: Während Trudi und Inge Hannenheim noch im Donbass waren, kam der kleine Hans Liebhardt als Kostjunge in ihr Elternhaus in der Schwimmschulgasse. Das anrührende Bild zeigt „Hanzi“ mit seiner Großmutter, die ihn 1947 auf die Schule nach Hermannstadt geschickt hatte. Nachlass Hans Liebhardt, Teutschhaus Hermannstadt
Was ist naheliegender, als vor einer Reise ins Ungewisse ein Abschiedsbild zu machen? Aber wer traute sich schon, zumal Uhren und auch Kameras gefragte Beutestücke bei den russischen Besatzern waren. Eine nachgerade komische Geschichte dazu (seine eigene!) erzählt Bernhard Ohsam in seinem Deportationsroman „Hunger & Sichel. Die Geschichte einer Flucht“ (1995). Weil der Autor und einige Freunde sich in einer verschneiten Karpatenhütte vor der gerüchteweise kolportierten Zwangsverschleppung in die Sowjetunion versteckt hatten, hatte man ihre Familienmitglieder als Geiseln genommen. So mussten sie wieder zurückkehren und warteten nun selbst in einem Polizeiraum auf ihre Deportation. Immerhin konnten ihnen ihre guten Mütter noch reichliche Wegzehrung zu einem letzten Essen mitbringen. „Ossis“ (Ohsams) Mutter legte aber Wert darauf, dass vor diesem „Festessen“ erst ein Abschiedsfoto gemacht wird. Dazu hatte sie einen Soldaten bestochen, der nun ihren Sohn zusammen mit seinem Freund Roland (der spätere Orthopäde Dr. Roland Böbel) mit aufgepflanztem Bajonett zum allseits bekannten Hoffotografen Emil Fischer in die nahegelegene Heltauergasse begleitete. Die dabei entstandenen Fotos der beiden 18-jährigen Schlakse brachten ihnen ihre Mütter am nächsten Tag mit, damit sie noch ihre Verwandten und natürlich auch die von ihnen verehrten Mädchen mit „letzten Grüßen“ beglücken konnten. „Ich kam mir vor, als verschicke ich meine eigene Todesanzeige“, so Roland im o.g. Buch (eines der Fotos abgebildet auf S. 32).

Das Hannenheimische Haus in der Schwimmschulgasse war übrigens jenes, in dem der nachmalige Journalist und Schriftsteller Hans Liebhardt (1934-2017) als Kostjunge von 1947 bis 1949 in die sprichwörtlich weite Welt hinein startete. „Das Leben im Hause Hannenheim scheint für mich wichtiger gewesen zu sein als die Schule an sich“, scherzte er in einer seiner ADZ-Glossen. Keine Frage, für den dreizehnjährigen Jungen aus Großpold war dies eine prägende Zeit mit vielerlei Anregungen. In die Wege geleitet und mit ihrem Ersparten möglich gemacht hatte das seine über alles geliebte Großmutter, weil „Hanzi“ damals schon elternlos war (sein Vater war auf der Krim gefallen, die Mutter war bereits 1939 gestorben, „diese zwei Jahre im Hause Hannenheim in Hermannstadt waren für mich hervorragend“, stellte er rückblickend in einem Interview mit der Fotografin und Publizistin Christel Wollmann-Fiedler kurz vor seinem Tod fest (vgl. Hermannstädter Zeitung vom 26. Januar 2018).

Konrad Klein

PS. Der im Text erwähnte Bildbesitzer Dr. Florian Kimm hatte erst kürzlich der neuen Schatzkammer des Siebenbürgischen Museums einen kostbaren Frauendolman der Kronstädter Patrizierin Justina Seuler v. Seulen als Dauerleihgabe überlassen, es ist jener, der auch auf Robert Wellmanns berühmtem Gemälde „Die Bockelung“ abgebildet ist, siehe Siebenbürgische Zeitung Online vom 5. Juli 2024.

Schlagwörter: Deportation, Fotografie, Geschichte, Konrad Klein

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