5. Februar 2012

Helge von Bömches’ Sänger-Erinnerungen

Das Buch endet mit dem Satz aus Verdis Oper „Don Carlos“ (Schiller): „Sire, ich bin zufrieden.“ Den langen, an Bewährungsproben reichen Weg bis dahin schildert Helge von Bömches (geboren 1933) auf 222 Seiten in seinem im Hora Verlag in Hermannstadt erschienenen Band „Blick hinter die Kulissen oder Aus dem Tagebuch (m)eines Sängerlebens“. Der in Kronstadt geborene Opern-, Oratorien- und Liedsänger (Bass) begann seine Laufbahn als Chorsänger am Musiktheater seiner Vaterstadt, sie führte ihn an berühmte Häuser wie Salzburg, Wien, Hamburg, Dublin, München, Mailand u.a. bis hin zum langjährigen Engagement an der Opernbühne Osnabrück in Niedersachsen.
Die Lektüre der Erinnerungen des Helge von Bömches ist für den Opern- und generell den Musikliebhaber und -kenner ebenso kurzweilig wie aufschlussreich, für Helges Freunde stellt sie eine menschliche Begegnung mit einer Fülle unbekannter Einzelheiten dar. Der zunächst aus dem hermetisch abgeschotteten Rumänien zu gelegentlichen Auftritten außerhalb des Landes von der Kronstädter Bühne freigestellte Sänger setzte sich in der ersten Hälfte der 1970er Jahre endgültig im Westen ab, wohin ihm einige Jahre später seine Frau Marina und die beiden Kindern folgen konnten. Die Karriere des ehemaligen Chorsängers bis an die Wiener Staatsoper, zu den Salzburger Festspielen oder den berühmten Dubliner Festivals, zu Engagements durch Dirigenten wie Herbert von Karajan, Levine und Napoleone Anovazzi – den Entdcker von Bömches’ bei Kronstädter Gastdirigaten – ist die Karriere eines Selfmademans reinsten Wassers; keinerlei Verbindungen, keine Akademie, kein Mäzen, keine „Seilschaften“ kamen ihm beim Start zu Hilfe, jede seiner Stationen musste er sich unter oft widrigen Umständen erkämpfen.

Helge von Bömches als Giovanni in Dublin, ...
Helge von Bömches als Giovanni in Dublin, Dezember 1987.
Helge von Bömches erzählt dies alles anhand seiner minutiösen Aufzeichnungen über Auftritte in fast 200 Partien/Rollen, die er in einem Großteil der europäischen Länder sang; die Details davon hier auch nur andeutungsweise zu nennen, wird gar nicht erst versucht. Der Rückblick auf sie veranlasst Helge von Bömches zum Fazit, in und mit der Musik, in der Zusammenarbeit mit Dirigenten und Regisseuren, Kolleginnen und Kollegen, mit den Rollen in Verdi-, Mozart-, Puccini-, Beethoven- und anderen Opern in summa auf glückliche Berufs- und Lebensstationen zurückzublicken. Dass Intrigen, skrupelloses Verhalten von Agenturen, Dispositionsschwankungen mit der bangen Frage aller Sänger dieser Welt nach der Leistungsdauer der Stimme, Wortbrüche, Intendantenlaunen und nicht zuletzt Regieperversitäten dazu gehörten, verschweigt er keinesfalls. Im Gegenteil, er notiert z.B. über eine Essener Traviata-Aufführung: „Ich lerne in einer Probe del Monacos Auffassung der Traviata kennen. Ein Panoptikum des Verfalls und des Grauens. Solche Regisseure müsste man totschlagen. Sollen sie sich doch Opern schreiben lassen, die ihre krankhaften Visionen enthalten, (...), das, was Monaco inszeniert, hat Verdi nie geschrieben.“ (S. 132) „Wir leben im Zeitalter übler Regisseure“, befand der bedeutendste Literaturwissenschaftler unserer Tage, Harold Bloom (Süddeutsche Zeitung, 6. März 2000). Dennoch ließ sich von Bömches den Enthusiasmus für seinen Beruf niemals nehmen. So wird das Buch zu allem anderen auch ein Dokument lebenstapferer Haltung.

Helge von Bömches erzählt ohne Falschmünzerei, das heißt, er berichtet dem Leser ohne jenen Ton selbstgefälliger Koketterien, die in vergleichbaren Künstlerbiographien immer wieder anzutreffen sind. Nein, es ist das ehrliche Buch eines Mannes, der souverän auf große Bühnenerlebnisse, auf wunderbare Zusammenarbeit mit Künstlergefährten und auf rauschhaft erlebte Solistenerfolge ebenso Rückblick hält wie auf Existenzängste, miesen Kollegenneid und Phasen der Überarbeitung mit Erschöpfungsfolgen. Die Fülle der Bilder mit Bömches-Porträts in den Rollen von Don Giovanni oder Sarastro bis hin zu Fürst Gremin – Mozart, Tschaikowski – belebt in willkommener Veranschaulichung den Text.

Der umfangreiche Anhang mit der Liste sämtlicher in fast vier Jahrzehnten bestrittener Partien, mit Personen- und Ortsregister, mit einem Register der Opernhäuser und einem der im Buchtext genannten Rollen (rund 35 Seiten) runden den „Blick hinter die Kulissen“ zu einem Ganzen, das über die persönliche Erinnerung hinaus den sachkundigen Einblick in die Berufspraxis eines Sängerlebens bietet. Der Erkenntnis, „zufrieden“ zu sein, fügt von Bömches eine ebenso gewichtige bei: Ohne seine Frau Marina hätte er’s nicht geschafft ... Der Hermannstädter Hora-Verlag darf sich die Veröffentlichung als Verdienst anrechnen.

Hans Bergel



Helge von Bömches: „Blick hinter die Kulissen oder Aus dem Tagebuch (m)eines Sängerlebens“. Hora Verlag, Hermannstadt/Sibiu, 2011, Paperback, 222 Seiten, mit zahlreichen Bildern und umfangreichem Anhang, ISBN 978-973-8226-96-8, 16,00 Euro. Zu bestellen im Internet unter www.siebenbuerger.de/shop. oder beim Verlag, Telefon: (0040-269) 211839, E-Mail: office [ät] hora-verlag.ro.
Blick hinter die Kulissen oder Aus (m)einem Sängerleben
Helge von Bömches
Blick hinter die Kulissen oder Aus (m)einem Sängerleben

hora Verlag

224 Seiten
EUR 16,00 (+ Versandkosten)
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Schlagwörter: Rezension, Musik, Kronstadt

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